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DIE RESIDENZ IN DEN HIGHLANDS


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den Gang entlang«, flüstert Schwester Moira. Sie hält an der Ecke inne, deutet auf die große Holztür und macht keine Anstalten, weiterzugehen.

      »Wenn ich es nicht besser wüsste, Schwester, würde ich denken, dass Sie Angst vor ihr haben«, sage ich lächelnd.

      Die Frau verzieht das Gesicht. »Wenn Sie gesehen hätten, was ich gesehen habe, würden Sie keinen Fuß dort hinein setzen«, gibt sie zurück, macht auf dem Absatz kehrt und entfernt sich mit schnellen Schritten. »Keine zehn Pferde kriegen mich noch mal da rein.«

      Während ich Moira nachschaue, blitzt es draußen und gleißendes Licht flutet durch die Fenster auf der linken Seite des Ganges. Dann kracht ein Donnerschlag und lässt den Boden beben. Das perfekte Wetter, um meine spezielle Patientin kennenzulernen.

      Den Ordner mit der Krankenakte unter den Arm geklemmt, öffne ich die Tür, die den Übergang in den Westflügel der Residenz darstellt. Nach wenigen Schritten bleibe ich stehen und mustere verwundert die Umgebung. Waren die Räumlichkeiten der Residenz bislang von moderner Einrichtung dominiert, so wirkt der Westflügel, als wäre hier die Zeit stehen geblieben. Statt elektrischer Beleuchtung erhellen Kerzenleuchter an den Wänden die Umgebung, alt wirkende Gemälde säumen die Wand zur Linken, alles scheint irgendwie aus der Zeit gefallen.

      Einige Meter voraus schwingt eine Tür auf. »Moira hat sie nur bis zur Ecke gebracht, nicht wahr?«, höre ich eine weibliche Stimme fragen. »Keine Sorge, mein lieber Doktor, es besteht kein Grund, Angst vor mir zu haben. Treten Sie ein.«

      Noch vor Sonnenaufgang schreite ich durch Morgennebel, der den gesamten Friedhof überzieht. Die halbe Nacht lang lag ich wach, dennoch fühle ich mich so ausgeruht wie selten zuvor. Meine Schritte teilen das Wabern und drängen es für kurze Zeit zurück, doch unmittelbar hinter mir schließen sich die milchigen Wogen erneut. Schemenhaft ragen Grabsteine aus dem Dunst hervor, weiter hinten sehe ich die Silhouette eines Engels, die sich vor dem rötlich leuchtenden Horizont abzeichnet. Den Blick gebannt darauf gerichtet, verharre ich eine Weile, bis sich schließlich genau hinter dem Kopf der geflügelten Figur die Morgensonne emporschiebt. Goldene Strahlen verleihen der Statue des himmlischen Wesens eine Ehrfurcht gebietende Aura und bringen den Nebel zum Glühen.

      Ein Knurren ertönt hinter mir, wie das eines großen Hundes. Ich fahre herum. In den noch immer dichten Nebelschwaden kann ich nichts Konkretes ausmachen, doch mit einem Mal durchzuckt Schrecken meine Glieder. Unmittelbar vor mir flammt ein glutrotes Augenpaar auf, gleichzeitig vernehme ich erneut das Knurren. Mir läuft es kalt den Rücken runter, und bereits im nächsten Augenblick, noch bevor ich irgendeinen Gedanken fassen kann, stürmt aus dem Dunst eine Kreatur auf mich zu. Ihr wuchtiger Körper wirkt wie eine schauderhaft entstellte Mischung aus Hund und Bär, bewehrt mit mächtigen Pranken, die sich mit jedem Satz tief in den Boden graben. Seinem mit zwei Reihen messerscharfer Zähne besetzten Maul entfährt ein Brüllen, dass wie Donner grollt und den Boden beben lässt. Von Panik ergriffen taumle ich rückwärts, drehe mich um und stürze in Richtung des Engels davon, hoffend, hinter ihm in irgendeiner Weise Schutz zu finden. In meinem Rücken höre ich das Fauchen der Kreatur, das lauter wird von Sekunde zu Sekunde, meine schon seinen Atem im Nacken zu spüren, als ich die marmorne Figur erreiche. Im nächsten Augenblick bereits begräbt mich irgendetwas Gewaltiges unter sich, ich spüre Kälte, meine Sinne schwinden und Dunkelheit umfängt mich.

      Jill steht am Fenster, hat mir den Rücken zugewandt und schaut hinaus in die Nacht. Sie trägt ein opulent verziertes schwarzes Kleid und wirkt wie eine elegante Dame aus längst vergangener Zeit, ihre Haare sind mit silbernen Nadeln hochgesteckt. Regentropfen prasseln gegen die Scheiben, dann und wann blitzt es, Donnergrollen folgt.

      »Manchmal wünschte ich, dass der Regen niemals versiegen möge und seine Fluten alles Oberflächliche hinfort spülten, bis zum Vorschein kommt, was darunter liegt«, sagt sie.

      Währenddessen lasse ich meinen Blick durch den Raum schweifen, der jeder Kulisse eines historischen Films Ehre machen würde. Vom silbernen Kerzenleuchter auf dem Tisch, über die große Standuhr in der Ecke und den in die Wand eingelassenen Kamin, bis zum hölzernen Notenpult vor dem Bücherregal wirkt alles authentisch und alt. Teppich, Wände und der filigrane Stuck an der Decke erscheinen nicht wie Repliken, vielmehr überkommt mich das Gefühl, dass dieser Ort wirklich in der Vergangenheit liegt.

      »Lady de Lily hat Sie hierher eingeladen, um eine Diagnose zu stellen, nicht wahr?«, fragt Jill und wendet sich mir zu.

      »Deswegen bin ich hier«, bestätige ich. »Allerdings …«

      »Dann lassen Sie uns keine Zeit verlieren«, unterbricht sie mich. »Ich nehme an, Sie kennen meine Akte und wissen, dass Doktor Lazarus seine Versuche mich zu heilen, schon vor Langem aufgegeben hat. Und das will einiges heißen, wenn Sie seine tadellose Reputation selbst bei den bizarrsten Fällen bedenken.« Jill nimmt ein Päckchen langer Streichhölzer zur Hand und macht sich daran, die Kerzen im Leuchter auf dem Tisch anzuzünden. »Ganz sicher ist vermerkt, dass ich ab und an dazu neige, gewisse Ausbrüche emotionaler Natur zu haben. Fragen Sie Keith, der Arme kann Ihnen ein Liedchen davon singen. Einmal hätte ich ihn fast in Stücke gerissen, weil er mich nicht spielen lassen wollte. Nachtruhe, sagte er, da gäbe es auch für mich keine Ausnahme.« Jill rollt mit den Augen. »Doktor Lazarus nennt es wahnhaft bedingte Gewaltausbrüche, die aus einem defizitären Verhältnis zur Wirklichkeit resultieren.« Sie tritt an ein kleines Pult neben dem Bücherschrank, fördert einen Geigenkoffer zutage und wirft mir einen flüchtigen Blick zu. »Vielleicht sollten sie doch Angst vor mir haben.«

      »Ich bin zunächst nur hier, um mir einen ersten Eindruck von Ihnen zu verschaffen«, erwidere ich. »Grundsätzlich bin ich kein Freund vorschneller Urteile, sondern mache mir gern ein differenziertes Bild von den Dingen.«

      »Ich schätze diese Einstellung«, gibt Jill zurück und klemmt die Violine unter ihr Kinn. »Oft sehen wir einfach das, was wir erwarten, statt dem, was wirklich da ist, nicht wahr?« Sie spannt den Bogen und trägt etwas Kolophonium auf. »Lauschen Sie, dies hier wird Ihnen mehr offenbaren, als jede Akte es könnte.«

      Ein unangenehmes Gefühl der Anspannung ergreift Besitz von mir.

      »Nicht nur über mich«, fügt Jill hinzu. Mit spielerisch anmutender Leichtigkeit entlockt sie ihrem Instrument Melodien, die mich sofort gefangen nehmen und meinen ganzen Körper durchdringen. Ich betrachte meine Hände und könnte schwören, dass sie an einigen Stellen durchscheinend werden. Jill tänzelt durch den Raum, wirft sich im Rhythmus ihres Spiels hin und her, springt und dreht Pirouetten wie eine Ballerina. Ich vermag den Blick nicht von ihr abzuwenden und so bemerke ich eine Zeit lang nicht einmal, was um uns herum geschieht. Erst lange, nachdem der letzte Ton verklungen ist, sind meine Sinne wieder ausreichend klar.

      Entgeistert schaue ich die Frau an, die nun mit einer weißen Bluse und einem knielangen schwarzen Rock bekleidet ist, die Haare zu einem Zopf geflochten trägt und mir einen erwartungsvollen Blick zuwirft. Der Raum um uns ist hell erleuchtet, keine Spur mehr von dunklem Holz, Kerzenschein oder einem Kamin. An ihre Stelle sind moderne Einrichtungsgegenstände getreten, alles wirkt wie in einem dieser nahezu unbezahlbaren Apartments in der Großstadt.

      »Nun, mein Lieber, wie ist Ihr erster Eindruck von mir?«, fragt sie mit einem verschmitzten Lächeln. »Wir sollten das bei einem Drink besprechen, finden Sie nicht auch? Whisky oder Gin?«

      Ich öffne die Augen und sehe leicht benommen weißlich schimmernde Nebelschwaden über mich hinwegziehen. Der Geruch von Erde dringt in meine Nase und einen Augenblick später werde ich erschrocken der Tatsache gewahr, dass ich rücklings in einem frisch ausgehobenen Grab liege.

      »Doktor?«, höre ich eine Stimme rufen. »Wo sind Sie?«

      »Ich bin hier unten«, gebe ich zurück und rapple mich auf. Der Himmel ist dunkel. Sollte es nicht helllichter Tag sein? Unbeholfen mache ich mich daran, aus dem mannshohen Loch zu klettern, doch das gestaltet sich schwieriger als erwartet. Meine Hände gleiten durch feuchte Erde, die ich kaum zu greifen vermag.

      »Ah, ich sehe Sie«, ruft die Stimme, die mir seltsam vertraut vorkommt. »Warten Sie, ich helfe Ihnen heraus.«

      Eine Frau in einem schwarzen Kleid