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DIE RESIDENZ IN DEN HIGHLANDS


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essen wir, allein in der Küche, mitten in der Nacht. Die Wärme der Suppe strömt belebend durch meinen Körper und vermag sogar den Geruch feuchter Erde endgültig aus meiner Nase zu vertreiben.

      »Das Einzige, was noch besser ist als Suppe«, hebt Jill an, nachdem ich ihren Teller zum zweiten Mal gefüllt habe, »ist die Kunst. Sie erlaubt es, unserer Finsternis Form zu verleihen, sie zu packen und ins Licht zu zerren. Vor dem zu fliehen, was uns des Nachts auflauert, formlos und unheimlich, ist nicht der richtige Weg. Vielmehr müssen wir uns ihm stellen, bewaffnet mit Pinsel, Feder oder eben einer Violine, dürfen nicht zurückweichen.« Sie tunkt etwas Brot in die Suppe. »Wir alle stemmen uns auf unsere Weise der Dunkelheit entgegen.«

      »Ich weiß nicht, wie lange ich dem noch standzuhalten vermag«, flüstere ich. »Es ist, als käme die Finsternis unaufhaltsam näher, jeden Tag ein Stückchen, bis sie mich irgendwann vollständig eingehüllt haben wird.«

      Jill hebt die Hand, ballt sie zur Faust und streckt sie mir entgegen. »Ich habe etwas für Sie, ein Geschenk«, sagt sie und öffnet ihre Hand. »Es wird Ihnen helfen, die Finsternis zu bezwingen.« Ein pechschwarzer Schmetterling sitzt auf ihrer Handfläche, bewegt die Flügel, erhebt sich gleich darauf in die Luft, flattert eine Runde über dem Tisch und landet schließlich auf meinem Handrücken.

      Jill beugt sich nach vorn. »Bald schon müssen wir uns nicht mehr auf diese Art treffen«, flüstert sie und löscht die Kerzenflamme zwischen Daumen und Zeigefinger. »Gute Nacht, mein Lieber.«

      »Nun Doktor, Sie sind hier, um eine Diagnose zu stellen«, sagt Jill in aufforderndem Ton, nachdem sie unsere Gläser gefüllt hat. »Aber die spannende Frage ist nicht, wie sie lautet …«

      »… sondern wem ich sie stelle«, beende ich ihren Satz. Ich bin hier nicht der Arzt, ich bin der Patient.

      Ein breites Lächeln liegt auf dem Gesicht der Frau, die mir gegenübersitzt und ein Whiskyglas in der Hand hält. »Das ist keine Antwort, die ich heute von Ihnen erwarte, mein Lieber«, setzt sie an, »wir haben viel Zeit dafür.« Sie prostet mir zu. »Heute lassen Sie mich Ihnen ein wenig von mir erzählen, gerade genug, um Ihr Interesse auch langfristig zu wecken.« Wir trinken und Jill fährt fort. »Als ich in dieser Welt ankam, fühlte sich jeder Atemzug, jeder Gedanke, einfach alles, an, wie flussaufwärts zu schwimmen, gegen die Strömung zu kämpfen, ringend um jeden Zentimeter. Jedes Innehalten, jedes Zögern, jeder Moment der Schwäche schwemmt uns davon, dem Herz der Finsternis entgegen. Einzig die Kunst, der Funke in uns, ist das rettende Seil, an dem wir uns festklammern. Dennoch schlucken wir Wasser aus dem Acheron, Tag für Tag. Das, was in ihm liegt, all der Schmerz, das Leiden und die Verzweiflung, breitet sich in uns aus, wuchert und bringt Monster hervor, wenn wir nicht dagegen ankämpfen.«

      »Warum sind Sie hier?«, unterbreche ich Jills Vortrag. Sie schaut mich an und deutet dann auf den Schreibtisch.

      »Meine Tochter Zoe«, sagt sie, während ich das Foto mustere, auf dem Jill neben einem Mädchen mit einer wirklich wilden Frisur zu sehen ist. »Sie sagte, hier würde ich etwas finden, das unsere Welt nicht bieten könne. Aber … sie und ich, wir …« Zum ersten Mal bemerke ich so etwas wie Unsicherheit in ihrer Stimme. »Nun, sagen wir, es ist …«

      »Kompliziert?«, biete ich an.

      »Ja, das trifft es ziemlich gut«, lacht Jill. »Es ist kompliziert.« Sie leert ihr Glas. »Wenn wir mehr Zeit haben, mein Lieber, erzähle ich Ihnen von meinen Schwestern und unserer dunklen Mutter jenseits der Sterne, von Welten, so fantastisch, dass Ihnen der Verstand übergehen wird. Das ist eine Geschichte für einen anderen Tag, aber jetzt sollten Sie aufwachen.«

      »Mein Herr, wir sind gleich da«, sagt Cyrus.

      Ich schrecke hoch, war wohl eingenickt. »Danke«, murmle ich und richte den Blick nach vorn, während wir auf den Vorplatz der Residenz fahren. Ein altertümlich gekleideter Mann mit einem imposanten Schnauzbart steht im Eingangsbereich und winkt uns zu. Der Fahrer hält direkt davor, steigt aus und öffnet mir die Tür.

      »Cyrus, wie immer pünktlich auf die Minute«, ruft der Mann und lässt eine goldene Taschenuhr in einer seiner Westentaschen verschwinden. Er trägt eine Brille, die der meines Fahrers zum Verwechseln ähnlich sieht. »Ich bin Doktor Renato Lazarus«, begrüßt er mich freundlich, kaum dass ich aus dem Wagen gestiegen bin. »Es ist mir ein großes Vergnügen, jemanden Ihres wissenschaftlichen Kalibers in unseren bescheidenen Hallen begrüßen zu dürfen.«

      Ich stelle mich ebenfalls vor und mustere den Mann, der absolut dem Klischee des exzentrischen Wissenschaftlers zu entsprechen scheint. In der Ferne grollt ein Donnerschlag, die dunklen Wolken über der Residenz künden ebenfalls von einem nahenden Gewitter. Cyrus hat derweil mein Gepäck aus dem Kofferraum geholt und ist dabei, es in die Residenz zu tragen.

      Erste Tropfen fallen, wenige zunächst, doch schon Augenblicke später nimmt die Intensität des Regens zu. Erst jetzt denke ich daran, dass ich die ganze Zeit über den Brief von Lady de Lily in der Hand halte, und bin einen Moment lang verwirrt, als ich das Schriftstück betrachte. Ich erwartete verlaufene Tinte und nasses Papier, doch die Regentropfen fallen einfach hindurch, so wie durch meine Hände und Arme, meinen gesamten Körper.

      »Machen Sie sich deswegen keine Sorgen«, lacht Doktor Lazarus, »ich arbeite daran und schon bald können Sie sich wie alle anderen den Kopf am Eingang zur Bibliothek stoßen, wie es sich gehört.« Er deutet auf seine Brille. »Und dann brauchen wir auch die hier nicht mehr.« Erneut lacht er. »Aber jetzt kommen Sie erst mal rein, ich führe Sie ein wenig rum und zeige Ihnen Ihre Räumlichkeiten. Herzlich willkommen in der Residenz.«

Friedhof

Angus_Mackay

      Ansgar Sadeghi

      Der griesgrämige Herr Butzemann

      Dies sind die ersten Seiten des Tagebuchs von Bartholomäus Butzemann. Der ausrangierte Nachtmahr und zum Clown gewordene Kinderschreck ist neuer Bewohner der Residenz. Falls Sie einige Zeilen in seinem Tagebuch als Worte eines frustrierten Griesgrams empfinden: Sie haben wahrscheinlich recht.

      Die Ankunft

      Das ist also mein Ende, die letzte Lebensetappe: eine Residenz im Nichts. Das Nichts liegt im äußersten Nordwesten Schottlands am kleinen und einsamen Ort Shegra. Ich bin jetzt ein Bewohner der Residenz. »Das sei besser so«, meinte mein Manager nach meinem Nervenzusammenbruch. Ich hätte genug gearbeitet. Es sei Zeit für die Rente. Er habe nur Gutes im Sinn. Klar. Mein Geld zum Beispiel.

      Die Residenz kommt mir vor wie ein überdimensionierter Schuhkarton, eine Aufbewahrungsbox für hässliche Nutzlosigkeiten, ein Restedepot für abgehalfterte Monster. Das Gebäude ist angemessen reich verziert. Schließlich ist diese Altersresidenz weltweit bekannt und beliebt. Für mich bleibt sie ein Schuhkarton. Vielleicht ist sie etwas besser als die Schulen und Kindergärten, in denen ich im Kreis herumgetanzt bin, weil ein Butzemann nun einmal im Kreis herumtanzt. EIN BUTZEMANN IST EIN KINDERSCHRECK! Keine Witzfigur. Kein Wunder, dass man irgendwann zusammenbricht.

      Mein feiner Herr Bruder arbeitet erfolgreich als Horrordarsteller in den USA: der »Bogeyman«. Mein bescheuerter Bruder, der sich mit sechs Jahren noch eingenässt hat, der, blöde Grimassen schneidend, gegen den Laternenpfahl gelaufen ist und der sich vor Zwergkaninchen fürchtet. Mein toller Bruder. Ich mag ihn NICHT. Ich mag ihn wirklich nicht.

      Doktor Lazarus habe ich bei meiner Ankunft in der Residenz nicht gesehen. Ist wohl zu beschäftigt, die berühmte Koryphäe. Polt Menschen und Monster um, verwandelt Bischöfe in Satanisten und Kannibalen in Veganer. Toll! Toll! Toll! Ausgerechnet er leitet die Residenz. Der soll versuchen, mich umzupolen, der Gute. Dann gibt es was auf die Mütze! Das schwöre ich. Persönlich begrüßt hat mich der Manager der Residenz, was mich gefreut hat (nicht!). Er war so freundlich wie ein Metzger, der ein Schwein willkommen heißt. Komm rein. Fühl dich wie zu Hause. Du siehst lecker aus, du Kotelett. Er hat gemerkt, dass ich mich unwohl fühle. »Sie gewöhnen sich schnell ein«, meinte er jovial. »In einigen