stellen?«, blaffte er Marcus an. »Das hätte einerseits in die Hose gehen können – im wahrsten Sinne des Wortes, und war andererseits nicht fair gegenüber den Menschen, die dir helfen wollten.«
»Dann denkst du nicht, dass ich auf Männer stehe?«, fragte Marcus der Schöne. Wirkte der Idiot sogar ein wenig erleichtert?
»Es ist schwer genug, als offen homosexueller Mann in dieser Branche ernst genommen zu werden. Dieser Film ist in vielerlei Hinsicht wichtig. Da kann ich einen Hampelmann, der sich über uns lächerlich macht, gar nicht gebrauchen.«
»Das ist nicht meine Absicht«, verteidigte sich sein Kollege. »Ich wollte mir nur einen Eindruck verschaffen, wie ihr … wie Männer wie …«
»Schwule«, half Charlie aus. »Das Wort, das du suchst, heißt schwul. Wenn du das nicht einmal in den Mund nehmen willst, was wirst du dann gleich mit meiner Zunge anstellen?«
Marcus erbleichte. »Tut mir leid. Das alles ist ziemlich verwirrend. Ich verspreche, ich werde mein Bestes geben. Können wir einfach vergessen, dass wir uns vor dem heutigen Tag schon einmal getroffen haben?«
Enttäuscht zuckte Charlie mit den Schultern. Seine Hoffnung der letzten Wochen, dass dieser Film etwas Besonderes werden würde, verpuffte von einer Sekunde auf die andere. »Wie du willst. Sobald du bereit bist, legen wir los, damit wir diesen Dreh rasch hinter uns bringen.«
Er wartete nicht auf die Antwort des anderen, sondern ging los, um noch ein paar Crewmitglieder zu begrüßen und sich letzte Instruktionen abzuholen. Wenigstens einer von ihnen sollte sich professionell verhalten.
Keine zehn Minuten später wurde er für die erste Einstellung zurück vor Everetts Zimmer gerufen. Er stellte sich an seine Position und schloss die Augen. Von einer Sekunde auf die andere wurde er zu Wayne, der befürchten musste, die Kontrolle über sein Leben zu verlieren.
Arizona. Fünfziger Jahre. Brütende Hitze. Weites Land. Rinder und jede Menge Heu.
Wayne hatte einen harten Tag hinter sich. Die Arbeit war anstrengend gewesen. Er sehnte sich danach, die Beine hochlegen zu können. Doch erst galt es, eine Sache mit seinem neuen Angestellten zu klären. In den vergangenen Tagen war die Spannung zwischen ihnen immer mehr angestiegen. Wayne hegte die Vermutung, dass Everett schwul war und ebenfalls das Verlangen verspürt hatte, ihm näher zu kommen. Während der Arbeit des Tages war es nicht möglich, sich Klarheit darüber zu verschaffen. Sie waren selten allein und selbst dann könnten sie belauscht oder jederzeit erwischt werden, sollte die Anziehungskraft tatsächlich auf beiden Seiten bestehen. Also suchte er Everett in seinem Zimmer auf. Länger ertrug Wayne die Unsicherheit nicht mehr.
Als er die Augen öffnete, atmete er noch einmal tief durch. Dann klopfte er an Everetts Tür.
»Sekunde«, erklang die Stimme des anderen von drinnen. Undefinierbare Geräusche waren zu hören, dann wurde geöffnet.
»Boss! Habe ich vergessen, eine Aufgabe auf meiner Liste zu erledigen?« Nervosität zeigte sich auf Everetts Gesicht. »Ich habe doch nichts falsch gemacht?«
Wayne schüttelte den Kopf. »Darf ich kurz reinkommen?« Sein Blick glitt über Everetts Oberkörper. Das Hemd hatte sein Angestellter bereits geöffnet, weshalb das Unterhemd hervorblitzte.
Everett trat zur Seite und gab den Weg frei. Als Wayne an ihm vorbei war, schloss er die Tür.
Endlich allein. Wayne wandte sich um. »Wir sollten uns unterhalten. Über das, was da zwischen uns ist«, sagte er heiser und machte einen Schritt auf den anderen zu.
Erschrecken zeigte sich auf Everetts Gesicht. »Ich weiß nicht, was du …« Er stieß die Luft aus, versuchte sich nicht in Ausflüchten. »Es tut mir leid. In deiner Nähe kann ich einfach nicht unterdrücken, was ich wirklich bin. Natürlich packe ich sofort meine Sachen. Ich hätte dich nicht in diese Situation bringen dürfen. Verrate mich nur nicht …«
Wayne stoppte ihn mit einem Kuss. Er legte eine Hand in Everetts Nacken und zog ihn näher an sich heran. Ein überraschter Laut kam über Everetts Lippen. Mit dem Daumen seiner freien Hand strich Wayne über den Kiefer des anderen und vertiefte den Kuss.
Wollte den Kuss vertiefen.
Scheiterte an den unnachgiebigen Lippen seines Kusspartners.
Er nahm einen weiteren Anlauf und legte den Kopf schief. Er verstärkte den Druck, damit dieser Kuss doch noch echt wirkte.
»Cut!«, unterbrach sie die schneidende Stimme von Jonathan Demme. »Das versuchen wir gleich nochmal. Aber dieses Mal will ich, dass es nicht so verdammt steif wirkt. Lovett, lassen Sie mich meine Entscheidung für Sie nicht bereuen!«
Marcus nickte. In seinen Augen las Charlie Verunsicherung und Versagensangst.
Gegen seinen Willen verspürte er Mitgefühl. Er selbst war in seinen Anfängen auch ganz ähnlich tollpatschig gewesen. Ihm hatte man geholfen, damit er hatte besser werden können. Diesen Gefallen würde er jetzt Marcus erweisen, obwohl er nicht sicher war, ob der andere das verdient hatte. Irgendetwas an dem Mann weckte das Bedürfnis, auf ihn aufzupassen. Eine Regung, die ihm gar nicht gefiel, gegen die er sich allerdings auch nicht wehrte. Marcus musste besser werden, sonst würde auch Charlie nicht glänzen können. An sein Talent würde der Neuling ohnehin nicht heranreichen.
»Fünf Minuten Pause«, bat er.
Der Regisseur wirkte nicht sonderlich glücklich, aber da musste er jetzt durch. Charlie hatte das Gefühl, Marcus brauchte eine kleine Lehrstunde, bevor sie fortfahren konnten.
»Lass dich ganz in die Rolle fallen«, erklärte er leise, sobald die Crew abgelenkt wirkte. »Du musst zu Everett werden. Versuche, seine Sorgen und Träume nachzuvollziehen. Stell eine Verbindung zu ihm her, dann wird das schon.«
»Daran scheitert es nicht«, murmelte Marcus, während sich seine Ohren erhitzten.
Verdammt, wenn er seine Reaktionen so schlecht unter Kontrolle hatte, konnte das ein langer Drehtag werden. »Was ist dann das Problem?«
Marcus räusperte sich, sah nach beiden Seiten und beugte sich dann näher zu Charlie. »Das Küssen. Ich habe noch niemals einen Mann geküsst. Ich weiß nicht, ob ich glaubhaft genug bin. Küsst ihr anders als … als wir?«
Okay, möglicherweise besaß Charlie ebenfalls nicht sonderlich große Selbstbeherrschung. Mit Sicherheit sah man ihm seine Verärgerung an, wenn es nach den angespannten Muskeln in seinem Gesicht ging. »Was denkst du, was wir anders machen? Glaubst du, zwei Kerle sind zusammen zu keiner Zärtlichkeit fähig? Schließ die Augen und stell dir vor, ich wäre eine Frau. Eine große, flachbusige Frau.«
»Aber du hast einen Bart!«
Charlie lachte auf. Gott, das war zu köstlich. »Und?«
»Es fühlt sich anders an.«
»Natürlich. Schließlich bist du jetzt schwul. Da solltest du dich schon verändert fühlen.« Er unterdrückte ein Grinsen.
Der Neuling wurde ein wenig blass um die Nase. Wenigstens war damit das Problem der roten Ohren gelöst. »Vielleicht ist das hier ein Fehler«, murmelte er.
So weit sollte die Verunsicherung nun doch nicht gehen. Auch wenn es für Charlie von Vorteil wäre, wenn man ihm wie geplant einen blonden Weichling an die Seite stellte, bereute er plötzlich, Marcus dermaßen in Verlegenheit gebracht zu haben.
»Ach, was.« Er klopfte Marcus auf die Schulter. »Du hast dich gar nicht so schlecht angestellt. Dein Schauspiel war total überzeugend, bis es zum Kuss kam. Du hast Talent. Nach fünf Minuten solltest du noch nicht aufgeben. Wenn du kein Durchhaltevermögen beweist, wird aus dir niemals ein guter Schauspieler.«
»Ich habe bereits in einigen Filmen mitgespielt. Das hat dir anscheinend noch niemand gesagt. Ich bin kein blutiger Anfänger, der nicht weiß, was er tut. Ich fühle mich lediglich ein wenig überfordert von der Tatsache, dass ich mich diesmal an einen Mann ranmachen soll.«
»Welche Filme?«, fragte Charlie. Er hatte vor dem heutigen Tag noch nicht von Marcus Lovett gehört.