»Nein.« Sie zuckte die Achseln.
Marcus streckte die Hand mit dem Skript aus. »Hier.«
Sie nahm das Papier und rollte es aus, um schnell über die Zeilen zu fliegen. »Ah. Die Szene.« Sie zwinkerte ihm zu. »Ich improvisiere.«
Marcus nahm überrumpelt den Text zurück. Sie wendete sich ab und fuhr sich durch die blonde Mähne. »Okay, ich bin ein bedauernswertes Mädchen vom Lande, von ihrem Bruder unterdrückt und über beide Ohren verliebt in einen Taugenichts.«
Marcus lachte auf. Zwar kannte er das Skript nicht, aber die Zusammenfassung klang pathetisch.
Denise wuschelte sich das Haar auf, was Marcus besonders fragwürdig fand. Er hatte die Schwester Wayne Kleins nicht als Vamp gesehen, sondern als Backfisch, der sich Hals über Kopf in den ersten passenden Kerl verliebte. Aber er wollte sich nicht in ihre Interpretation einmischen. Stattdessen konzentrierte er sich auf seine eigene Einfindung in seine Rolle. Er schloss die Augen, atmete tief durch und stellte sich vor, dass die sengende Hitze von Arizona sich auf ihn herabsenkte. Er stand in der Scheune. Der Geruch nach frischem Heu, Stroh und Pferden hing in der Luft und auch die passenden Geräusche stellte er sich vor. Hufgestampfe, Wiehern, vielleicht auch ein Summen von Mücken und anderen Insekten?
Er streckte sich.
»Mr Steele!«, sprach Denise ihn mit hoher Stimme an. Sie legte die Hände aneinander und hob sie an die Wange. »Ich habe Sie überall gesucht!«
Marcus runzelte die Stirn. Der Originaltext war anders.
»Miss Klein.« Er nickte ihr reserviert zu. »Wie kann ich Ihnen helfen?« Sie drehte sich in der Hüfte von links nach rechts.
»Da fiele mir schon etwas ein.« Sie warf ihm einen dieser Blicke zu, die schüchtern und kokett zugleich wirken sollten.
Marcus räusperte sich. »Nun?« Er trat an ihr vorbei und tat so, als nähme er einen Sack auf und würfe ihn sich über die Schuler. »Sie entschuldigen hoffentlich, es gibt noch so viel zu tun.«
»Oh. Es ist Mittagszeit. Werden Sie Ihre Arbeit denn nicht unterbrechen? Kommen Sie doch zu mir in die Küche und …« Sie verstellte ihm den Weg, sodass er fast in sie hineinlief. Marcus streckte die Hand aus und stabilisierte sie am Ellenbogen. Denise nutzte es, um sich ihm an die Brust zu werfen.
»Oh Mr Steele, ich muss Ihnen gestehen …« Sie drückte sich mit ihrem gesamten Körper an ihn. »… dass ich Ihnen nah sein möchte.«
Marcus beugte sich zur Seite, um den imaginären Sack zu Boden gleiten zu lassen, dann schob er Denise sacht von sich. »Miss Audrey, bitte. Sie bringen mich in Schwierigkeiten.« Marcus gab seiner Stimme einen Hauch von Härte in einem Meer an Mitgefühl.
Denise schüttelte den Kopf und versuchte, ihm den Arm um den Nacken zu schlingen, was Marcus aber unterband. »Nein, Wayne schätzt Sie sehr. Und ich auch. Ich wünsche mir …«
»Miss Audrey!«, unterbrach er sie nun fester, wobei er ihre Oberarme umklammerte. »Kommen Sie zur Vernunft.«
Nun sollten sich Tränen in ihren Augen zeigen, aber so tief steckte Denise sichtbar nicht in ihrer Rolle. Auch das Schluchzen klang nicht echt. »Aber ich liebe Sie!«, äußerte sie theatralisch.
Marcus keuchte, sein Widerstand erlahmte gerade genug, dass sie ihn erneut umschlingen und auch ihren Mund auf seinen drücken konnte. Ein Kuss war jedoch nicht Teil des Skripts. Marcus presste die Lippen aufeinander, damit sie den Kuss nicht intensivieren konnte, und stieß sie so schnell von sich, als hätte sie plötzlich in Flammen gestanden. Er liebte ihren Bruder und konnte nichts mit Mädchen anfangen, ganz gleich wie hübsch sie waren. »Nicht!« Wie sollte er Wayne gegenübertreten und ihm seine Liebe offenbaren, nachdem der hiervon Wind bekommen hatte? Nein, er musste diese Situation jetzt und hier klären. Also musste er Ruhe bewahren, auch wenn er aufgebracht war. Sein Herz klopfte wild in seiner Brust und Ärger mischte sich mit Frustration.
Denise fing sich am Schreibtisch ab. Sichtbar irritiert.
»Es tut mir leid!«, versicherte Marcus, um die Wogen zu glätten, und er streckte zwar die Hand nach ihr aus, berührte sie aber bewusst nicht, auch wenn er nah genug bei ihr stand. »Audrey, ich kann Ihre Gefühle nicht erwidern.« Er räusperte sich, da seine Stimme bedeckt klang. »Ich mag Sie, aber … Mein Herz …« Er stockte vor dem großen Geständnis. »Gehört einer anderen Person.«
Denise keuchte und riss die Augen auf. »Sie lieben …«
»Eine wundervolle, großherzige und noble Person. Ja. Ich verstehe, wie niederschmetternd meine Worte für Sie sein müssen. Allein die Vorstellung, mein Herzensmensch könnte meine Gefühle nicht erwidern …« Marcus legte so viel Schmerz in seine Stimme, dass sie brach und er schlucken musste, um fortzufahren. Der Moment war schlicht zu intensiv, aber er konnte sich nicht zurücknehmen. Es war zu spät, um sich zu zügeln, nun musste er die Intensität halten und es zu einem passenden Abschluss führen. »… zermalmt mir die Eingeweide«, fuhr er fort. Er krümmte sich leicht und ballte die Faust, die noch nach ihr ausgestreckt war. »Ich wünschte, Audrey, dass ich Ihnen diesen Schmerz ersparen könnte. Ich wünschte, dass ich Ihre Liebe erwidern könnte, aber das wird niemals möglich sein.« Die Spannung war unerträglich, trotzdem wartete er mit der letzten Eröffnung noch einen Augenblick länger, bevor er die Worte aussprach, die man nicht von der Person hören wollte, die einem die Welt bedeutete. »Sie sind wie eine Schwester für mich.«
Denise riss die großen Augen noch weiter auf. Ihre Hände flogen zu ihrem Mund und wieder schluchzte sie. Plötzlich stürmte sie auf ihn zu, schubste ihn zur Seite und rannte weiter.
Marcus entließ den Atem, denn sie waren am Ende ihrer Vorstellung angelangt. Er rieb sich den Nacken und warf den Ballast der Rolle ab. Eine Liebeserklärung, auch wenn sie nicht direkt an die Person gerichtet worden war, der sie galt.
Seine Haut prickelte und sein Magen schwankte, so intensiv waren seine Gefühle und es dauerte bedeutend länger, zu sich selbst zurückzufinden, als gewöhnlich. Er räusperte sich wieder. Wow. Er hätte nicht gedacht, dass er sich in diesen Moment einfühlen könnte, schließlich war er nicht mehr der Typ, der sein Herz verschenkte. Er behielt lieber die Kontrolle über sein Sehnen und räumte den Ladys nicht die Macht ein, ihn bis in die Grundfeste zu erschüttern.
Denise war zurück und hängte sich an seinen Hals. Sie lachte überschwänglich. »Wer hätte gedacht, dass ich noch einmal eifersüchtig auf meinen Bruder sein würde?« Sie zwinkerte, bevor sie ihre Lippen mit seinen verschmolz. Marcus’ erster Impuls war, sie wieder von sich zu schieben. Er liebte Wayne! Allerdings fand die Realität gerade noch rechtzeitig zurück in seinen Fokus und er schlang stattdessen die Arme um die sexy Kollegin, um den Kuss zu erwidern. Eine zweite Einladung schlug er sicher nicht aus!
Kapitel 6
»Wer ist jetzt der geheimnisvolle Newcomer, von dem überall gesprochen wird?«, fragte Charlie Uma leicht genervt. Gerade wurde er in der Maske für den Dreh der ersten Szene vorbereitet. Zu gerne hätte er vorab ein paar Informationen erhalten, die über den Tratsch und Klatsch hinausging.
Ja, über den Kerl wurde bereits getuschelt. Der weibliche Teil der Crew seufzte bloß, lief mit glasigen Augen herum und war zu nichts zu gebrauchen. Die Männer am Set hingegen brachten ihren Neid zum Ausdruck, weil der Neue anscheinend bei Denise gelandet war. Was auch erklärte, warum der Unbekannte die Rolle ergattert hatte.
Die Maskenbildnerin erwiderte seinen Blick im Spiegel. »Er heißt Marcus Lovett und ist wohl der attraktivste Mann, den ich jemals gesehen habe«, erklärte sie schwärmerisch. Dann überzog leichte Röte ihre Wangen. »Natürlich erst nach dir.«
»Natürlich«, brummte er verstimmt. Konkurrenz belebt das Geschäft, sagte man. Er hatte dazu eine etwas andere Meinung. »Wenigstens darf ich den harten Kerl spielen. Soll der Softie halt die Fans kriegen, die auf Sensibelchen stehen. Dank seines blonden Schopfes spricht er auch optisch andere Frauen an.«
»Diesbezüglich gab es wohl eine kleine Änderung.«
»Betreffend