Vgl. A. KÄFER, Inkarnation und Schöpfung. Schöpfungstheologische Voraussetzungen und Implikationen der Christologie bei Luther, Schleiermacher und Karl Barth, Berlin/New York 2010.
G. EBELING, Dogmatik des christlichen Glaubens II, Tübingen 1979, 10.
A.a.O., 91.
|111|Reflexionen und Impulse zur Diskussion
Georg Neugebauer
In der zur Diskussion stehenden Formel aus dem zweiten Artikel des Apostolikums ist der Prozess einer religiösen und theologischen Selbstverständigung altkirchlicher Glaubensgemeinschaften zum Abschluss gekommen. Zwar lassen sich alle Elemente, die darin Erwähnung finden, auf die neutestamentliche Überlieferung zurückführen. Die Hoheitstitel sind allesamt biblisch belegt. Sodann bekannte Petrus gegenüber Jesus: σὺ εἶ ὁ χριστός (»du bist der Christus«). Auch der Sohnestitel findet vielfach Verwendung. Selbiges gilt von der Bestimmung, dass Jesus der Herr sei. Und schließlich ist auch der Ausdruck μονογενής (»ein[zig]geboren«) in Joh 1,14 festgehalten. Aber auch wenn diese Elemente ihr Fundament im Neuen Testament besitzen, finden sie sich dort nicht in so geballter Form zusammengestellt wie im Apostolikum. Die Formel und an Jesus Christus, seinen einigen Sohn unsern Herrn, an deren Anfang die Verbindung zwischen dem Namen »Jesus« und dem Messiastitel steht, trägt die ganze Spannung bzw. das Paradox der Christologie in sich.[1]
Es bildet nun eine der zentralen Fragen innerhalb der Diskussion dieses Lehrstücks, welche Aspekte von Jesu Leben, seinem Auftreten und seiner Wirksamkeit in Galiläa und Jerusalem zum Grund und zum Inhalt des Glaubens gehören. Das Spektrum an Antworten reicht von der vollständigen Ausblendung des historischen Jesus bis hin zu der Auffassung, die Christologie ausschließlich von dieser Person her konzeptualisieren zu können. Karl-Wilhelm Niebuhrs Beitrag Jesus, der Israelit setzt in diesem Zusammenhang einen besonderen Akzent und betrachtet das besagte Problem aus der Perspektive des Corpus Paulinum.[2] Die überraschende Antwort, die Niebuhr gegeben hat, |112|lautet: Wesentlich ist die jüdische Herkunft Jesu. Doch will er diesen Gesichtspunkt nicht allein als einen Beitrag zum Verständnis der Theologie des Heidenapostels verstanden wissen. Vielmehr sind seine Ausführungen mit dem Ziel verbunden, die »Israel-Vergessenheit der altkirchlichen Bekenntnisse« biblisch-theologisch aufzubrechen.
Dass es sich dabei für Niebuhr um keinen – mit Albert Schweitzer zu sprechen – Nebenkrater des paulinischen Denkens handelt, lässt sich an dem semantischen Feld ablesen, das in diesem Zusammenhang Verwendung gefunden hat. Dass Jesus ein Israelit bzw. jüdischer Herkunft war, gehört zu den »Grundaussagen« der paulinischen Christologie und Soteriologie. Es handelt sich um »Grundmotive« bzw. »wesentliche Elemente«. Gerade der schwierige Ausdruck des Wesentlichen impliziert, dass diesem Urteil eine kritische Scheidung zugrunde liegt. Denn wenn die jüdische Herkunft Jesu für die Soteriologie und Christologie des Heidenapostels wesentlich ist, dann heißt das zugleich, dass andere Aspekte diese Qualität bzw. diesen Wert nicht besitzen können. Die Bestimmung wesentlicher Elemente setzt der Werturteilsstruktur entsprechend zugleich das Vorhandensein unwesentlicher Elemente voraus. Hieran knüpft die erste Anfrage an den Beitrag Niebuhrs an, der ich zwei weitere an die Seite stellen möchte.
1) Niebuhr setzt sich mit den Passagen, in denen sich Paulus auf die jüdische Herkunft Jesu bezieht, ausführlich auseinander. Der Bedeutungsgrad, den dieser Aspekt innerhalb der paulinischen Theologie besitzt, lässt sich m.E. aber erst dann vollständig plausibilisieren, wenn er mit anderen zentralen Elementen derselben in Beziehung gesetzt wird. So ist es doch – auch für Niebuhr – völlig unstrittig, dass etwa der Begriff des Kreuzes in der Theologie des Heidenapostels fest verankert ist. Selbiges gilt für den christologisch durchdrungenen Geistbegriff. Wie aber verhalten sich diese Dimensionen der paulinischen Christologie zu der von Niebuhr aufgeworfenen? Liegen sie auf derselben Ebene, sind sie untergeordnet oder handelt es sich um Aspekte, die sich nicht ohne Weiteres miteinander in Beziehung setzen lassen? Es wäre für das Verständnis der aufgestellten These ausgesprochen hilfreich, deren Gehalt – zumindest andeutungsweise – in dem hier beschriebenen Sinne zu kontextualisieren. Denn der |113|von Niebuhr herausgestellte Gesichtspunkt der jüdischen Herkunft Jesu berührt auch die Frage nach dessen Normativität für die Selbstverständigung des christlichen Glaubens. Hieran knüpft ein zweiter Gesichtspunkt an.
2) In der Diskussion um die Christologie wurde im 20. Jh. mehrfach mit dem Begriffspaar Faktum und Deutung/Bedeutung operiert.[3] Das Faktum wurde auf den historischen Jesus bezogen und die Frage bestand – und besteht bis zum heutigen Tage – darin, wie sich die Verknüpfung dieser historischen Gestalt mit dem Messiassymbol erklären lässt. Die Position Niebuhrs lässt sich in diese Diskussion insofern einzeichnen, als er ausdrücklich bemerkt: »Der Name Jesus definiert also den Sinn des christlichen Messiasbekenntnisses, nicht legt umgekehrt eine (oder gar ›die‹) traditionelle biblisch-jüdische Messiaserwartung fest, wie der christliche Messias auszusehen hat und was das christologische Bekenntnis bedeuten soll.« Die damit festgelegte »Leserichtung« besagt also, dass der Name »Jesus« und das damit verbundene »geschichtlich-konkrete Leben eines Juden« die entscheidende bedeutungsstiftende Funktion für die christliche Messiasvorstellung besitzt. Die biblisch-jüdische Messiaserwartung wird demgegenüber in die zweite Reihe gestellt, d.h. ihr wird keine sinnkonstituierende Funktion für das christliche Messiasbekenntnis zugebilligt. Um die Außergewöhnlichkeit dieser Leserichtung zu unterstreichen, hat Niebuhr wenige Zeilen zuvor bemerkt, dass es sich bei »Jesus« um einen »jüdischen ›Allerweltsnamen‹« handelt, der »von sich aus keinerlei christologische Bedeutung in sich trägt«. Damit aber würde Niebuhr die Auffassung vertreten, dass das »Jesusphänomen« den exklusiven Bestimmungsgrund der christlichen Messiasvorstellung darstellte. Wenn dem so wäre, müsste die christliche Messiasvorstellung als eine Neuschöpfung bzw. -kodierung des Ausdrucks »Messias« im strengen Sinne des Worts begriffen werden. Dagegen lässt sich aber – auch wiederum mit Niebuhr – einwenden, dass für Paulus auch der »Gedanke der Messianität im biblisch-jüdischen Sinn maßgeblich ist«. Diese Formulierung schwächt die zuvor aufgestellte These von der eindimensionalen Leserichtung ab und deutet ein nicht weiter erläutertes Wechselbedingungsverhältnis zwischen der jüdischen Messiasvorstellung und dem christlichen |114|Messiasbekenntnis an. Das aber wirft die Frage auf, wie die Relation zwischen dem »Jesusphänomen« und der überlieferten jüdischen Messiasvorstellung als Bestimmungsgründen des christlichen Messiasbekenntnisses spezifiziert werden kann.
3) Der dritte Gesichtspunkt schließlich berührt den Text des Apostolikums selbst. Dieser besitzt eine lange Entstehungsgeschichte und kennt eine Vielzahl an überlieferten Varianten, die bereits um 1900 von Ferdinand Kattenbusch in eindrucksvoller Gelehrsamkeit untersucht wurden. Der damals in Gießen ansässige Theologe befasst sich in seiner Untersuchung zum apostolischen Symbol in aller Ausführlichkeit mit der Entstehungsgeschichte des Apostolikums. Im Mittelpunkt seines zweibändigen opus steht die lateinische, durch Rufin überlieferte Fassung des altrömischen, mit R abgekürzten Symbols, das um 100 entstanden sein soll.[4] In seiner historisch-kritischen Analyse dieses »Muttersymbol[s]«[5] geht er ausdrücklich auf die Frage ein, wie die Ausdrücke Ἰησοῦς/Χριστὸς miteinander kombiniert wurden. In R heißt es noch Χριστὸς Ἰησοῦς,[6] und bereits in dieser Kombination erblickt Kattenbusch eine besondere Pointe, die sich mit der These von der Israel-Vergessenheit des Apostolikums in Verbindung bringen lässt. Der Theologe hält einerseits fest: »das Symbol verrate als Ursprungszeit und -stätte eine solche, in der nicht die Auseinandersetzung mit der Synagoge als dringend angesehen«[7] wurde. Dementsprechend besitze das römische Taufsymbol keine antijüdischen Invektiven. Und doch bemerkt er andererseits: »Man beachte die Eigentümlichkeit des Ausdrucks ›χριστὸς Ἰησοῦς‹. Immerhin wird die Apposition zuerst dargeboten und das bedeutet,