Wissenschaft ohnehin per definitionem nicht geben darf) aufzubrechen, zum Widerspruch herauszufordern und so vor allem das eigenständige theologische Denken und eine verantwortungsbewusste Sprach- und Gesprächsfähigkeit zu fördern – kurz: zu |17|jener »theologischen Existenz« zu ermutigen, von der oben die Rede war.
Dass der Diskurs über das Credo in der Fokussierung auf Exegese und Dogmatik nur ein Anfang sein kann, sei noch einmal ausdrücklich bewusst gemacht. Aber – wie gesagt – irgendwo muss man beginnen. Zur Theologie gehört sub conditio mundi vel academiae auch die Pragmatik ihrer nicht zu vermeidenden Unzulänglichkeit. Mit einer bereits geplanten Folgetagung (und damit auch einem Folgeband) zum ersten und dritten Artikel sollen diese Bemühungen um einen Anfang fortgesetzt werden.
Fußnoten
Die lateinische Version des Nizänums bietet ebenfalls die Pluralform, seine griechische Version hingegen den Singular πιστεύω. Das Nizäno-Konstantinopolitanum formuliert umgekehrt in der griechischen Version im Plural und in der lateinischen im Singular. Zum Verhältnis zwischen Nizänum und Nizäno-Konstantinopolitanum vgl. J.N.D. KELLY, Altkirchliche Glaubensbekenntnisse. Geschichte und Theologie, UTB 1746, Göttingen 21993, 294–327.
Vgl. Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen unter https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/9678–10.pdf – Zugriff am 24.04.2017.
http://www.interseth.de/wp-content/uploads/2013/05/Stellungnahme-des-SETh-zur-Konfessionsklausel1.pdf – Zugriff am 24.04.2017.
http://www.ekd.de/download/konfessionsklausel_2002.pdf – Zugriff am 24.04.2017.
|19|»Wir glauben an Jesus Christus …«
Glaube und Bekenntnis im frühen Christentum zwischen Integration und Abgrenzung[1]
Andreas Lindemann
In welcher Weise wurde der Glaube an Jesus Christus und das Bekenntnis zu ihm in der Anfangszeit des Christentums[2] ausgesprochen? Die christliche Kirche bezieht sich auch nach fast zweitausend Jahren auf jene Anfangszeit und auf die damals formulierten Aussagen; der Glaube und das Bekenntnis der ersten Christen sind deshalb nicht nur Gegenstand historischer Forschung, sondern sie haben unmittelbare Bedeutung für die Gegenwart.
»Christen«, also die an Jesus Christus glaubenden und sich zu ihm bekennenden Menschen, waren im 1. Jh. christlicher Zeitrechnung, also in der frühen römischen Kaiserzeit,[3] eine sehr kleine Minderheit. Das, von dem ihr Glaube sprach – Leben, Tod und Auferweckung des Jesus von Nazareth –, gab es erst seit ganz kurzer Zeit; dieser Glaube war also etwas geschichtlich Neues, und schon das machte ihn nach antiken Maßstäben verdächtig. Überdies waren die Christen – ob jüdischer, ob nichtjüdischer Herkunft – vor ihrer Taufe anderen religiösen Lehren und Vorstellungen gefolgt; sie waren also »Konvertiten«, und so ergab sich für sie die Spannung zwischen »Integration« und »Abgrenzung« ganz von selber. Die Fragen: Welche Aspekte meines bisherigen Denkens und Lebens kann ich mitnehmen in mein neues Leben? Welche Werte meiner Umgebung bleiben für mich unverändert gültig? Wo muss ich mich von meiner Vergangenheit und von meiner bisherigen Umgebung bewusst abgrenzen?, waren für jeden unausweichlich, jede und jeder Einzelne musste darauf eine Antwort finden. Bald kam auch die Frage hinzu, wo und in welcher Weise eine |20|bewusste Abgrenzung nicht nur nach »Außen« nötig werden könnte, sondern auch nach »Innen«, also die Abgrenzung von abweichenden Positionen innerhalb der eigenen Gruppe.
Die folgenden Überlegungen sind in sechs Abschnitte gegliedert: Am Anfang (1.) stehen kurze Bemerkungen zum »Bekennen« und zum »Bekenntnis«. Es folgen (2.) Hinweise auf die Praxis religiösen Bekennens im Volk Israel und in der paganen antiken Welt. Sodann (3.) wird nach den Anfängen des Bekenntnisses zu Jesus gefragt und von da aus werden (4.) einige Bekenntnisaussagen vorgestellt, wie sie vor allem in den Briefen des Apostels Paulus als den ältesten uns erhaltenen christlichen Schriften zu finden sind. Es geht dann (5.) um die Frage, in welchen Situationen in der Zeit des frühen Christentums die Glaubenden Anlass hatten, ein Bekenntnis abzulegen. Am Schluss stehen (6.) einige Bemerkungen zum Verhältnis von Glaube und Leben.
1. »Bekennen« und »Bekenntnis«
Das deutsche Verb »bekennen« meint ursprünglich, dass man etwas »bekannt gibt«,[4] das Substantiv »Bekenntnis« hat fast den Sinn von »Bekanntmachung«. Menschen, die ein Glaubensbekenntnis aussprechen, machen also ihren Glauben anderen bekannt. Das im Neuen Testament verwendete, meist mit dem Begriff »bekennen« wiedergegebene Verb ὁμολογεῖν bedeutet eigentlich, dass Menschen »etwas gemeinsam aussprechen«.[5] Das Bekennen des Glaubens ist also die offen und gemeinsam gesprochene Auskunft über den Inhalt dessen, was die betreffenden Menschen glauben. Der Glaube geht dem Bekenntnis voraus; aber die explizite Formulierung eines Bekenntnisses |21|trägt dazu bei, dass der Inhalt dieses Glaubens genauer bestimmt und auch anderen mitgeteilt werden kann.[6]
Einige Bekenntnisaussagen, insbesondere auch manche Sätze in dem traditionellen »Apostolischen Glaubensbekenntnis«, wirken allerdings so, als werde hier weniger vom Glauben als vielmehr von Tatsachen oder Sachverhalten gesprochen, die man als zutreffende Behauptungen anerkennt. Spätestens seit der Aufklärung im 18. Jh., vielfach aber schon sehr viel früher, geraten nicht wenige Menschen diesen Aussagen gegenüber in Zweifel oder lehnen solche Bekenntnisaussagen ganz ab. Glaube im christlichen Verständnis meint aber nicht die Zustimmung zu bestimmten Tatsachenbehauptungen; Glaube bedeutet vielmehr, dass ein Mensch die Botschaft von der ihm zugesprochenen Gnade Gottes hört und diese Botschaft als für sich selber gültig annimmt. In dem Wort »glauben« ist der Aspekt »vertrauen« mit enthalten; und für das im Neuen Testament sehr häufig belegte griechische Verb πιστεύειν gilt dasselbe. Die Aussage »ich glaube« meint also nicht in erster Linie, dass ich die Mitteilung über einen Sachverhalt »für wahr halte«, sondern sie bedeutet, dass ich einer mir gemachten Zusage vertraue.
2. Die Praxis religiösen Bekennens im Volk Israel und in der paganen Welt
1. Das Volk Israel bekennt sich zu JHWH als seinem Gott. Es gibt in der jüdischen Bibel kein ausformuliertes Bekenntnis; aber in Dtn 6,4f. wird ein Gebet überliefert, das zugleich die Funktion eines Bekenntnisses hat: »Höre, Israel, der HERR unser Gott, ist ein HERR.[7] Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deiner ganzen Kraft.« Mit diesem »Schema Jisrael« spricht das Volk Israel seinen Glauben aus; zugleich bringt es |22|damit seine Identität zum Ausdruck, indem es von seiner besonderen Gottesbeziehung spricht.
Viele alttestamentliche Texte sprechen von Gottes geschichtlichem Handeln für sein Volk; auch solche Aussagen können die Funktion von Bekenntnissen haben. In Dtn 26,1–4 steht die Anweisung, man solle zu Beginn der Ernte dem Priester am Heiligtum die Erstlingsgaben überbringen, und dann, so heißt es weiter (V. 5–9), »sollst du bekennen und vor dem HERRN, deinem Gott, sprechen: Ein verlorener Aramäer[8] war mein Vater, und er zog hinab nach Ägypten und blieb dort als Fremder mit wenigen Leuten, und dort wurde er zu einer großen, starken und zahlreichen Nation. Die Ägypter aber behandelten uns schlecht und unterdrückten uns und auferlegten uns harte Arbeit. Da schrien wir zum HERRN, dem Gott unserer Vorfahren, und der HERR hörte unser Schreien und sah unsere Unterdrückung, unsere Mühsal und unsere Bedrängnis. Und der HERR führte uns heraus aus Ägypten mit starker Hand und ausgestrecktem Arm, mit großen und furchterregenden Taten, mit Zeichen und Wundern, und er brachte uns an diesen Ort und gab uns dieses Land, ein Land, in dem Milch und Honig fließen«