wird, ist dabei von untergeordneter Bedeutung.
Wenn in der jüdischen Bibel von »Israel« gesprochen wird, ist die Einheit von Volk und Religion vorausgesetzt in der Bindung an den einen Gott. Damit verbunden ist ein bestimmtes Ethos, vor allem die Einhaltung von Verhaltensnormen, wie sie im Gesetz, der Tora, ausgesagt sind. Das »Schema Jisrael« und die Schilderung des geschichtlichen Weges Gottes mit seinem Volk dienen nicht der Abgrenzung nach außen; diese Texte bestätigen vielmehr die gegebene Identität, und so bezeugen sie den Menschen des Volkes Israel ihre von Geburt an bestehende Zugehörigkeit zu diesem Volk und das damit verbundene Selbstverständnis.
Für das jüdische Selbstverständnis spielte und spielt das Land, in dem das Volk wohnt, eine besondere Rolle, zumal das Volk davon überzeugt ist, Gott selbst habe ihm dieses Land (»Land Israel«) |23|als Wohnsitz gegeben.[9] Darum war nach dem babylonischen Exil (586–539 v. Chr.) die Rückkehr des Volkes in »das Land« von größter Bedeutung,[10] auch wenn tatsächlich ein Teil in der Diaspora in Babylon geblieben war. Als im 2. Jh. v. Chr. dieses Gebiet unter der Herrschaft der seleukidischen Könige stand, bekämpften diese, anders als die Fremdherrscher in früherer Zeit, die jüdische Gottesverehrung; als Antiochus IV. im Jahre 168 v. Chr. die Entweihung des Jerusalemer Tempels verfügte, setzten sich die Makkabäer dagegen erfolgreich zur Wehr,[11] und es kam zur Errichtung des hasmonäischen Königtums. Nach der römischen Eroberung des Landes durch Pompeius im Jahre 63 v. Chr. verlor der jüdische Staat seine politische Selbständigkeit; Herodes der Große (König von 39–4 v. Chr.) und seine Söhne, unter ihnen Herodes Antipas als der Landesherr Jesu (4 v. Chr. bis 41 n. Chr.), waren Fürsten von Gnaden Roms. Nach dem Jüdischen Krieg (66–70/73 n. Chr.) ging auch diese Selbstverwaltung verloren; nach dem gescheiterten Bar-Kochba-Aufstand (132–135 n. Chr.) wurde das Gebiet von den Römern schließlich »Palaestina« genannt, Jerusalem erhielt den Namen Aelia Capitolina.
Der jüdische Glaube wurde von Rom durchweg anerkannt und respektiert – nicht nur in Judäa und in Galiläa, sondern im gesamten Römischen Reich.[12] Das galt insbesondere auch für den Glauben an den einen Gott: Als im Laufe des 1. Jh. n. Chr. die kultische Verehrung des Herrschers für die Bewohner des Imperiums allmählich obligatorisch wurde,[13] blieben die Juden von der entsprechenden |24|Verpflichtung ausgenommen; sie opferten nicht dem Kaiser, sondern bis zum Jahre 66 n. Chr. wurden im Jerusalemer Tempel Opfer für den Kaiser dargebracht. Der jüdische Glaube unterschied sich schon durch den Absolutheitsanspruch JHWHs grundlegend von den anderen Religionen; das wurde von der Umwelt mit Verwunderung und auch mit Kritik registriert, aber die lange Geschichte des Volkes und des jüdischen Glaubens stieß bei den anderen Völkern auch auf staunende Anerkennung und führte zur Duldung der religiösen Sonderstellung des jüdischen Volkes.
2. Worin bestand im nichtjüdischen Raum das Bekennen? Wie sprachen »die Heiden«[14] ihren Glauben aus? Die Identität der freien Bürger einer Region oder einer Stadt zeigte sich in der Zugehörigkeit zu dem jeweiligen Volk oder in dem Bürgerrecht in der betreffenden Stadt (πόλις oder civitas); auch hier war die Identität verbunden mit einem bestimmten Ethos, also mit der Praxis anerkannter religiöser und sittlicher Normen.[15] Dazu gehörte insbesondere auch die Teilnahme am Kult der in der jeweiligen Stadt verehrten Gottheiten; aber es gab keinen Ausschließlichkeitsanspruch, also keine grundsätzliche Abgrenzung nach außen. Jedoch entwickelte sich seit dem letzten Jahrhundert vor der Zeitenwende auch eine neue Form von Religiosität, jenseits ethnischer und politischer, zum Teil auch jenseits sozialer Grenzen. So breitete sich beispielsweise die Verehrung der ursprünglich zur Götterwelt Ägyptens gehörenden Göttin Isis fast im gesamten Römischen Reich aus, und diese Verehrung war, anders als bei den städtischen Kulten, mit Elementen persönlicher Frömmigkeit verbunden, nicht zuletzt auf Grund der persönlichen »Einweihung« des einzelnen Menschen in das ihm Erlösung verheißende »Mysterium«.[16] Man konnte sich aber in mehrere Mysterien einweihen lassen, und überdies verehrte man in Athen weiterhin die Athene, in Ephesus die Artemis und in Rom den Jupiter, jeweils zusammen mit den anderen |25|Göttern. JHWH, der Gott des jüdischen Volkes, war der einzige Gott, der keine anderen Götter neben sich duldete, wie das erste der Zehn Gebote sagt. Da das Judentum den Vorzug des hohen Alters besaß und im Allgemeinen keine Mission trieb, kam es ungeachtet dieses Ausschließlichkeitsanspruchs vergleichsweise selten zu religiös begründeten Konflikten;[17] lediglich im jüdischen Kernland, vor allem in Judäa, versuchten die Zeloten, Gottes Anspruch auf die Menschen und auf das »heilige Land« notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen, woraus im Jahre 66 n. Chr. der Jüdische Krieg gegen Rom erwuchs.[18]
3. Die Anfänge des Bekenntnisses zu Jesus
Die Frauen und Männer, die nach dem Kreuzestod Jesu als erste an ihn und an seine Auferweckung glaubten, gehörten zum Volk Israel, sie waren Juden. Die Bezeichnung »Christen« gab es noch nicht; es wurde auch nicht eine neue Religion namens »Christentum« gegründet, weder von den Aposteln noch gar zuvor von Jesus selber. Der Glaube an Jesus trennte die Glaubenden zunächst nicht vom übrigen Judentum; sie waren im Gegenteil davon überzeugt, dass es der Gott Israels war, der den gekreuzigten Jesus nicht im Tode gelassen, sondern auferweckt hatte. Innerhalb des Volkes waren sie eine kleine Minderheit; aber sie hofften darauf, dass sich die anderen Juden ihrem Glauben anschließen würden, weil sie davon überzeugt waren, mit ihrem Glauben an Jesus in der Kontinuität der Geschichte des Gotteshandelns an Israel zu stehen.[19] Vermutlich aber sahen sie sich recht bald auch als eine besondere Gruppe mit einer eigenen Identität, denn die Entscheidung für oder gegen den Glauben an Jesus betraf ja den einzelnen Menschen. Die Frage, wann es zu einer Trennung der an Jesus Glaubenden vom (übrigen) Judentum kam, lässt sich kaum beantworten – die Entwicklung dürfte örtlich und zeitlich sehr unterschiedlich verlaufen sein. Jedenfalls sahen sich die Glaubenden auch als eine eigene Gemeinschaft, und so nannten sie sich »die |26|Gemeinde Gottes« (ἡ ἐκκλησία τοῦ θεοῦ). Die geläufige Übersetzung des Wortes ἐκκλησία mit »Kirche« ist nicht falsch; sie darf aber nicht missverstanden werden: ἐκκλησία bezeichnet im Griechischen die »Volksversammlung«, in der griechischen Bibel (LXX) bezeichnet das Wort das Volk Israel als die »(Volks-)Versammlung Gottes«.[20] Möglicherweise waren die in Apg 6f. erwähnten »Hellenisten« (6,1), also die mit Stephanus verbundenen griechisch sprechenden Jesusgläubigen in Jerusalem, die ersten, die diesen Begriff auf sich selber anwandten.[21] Gemeint war natürlich noch nicht eine überörtliche kirchliche Organisation und schon gar nicht gab es Gebäude, die als »Kirchen« hätten bezeichnet werden können.[22]
Der Glaube an Jesu Auferweckung entstand vermutlich in Jerusalem.[23] Aber dann entwickelte sich der Gedanke, dieser Glaube sei nicht auf das Volk Israel allein bezogen; zum Glauben an die Auferweckung Jesu gehört die Taufe, man wird also nicht als »Christ« geboren, sondern man wird es durch die Taufe »auf den Namen Jesu Christi«.[24] Nach einigem Zögern gingen Jesusgläubige auch zu den »Völkern«, den »Heiden«. Die Darstellung der Begegnung des Petrus mit dem römischen Hauptmann Cornelius (Apg 10), die zur Taufe der Gruppe um Cornelius führt, schildert den Beginn der »Heidenmission« als Folge der den beiden Männern widerfahrenen wunderbaren Vision und Audition. Das hat sicher legendarische Züge, aber klar ist, dass allmählich Gemeinden entstanden, denen Menschen unterschiedlicher ethnischer und religiöser Herkunft angehörten. Diese Gemeinden wurden nun auch von außen als eigenständige Größen |27|wahrgenommen; ein Indiz dafür ist die fast beiläufig formulierte Notiz in Apg 11,26, in der syrischen Großstadt Antiochia seien die Jesusgläubigen, Juden wie Nichtjuden, erstmals als Χριστιανοί, als »Christianer«, bezeichnet worden. Das ging vermutlich auf die römischen Behörden zurück und geschah, folgt man dem chronologischen Aufriss der Apostelgeschichte, vermutlich in den 40er Jahren.[25] Dabei verdankt sich die Bezeichnung Χριστιανοί offensichtlich der Tatsache, dass die jüdischen Jesusgläubigen von Jesus als vom »Messias« sprachen, griechisch: χριστός, und dass die griechisch sprechenden »heidnischen« Gläubigen diese Bezeichnung Jesu übernommen hatten.[26] Die Wortverbindung »Jesus Christus« ist eigentlich eine Kurzformel für den Satz: »Jesus ist der Christus«; aber da das Wort χριστός im nichtjüdischen Bereich nicht mehr als Titel des im Volk Israel erhofften endzeitlichen Retters (»der Messias«, »der Gesalbte«) verstanden