generieren. Die ‚Logik‘ sagt voraus, dass sich die Arbeitsanbieter nicht in allen Sektoren gleich gut zu kollektivem Handeln organisieren können, mit entsprechenden Folgen für Lohnhöhe, Lohnflexibilität und Regulierungsdichte. Ferner folgt aus der ‚Logik‘, dass hoch qualifizierte Arbeitslose durch die Inkaufnahme von Lohneinbußen wieder in den Arbeitsmarkt eintreten können, während niedrig qualifizierten Arbeitslosen diese Option i.d.R. nicht offensteht, sei es, weil sie sich durch gesetzliche oder tarifliche Mindestlöhne an einer Reintegration gehindert sehen, sei es, weil die – etwa aufgrund von Überregulierung – erforderlichen Einstiegslöhne unterhalb legaler oder illegaler Alternativeinkommen liegen. Dies erklärt, warum insbesondere schlecht qualifizierte Arbeitnehmer von dauerhafter Arbeitslosigkeit betroffen sind.
|54|Während Olson in dieser mikroökonomisch fundierten Erklärung eine Ergänzung der monetaristischen Position sieht, deren makroökonomische Theorie dem Phänomen unfreiwilliger Arbeitslosigkeit verständnislos gegenüberstand, weil nicht gesehen wurde, wie eine ökonomische Erklärung unter Beibehaltung der Rationalitätsannahme zu leisten wäre, sieht Olson in seiner Analyse von Verteilungskoalitionen einen Erklärungsbeitrag zum Phänomen der Stagflation, der die keynesianische Position bereichert. Auch diese Bereicherung nimmt die Form einer mikroökonomischen Fundierung an: Wo die keynesianische Makroökonomik Ad-hoc-Annahmen über starre Löhne und Preise trifft, bietet Olsons ‚Logik‘ i.w.S. eine Erklärung mittels Anreizen an, eine Erklärung, die auf die Zunahme kollektiven Handelns durch Verteilungskoalitionen abstellt, auf Arbeitnehmerkartelle hinsichtlich der Löhne und auf Unternehmenskartelle hinsichtlich der Preise für Güter und Dienstleistungen. Die Folge ist nicht nur, dass das gleichzeitige Auftreten von Arbeitslosigkeit und Inflation, für das in den Kategorien der traditionellen keynesianischen Theorie kein Platz vorgesehen war, nun im Rekurs auf die ‚Logik‘ verständlich wird, sondern auch, dass nun Thesen über die Struktur von Stagflationsphänomenen systematisch generiert werden können.[72]
Diese mikroökonomisch integrative Sicht führt zu mehreren Politikvorschlägen, die institutionellen Reformen ein besonderes – und für makroökonomische Theorien unüblich großes – Gewicht beimessen.[73] Hier sei nur einer dieser Vorschläge herausgegriffen, und zwar deshalb, weil er aufgrund der Aktualität des Arbeitslosigkeitsproblems von besonderem Interesse ist.[74] Olson (1982, 1985; S. 305) schlägt vor, auf die Anreize der Tarifparteien im Lohnfindungsprozess wie folgt Einfluss zu nehmen:
„Wenn die natürliche Rate der Arbeitslosigkeit unnatürlich hoch ist, kann sie durch Sondersteuern auf jene Unternehmen etwas verringert werden, die die Löhne um einen größeren Prozentsatz erhöhen, als er, sagen wir, der erwarteten Produktivitätserhöhung in der Wirtschaft insgesamt entspricht. Falls sie politisch besser durchsetzbar ist, bestünde eine Alternative darin, den Unternehmen eine Subvention zu geben, die sich jedoch verringert, wenn sie eine derartige Lohnerhöhung gewähren. Das wird der Firma einen Anreiz geben, eine geringere Lohnerhöhung auszuhandeln, und wenn sie das erreicht hat, einen Anreiz, mehr Arbeiter als geplant einzustellen, wodurch sie die Arbeitslosigkeit verringert.“
(3) Olson legt großen Wert auf die allgemeine Anwendbarkeit seiner ‚Logik‘ i.w.S. So diskutiert er zahlreiche Beispiele nicht nur im zeitlichen Längsschnitt, sondern auch im sozialen Querschnitt verschiedener Gesellschaften.[75] Über die |55|spezifischen Probleme von Entwicklungsländern leitet Olson folgende Tendenzaussagen ab.[76]
Erstens ist in diesen Ländern hinsichtlich der Stabilität kollektiven Handelns mit einer Asymmetrie zwischen Stadt und Land zu rechnen. Hohe Transport- und Kommunikationskosten machen es der Landbevölkerung wesentlich schwerer, ihre Interessenvertretung zu organisieren, während dies den Bewohnern der Städte vergleichsweise leichter fällt. Schon aufgrund ihrer räumlichen Nähe zur Regierung können diese sehr viel leichter politischen Druck ausüben. So entstehen Verteilungskoalitionen, die sich mit Privilegien versorgen, zumeist auf Kosten der Landbevölkerung. Ein typisches Beispiel hierfür sind Höchstpreise für Agrarprodukte, mit denen die Lebenshaltung in der Stadt subventioniert wird. Aus dieser Perspektive erscheint das für viele Entwicklungsländer typische Phänomen massenhafter Landflucht als ein letztlich politisch induziertes Problem regionalen ‚Rent-Seekings‘.
Zweitens ist in Entwicklungsländern hinsichtlich der politischen Einflussmöglichkeiten auch mit einer Asymmetrie zwischen Reich und Arm zu rechnen. Reichen Gruppen fällt es vergleichsweise leichter, sich Privilegien zu verschaffen. Diese Perspektive wirft neues Licht auf die insbesondere in den 1950er und 1960er Jahren weit verbreitete und teilweise noch heute praktizierte Politik der Importsubstitution. Sie schützt eine relativ kapitalintensive Inlandsproduktion, deren Rendite künstlich erhöht wird. Die Kosten einer solchen Politik bestehen in einer Verteuerung der Exporte. Da solche Exporte i.d.R. auf den komparativen Vorteilen einer arbeitsintensiven Produktion beruhen, sind es vornehmlich Arbeiter und Bauern, d.h. die großen Gruppen der Armen, die die Kosten einer die wenigen Reichen begünstigenden Protektion tragen.
Beide Aussagen sind insofern gesellschaftstheoretisch gewendete Anwendungsfälle der gruppentheoretischen ‚Logik‘ i.e.S., als sie auf der These beruhen, dass kleine Gruppen sich leichter organisieren können als große Gruppen. Von daher führt die ‚Logik‘ zu einem zusätzlichen Argument zugunsten von Freihandel sowie wirtschaftlicher und/oder politischer Integration: Solche Maßnahmen erhöhen die potentielle Gruppengröße. Sie erschweren die Organisation von Verteilungskoalitionen. Sie erhöhen also nicht nur – durch größere Spezialisierungsvorteile – die Tauschmöglichkeiten, sondern sie erhöhen auch – durch die Erschwerung kollektiven Handelns – die Wahrscheinlichkeit, dass Tauschpartner ‚gains from trade‘ tatsächlich aneignen können.
Eine weitere Pointe dieser Perspektive besteht darin, dass sie das Zustandekommen historischer Integrationsprozesse vornehmlich als nicht-intendierte Konsequenz intentionalen Handelns rekonstruiert, und zwar gerade aufgrund des immensen Vorteilspotentials, das sich den Bürgern durch Integration eröffnet und dem der Charakter eines öffentlichen Gutes zukommt.[77]
|56|3. Staatstheorie: Das Problem eines mehr oder weniger umfassenden Interesses
In der Sekundärliteratur ist bereits darauf hingewiesen worden, dass der von Olson gewählte Titel „Aufstieg und Niedergang von Nationen“ insofern irreführend ist, als Olson hier vornehmlich mit dem durch Verteilungskoalitionen hervorgerufenen Niedergang von Nationen befasst ist.[78] Mit dem Aufstieg von Gesellschaften hat sich Olson eigentlich erst in seinen jüngsten Schriften intensiv beschäftigt, die hier als Teil III seines Gesamtwerks interpretiert werden. In diesen Schriften nimmt Olson eine komparative Analyse politischer Regimes vor. Er vergleicht autokratische und demokratische Arrangements, und zu diesem Zweck entwickelt er eine Stufentheorie staatlicher Herrschaft.
(1) Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass sowohl wirtschaftliche als auch politische Leistungen von Anreizen abhängen, und dass diese Anreize durch Eigentumsrechte gesetzt werden. Vor diesem Hintergrund unterscheidet Olson drei politische Regimes: die Anarchie, die Autokratie und die Demokratie. (a) Kennzeichen der Anarchie ist eine ruinöse (politische) Konkurrenz, illustriert am Beispiel marodierender Räuberbanden im China der 1920er Jahre. Olson (1993a; S. 568) spricht von „uncoordinated competitive theft by ‚roving bandits‘“. Solche Räuberbanden, die davon leben, Bauern und Händler zu enteignen, (zer-)stören deren Eigentumsrechte und damit die wirtschaftlichen Anreize zu gesellschaftlicher Produktivität. (b) Kennzeichen der Autokratie ist ein (politisches) Monopol, illustriert am Beispiel sesshafter Räuber, deren territoriale Herrschaft die ruinöse Konkurrenz abschafft und durch verlässliche, erwartungssichere Ausbeutungsverhältnisse ersetzt. Olson (1993a; S. 567) sieht im Autokraten einen „‚stationary bandit‘ who monopolizes and rationalizes theft in the form of taxes“. Autokraten leben davon, die Bevölkerung dauerhaft auszubeuten. Deshalb ist der Übergang von Anarchie zu Autokratie damit verbunden, maximale Ausbeutung durch optimale Ausbeutung zu ersetzen. Bildlich gesprochen, füttert der Autokrat die Kuh, bevor er sie melkt.[79] (c) Kennzeichen der Demokratie ist, dass die Regierungsgewalt an mehrheitliche Bürgerzustimmung gekoppelt ist. In einem solchen System sind der Ausbeutung noch wesentlich engere Grenzen gesetzt als in der Autokratie. Selbst wenn auch hier durchgängig eigeninteressierte Akteure unterstellt werden, müssen die Kandidaten oder Parteien um die Zustimmung der Wähler werben und können daher ihr eigenes Wohl