(3) Fazit: Folgt man der hier vorgeschlagenen Lesart, dann liest man Olsons Gesamtwerk als ökonomischen Beitrag zu demokratischer Aufklärung durch theoretische Integration. Im Bemühen um eine problemadäquate Kategorienbildung der Ökonomik im Besonderen und der Sozialwissenschaften im Allgemeinen liegt der vielleicht wichtigste und nachhaltigste Beitrag, den sein Werk: die Entwicklung einer gruppentheoretischen, gesellschaftstheoretischen und staatstheoretischen ‚Logik‘ kollektiven Handelns, zu den theoretischen Grundlagen demokratischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik leistet.
6. Nachtrag 2016
Mancur Olsons vielleicht wichtigstes Buch ist erst posthum erschienen, zwei Jahre nach seinem überraschend frühen Tod.[90] Es liegt auch in deutscher Übersetzung vor. Nicht dem Umfang nach, wohl aber dem Inhalt nach ist es gerechtfertigt, von einem opus magnum zu sprechen, denn hier synthetisiert Olson seine früheren Arbeiten zur Logik des kollektiven Handelns und zum Aufstieg |67|und Niedergang von Nationen zu einer in sich schlüssigen polit-ökonomischen Gesamtsicht, die mit zahlreichen innovativen Einsichten aufzuwarten weiß.
In dieser außerordentlich lesenswerten Schrift vergleicht Olson die drei politischen Regimes der Anarchie, Autokratie und Demokratie.
Kennzeichen der Anarchie ist ein (selbst-)zerstörerischer Ausbeutungswettbewerb, in dem konkurrierende Gruppen gewaltsam versuchen, sich auf Kosten der Gesellschaft zu bereichern. Es mangelt an sicheren Eigentumsrechten: Da niemand verlässlich davon ausgehen kann, die Erträge seines Bemühens sich selbst aneignen zu können, fehlt es an Anreizen für Arbeit und Investition. Die Pointe: In der durch Raub gekennzeichneten Anarchie gibt es anreizbedingt nur wenig zu rauben.
Kennzeichen der Autokratie ist die Befriedung der Gesellschaft durch ein Gewaltmonopol, das maximale Ausbeutung durch optimale Ausbeutung ersetzt. Hiermit verbinden sich zwei Konsequenzen: Zum einen achtet der Autokrat darauf, dass für seine Bevölkerung die Leistungsanreize erhalten bleiben; und zum anderen investiert er in öffentliche Güter. Metaphorisch ausgedrückt, wird die Gans nicht geschlachtet, sondern in eigennütziger Weise so gepflegt, dass sie goldene Eier legt.
Kennzeichen der Demokratie ist eine Mehrheitsherrschaft mit vergleichsweise noch mehr Investitionen und noch geringeren Steuersätzen, in der es unter Umständen sogar dazu kommen kann, dass die Mehrheit auf eine Ausbeutung der Minderheit(en) verzichtet und sich Verfassungsregeln gibt, die zur Gleichbehandlung aller Bürger führen.
Darüber hinaus besonders lesenswert sind die Kapitel 7 und Kapitel 10 dieses Buches. Kapitel 7 analysiert den (vorübergehenden) Erfolg der stalinistischen Ressourcenmobilisierung innerhalb der Sowjetunion, und Kapitel 10 erläutert die entwicklungspolitisch überaus bedeutsame Unterscheidung zwischen robusten und prekären Märkten. In die erste Kategorie fallen jene Märkte, die selbst durchsetzend sind und auch dann – als Schwarzmärkte im informalen Sektor – einigermaßen funktionieren, wenn der Staat sie zu unterbinden sucht. In die zweite Kategorie gehören all jene Märkte – z.B. für Kredite und Versicherungen –, die einer institutionellen Einbettung bedürfen, um eine Interaktion unter Abwesenden sowie eine vertrauensvolle Kopplung von Leistung und Gegenleistung über lange Zeiträume hinweg abwickeln zu können.
Ferner hinzuweisen ist auf einen hoch interessanten Aufsatzband, für den Mancur Olson als Mitherausgeber verantwortlich zeichnet,[91] sowie auf die zu Ehren von Mancur Olson herausgegebene Essaysammlung von Heckelman und Coates.[92]
|68|Literatur
Becker, Gary S. (1985, 1996): Interessengruppen und politisches Verhalten, in: Ders.: Familie, Gesellschaft und Politik – die ökonomische Perspektive, übersetzt von Monika Streissler, hrsg. von Ingo Pies, Tübingen, S. 163–184.
Blanchard, Olivier J. und Lawrence H. Summers (1986): Hysteresis and the European Unemployment Problem, in: Rod Cross (Hrsg.), Unemployment, Hysteresis and the Natural Rate Hypothesis, Oxford und New York, S. 306–364.
Breton, Albert (1996): Competitive Governments. An economic theory of politics and public finance, Cambridge.
Hardin, Russel (1982): Collective Action, Baltimore.
Heckelman, Jac C. und Dennis Coates (2003): Collective Choice. Essays in Honor of Mancur Olson, Berlin u.a.O.
Hirshleifer, Jack (1983): From Weakest-Link to Best Shot: The Voluntary Provision of Public Goods, in: Public Choice 41, S. 371–386.
Homann, Karl und Ingo Pies (1996): Sozialpolitik für den Markt. Theoretische Perspektiven konstitutioneller Ökonomik, in: Ingo Pies und Martin Leschke (Hrsg.), James Buchanans konstitutionelle Ökonomik, Tübingen, S. 203–239.
Homann, Karl und Andreas Suchanek (1992): Grenzen der Anwendbarkeit einer ‚Logik des kollektiven Handelns‘, in: Klaus Schubert (Hrsg.), Leistungen und Grenzen politisch-ökonomischer Theorie, Darmstadt, S. 13–28.
Hume, David (1777, 1984): Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral, übersetzt und herausgegeben von Gerhard Streminger, Stuttgart.
Lindbeck, Assar (1993): Unemployment and Macroeconomics, Cambridge, Mass.
Lindbeck, Assar und David Snower (1988): The Insider-Outsider Theory of Employment and Unemployment, Cambridge, Mass.
McGuire, Martin C. und Mancur Olson (1996): The Economics of Autocracy and Majority Rule, in: Journal of Economic Literature 34, S. 72–96.
Murrell, Peter und Mancur Olson (1991): The Devolution of Centrally Planned Economies, in: Journal of Comparative Economics 15, S. 239–265.
North, Douglass C. (1981, 1988): Theorie des institutionellen Wandels. Eine neue Sicht der Wirtschaftsgeschichte, übersetzt von Monika Streissler, Tübingen.
Olson, Mancur (1965, 1985): Die Logik des kollektiven Handelns. Kollektivgüter und die Theorie der Gruppen, 2. Aufl., Tübingen.
Olson, Mancur (1968, 1991): Ökonomie, Soziologie und die beste aller möglichen Welten, in: Ders.: Umfassende Ökonomie, aus dem Amerikanischen übersetzt von Monika Streissler, Tübingen, S. 157–187.
Olson, Mancur (1982, 1985): Aufstieg und Niedergang von Nationen. Ökonomisches Wachstum, Stagflation und soziale Starrheit, übersetzt von Gerd Fleischmann, Tübingen.
Olson, Mancur (1983, 1991): Ein weniger ideologiegebundenes Verfahren der Entscheidung über die Umverteilung zu den Armen, in: Ders., Umfassende Ökonomie, aus dem Amerikanischen übersetzt von Monika Streissler, Tübingen, S. 262–289.
Olson, Mancur (1984, 1991): Ein mikroökonomisch-evolutorischer Ansatz der Makroökonomie, in: Ders., Umfassende Ökonomie, aus dem Amerikanischen übersetzt von Monika Streissler, Tübingen, S. 110–128.
|69|Olson, Mancur (1990): The Logic of Collective Action in Soviet-type Societies, in: Journal of Soviet Nationalities 1, S. 8–27.
Olson, Mancur (1991a): Einleitung, in: Ders., Umfassende Ökonomie, aus dem Amerikanischen übersetzt von Monika Streissler, Tübingen, S. 1–48.
Olson, Mancur (1991b): Die Unzulänglichkeit unserer vertrauten Ideologien, in: Ders., Umfassende Ökonomie, aus dem Amerikanischen übersetzt von Monika Streissler, Tübingen, S. 49–82.
Olson, Mancur (1991c): Autocracy, Democracy, and Prosperity, in: Richard J. Zeckhauser (Hrsg.), Strategy and Choice, Cambridge, Mass., S. 131–157.
Olson, Mancur (1991d): Foreword, in: Todd Sandler, Collective Action. Theory and Applications, Ann Arbor, S. VII–XVI.
Olson, Mancur (1992): The Hidden Path to a Successful Economy, in: Christopher Clague und Gordon Rausser (Hrsg.), The Emergence of Market Economies in Eastern Europe, Blackwell: Cambridge, Mass., S. 55–75.
Olson, Mancur (1993a): Dictatorship, Democracy, and Development, in: American Political Science Review 87, No. 3, S. 567–576.
Olson, Mancur (1993b): Why is Economic Performance Even Worse After Communism is Abandoned?, Ninth Annual Lecture in the Virginia Political Economy Lecture Series, Fairfax, Virginia.
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