(12, 546, 26f.).
📖 Martin Nicol, Meditation bei Luther, 1984. Peter Zimmerling, Die Spiritualität Martin Luthers als Herausforderung, in: LuJ 73 (2006) 15–40.
Fühlen
→ Affekt, Erfahrung
1. Wir fühlen unsere Sünde und den Zorn Gottes, der uns erschreckt (17I, 295, 13–36). In diesem Fühlen und der Erkenntnis der Sünde liegt das Reich Christi, so dass in den Sünden keine Sünde sei, das heißt, obwohl ich die Sünde fühle und erkenne, ist dennoch das Heil und das Reich so stark da im Gewissen (17I, 296, 26–29). Natur will fühlen und gewiss sein, ehe sie glaubt. Gnade will glauben, ehe sie fühlt (10I.1, 611, 19f.). Es kann die Natur nicht anders tun noch sich schicken, als wie sie fühlt. Nun sie aber Gottes Zorn und Strafe fühlt, hält sie nichts anderes von Gott denn als einem zornigen Tyrannen, kann sich nicht über solchen Zorn schwingen oder über solches Fühlen springen und gegen Gott zu Gott dringen und rufen. Aber das kann die Natur auch nicht lassen, sie will immer etwas mitbringen, was Gott versöhne und findet dann nichts. Denn sie glaubt und weiß nicht, dass allein das Rufen genug sei, Gottes Zorn zu stillen (19, 223, 12–28).
2. Der Art ist der Glaube, dass er gar nichts fühlt, sondern nur den Worten folgt, die er hört und daran hängt. Glaubt er es, so hat er es (12, 565, 25f.). Das Reich des Glaubens, welches man nicht greift noch fühlt, welches niemand dem anderen zeigen kann oder ansehen, sondern jeder Mensch bei sich selbst haben muss, auf dass, wenn er die Sünde fühlt und der Tod vor die Augen kommt, dass er dann das Reich im Glauben fühle und denke, du hast Vergebung der Sünde. Es ist ein kurzes Wort, wird |85|bald geredet, wird aber nicht gefühlt, ja man fühlt wohl allerwegen das Widerspiel (17I, 296, 13–24). Darum müssen wir lernen, dass die Güte und Gnade nicht sichtbar ist, sondern das Kreuz und Widerspiel ist sichtbar, das fühlen wir (31I, 248, 29f.). Das ist des Glaubens hohe Kunst und Kraft, dass er sieht, was nicht gesehen wird, und sieht nicht, was doch gefühlt wird, ja das da drückt und drängt, gleich wie der Unglaube nur sieht, was er fühlt, und gar nicht hangen mag an dem, was er nicht fühlt (17II, 105, 15–19). Menschenweisheit und Vernunft können nicht höher noch weiter kommen als richten und schließen, wie sie vor Augen sehen und fühlen oder mit Sinnen begreifen, aber der Glaube muss über und wider solches Fühlen und Verstehen schließen und haften an dem, was ihm vorgetragen wird durchs Wort. Das kann er aus Vernunft und menschlichem Vermögen nicht tun, sondern ist des heiligen Geistes Werk im Herzen (36, 493, 4–9; vgl. 494, 13–27). Wenn es nach dem Fühlen gelte, so wäre ich verloren, aber das Wort soll über mein und aller Welt Fühlen gelten und wahr bleiben, wie gering es auch scheint und dazu schwächlich von uns geglaubt wird (36, 497, 19–22). Der Glaube Christi ist eine sehr schwierige Sache, da er wegreißt und wegführt von allem, was man innerlich und äußerlich fühlt, in das, was man weder innen noch außen fühlt, d.h. in den unsichtbaren, höchsten, unerkennbaren Gott (57III, 144, 10–12).
📖 Birgit Stolt, Gefühlswelt und Gefühlsnavigierung in Luthers Reformationsarbeit, 2012.
Furcht
→ Angst, Sorge
Furcht Gottes, Verehrung Gottes, Religion, Frömmigkeit sind dasselbe (31I, 51, 2). Gott fürchten heißt im Hebräischen eigentlich das, was wir im Deutschen heißen Gott dienen und Gottesfurcht, Gottesdienst. Nun kann man Gott nicht sichtbar und leiblich dienen auf Erden, denn man sieht ihn nicht, sondern geistlich, wenn man sein Wort ehrt, lehrt, bekennt und danach lebt und tut (31I, 89, 25–29).
1. Es ist zu unterscheiden der Schrecken vor Gott von der Furcht. Die Furcht ist die Frucht der Liebe, der Schrecken der Keim des Hasses. Also darf Gott gegenüber kein Schrecken empfunden werden, sondern Furcht, damit nicht, was geliebt werden soll, gehasst wird. Denn die Natur des Schreckens ist zu fliehen, zu hassen, zu verachten. Aber unter Furcht Gottes wird besser die Ehrerbietung verstanden (1, 39, 16–28). Es gibt drei Grade der Furcht: Der erste Grad fürchtet Gott wegen eines anderen, der zweite fürchtet Gott gemischt wegen Gott und wegen eines anderen, der dritte fürchtet Gott rein wegen Gott. Also teilt der erste die Liebe und die Furcht, d.h. indem er etwas liebt, was er nicht fürchtet, und Gott fürchtet, den er nicht liebt. Der dritte fasst im selben Gott beides zusammen, also Liebe und Furcht. Der zweite und mittlere mischt beides miteinander. So teilt die knechtische Furcht immer die Seele in zwei Teile, d.h. in das, was liebt, und das, was fürchtet, die sohnhafte aber hat nur eines, was liebt und fürchtet (1, 43, 26–33). Einer fürchtet Gott um Gottes willen und tut das Beste und vermeidet möglichst das Böse. Ein anderer fürchtet Gott um Gottes willen und zugleich um der Strafe willen und tut weniger Gutes und Vollkommenes. Ein weiterer fürchtet Gott nur um der Strafe willen und tut das Gute nur zum äußeren Schein. Der erste ist |86|Sohn, der zweite in der Mitte zwischen Sohn und Knecht, der dritte ist Knecht. Der erste ist vollkommen, der zweite fortschreitend, der dritte anfangend. Die erste Furcht heißt sohnhaft, heilig, ewig, die zweite anfänglich und gemischt, die dritte knechtisch und erzwungen. Die erste reinigt das Herz, die zweite teils das Herz, teils den Leib, die dritte den Leib. Wie die Furcht ist, so sind auch die Werke, die folgen. Jede Furcht aber stammt aus Liebe, aber die sohnhafte Furcht hat denselben, nämlich Gott, den sie fürchtet und liebt, die zweite teilt die Furcht und die Liebe auf, die dritte teilt schlecht auf, da sie etwas anderes liebt als Gott (1, 115, 12–29). Solange der alte Mensch lebt, soll die Furcht, das ist sein Kreuz und Tod, nicht aufhören und das Gericht Gottes nicht vergessen, und wer ohne das Kreuz und ohne Furcht und ohne Gottes Urteil lebt, der lebt nicht recht (1, 207, 33–36). Die Furcht ist selbst Frömmigkeit, das Haupt und Prinzip der Weisheit und Frömmigkeit (5, 44, 4f.). Unglaube ist ohne Furcht, der Glaube bringt die Furcht Gottes hervor (57III, 19, 22).
2. Je mehr die Trennung zwischen Furcht und Liebe überwunden wird zur Einheit von Furcht und Liebe, desto besser werden die Werke. Denn wenn Furcht und Liebe verbunden werden, machen sie einen neuen Menschen, getrennt aber den alten. Die anfangen, beides zu verbinden, sind ein Mittleres zwischen altem und neuem, also ein Mensch, der fortschreitet von der Knechtschaft zur Freiheit, vom Buchstaben zum Geist, vom Tod zum Leben, von Mose zu Christus (1, 116, 3–7). Gottesfurcht ist, dass der Mensch auf sich selbst und auf seinem Ding nicht steht, vermisst sich weder seiner Ehre, Gewalt, Reichtum, Stärke, Gunst, Kunst, ja auch nicht seiner guten Werke noch guten Lebens, sondern sorgt in allem, dass er nicht sündige (10I.1, 290, 21–291, 2). Wer Gott fürchtet, der wird Gutes tun, er tue, was er will und mag. Seine Werke sind gut, nicht um der Werke willen, sondern um der Furcht willen (10I.1, 294, 3–6).
3. Christus hat noch nie mit Furcht die Sünder gezwungen zur Buße (8, 277, 32f.). Die Furcht des Herrn ist notwendig, aber die sohnhafte, denn ohne Liebe ist es unmöglich, seine Bekehrung zu ertragen, in der der Sünder erschreckt, zugrunde gerichtet und erniedrigt wird (2, 363, 13–15). Wenn nicht die Furcht, die eine wahre Buße verhindert, durch die eintretende Liebe vertrieben würde, würde nicht wahrhaft gebüßt (2, 364, 1f.). Nicht in der Furcht der Strafe, sondern in der Furcht Gottes muss gebeichtet werden, weil jener ein Knecht, der nicht im Haus bleibt, wäre, dieser aber ein Sohn und Erbe (2, 364, 13–18). Es muss die Furcht aufhören und eine Lust anfangen zur Gerechtigkeit (10I.2, 110, 31–111, 8).
4. Christus befreite uns von der Knechtschaft der Sünde, indem er die Furcht des Todes aufhob, und dadurch vernichtete er den, dem wir nur durch die Furcht des Todes unterworfen waren. So werden wir vom Teufel befreit, nicht dass er nicht mehr wäre, sondern dass er nicht mehr gefürchtet wird, und so vom Tod, nicht dass er nicht mehr wäre, sondern dass er nicht mehr gefürchtet wird (57III, 135, 6–11). Von der Furcht des Todes kann weder die Natur noch das Gesetz uns erlösen, ja, sie mehren alle beide die Furcht; allein Christus hat uns davon erlöst, und wenn wir an ihn glauben, so gibt er den freien unerschrockenen Geist, der weder Tod noch Hölle fürchtet, weder Leben noch Himmel liebt, sondern frei und selig Gott dient (10I.1, 455, 17–23). Darum sollen wir uns nicht fürchten vor der Gewalt, sondern Glück und gute Tage sollen wir fürchten, die möchten uns mehr schaden als Angst und Verfolgung,