Reinhold Rieger

Martin Luthers theologische Grundbegriffe


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wo doch der ganze Mensch Geist und Fleisch ist, Geist, insofern er das Gesetz Gottes liebt, Fleisch, insofern er das Gesetz Gottes hasst (2, 415, 7–10). Mit Fleisch wird der ganze Mensch bezeichnet, mit Geist ebenso der ganze, und man muss unterscheiden den inneren und den äußeren Menschen oder den neuen und den alten nicht gemäß der Unterscheidung von Seele und Leib, sondern gemäß dem Affekt. Denn die Frucht und die Werke des Geistes sind Friede, Glaube, Beständigkeit usw. und dies geschieht im Leib (2, 588, 30–33). Mit dem Wort Fleisch wird der alte Mensch bezeichnet, nicht nur, weil er durch sinnliches Begehren getrieben ist, sondern auch, wenn er fromm, weise, gerecht ist, weil er nicht aus Gott durch den Geist wiedergeboren ist (1, 146, 14–16). Unser Fleisch wird in der ersten Sünde durch zwei Wunden schwer geschlagen. Die erste ist die Reizbarkeit zum Bösen, die zweite die Begierde. Diese beiden Wunden werden uns durch die Gebote erkennbar, aber durch die Gnade geheilt (1, 484, 32–34). Die Weisheit des Fleisches, die Sinnlichkeit genannt wird, ist Selbstsucht, d.h. wenn die Vernunft anstrebt, was ihr recht und gut erscheint, obwohl sie das nicht vermag und von Gott erbitten muss, damit sie von seinem Geist belehrt werde, was nicht bloß recht und gut zu sein scheint, sondern ist (1, 34, 1–4). Fleisch heißt die Schrift den ganzen Menschen, wie er von Vater und Mutter geboren ist, leben, wirken, denken, reden und tun kann. Das alles ist nichts anderes als Fleisch, das ist, ohne Geist. Ohne Geist sein heißt nichts anderes als in Gottes Reich nicht kommen können, das ist, in Sünden unter Gottes Zorn, zum ewigen Tod verdammt sein (21, 532, 29–38; vgl. 22, 133, 29–39). Man muss verstehen, dass der Mensch mit Vernunft und Willen, inwendig und auswendig, mit Leib und Seele Fleisch heißt, darum, dass er mit allen Kräften auswendig und inwendig nur sieht, was fleischlich ist und was dem Fleisch wohl tut (12, 373, 18–34). Das Wörtlein Fleisch muss man so verstehen, dass der ganze Mensch Fleisch heiße, wie er lebt, wie er auch ganz Geist heißt, wenn er nach dem trachtet, was geistlich ist (12, 376, 4–6). In der heiligen Schrift wird Geist genannt, was vom heiligen Geist ist, und Fleisch heißt, was vom Fleisch geboren ist. Was nun aus der Vernunft ist, heißt alles Fleisch. Derhalben sind Fleisch die Allerklügsten und Gewaltigsten auf Erden (33, 257, 1–39). Fleisch bedeutet also die ganze Natur des Menschen mit seinem Verstand und allen seinen Kräften. Deshalb bedeutet für Paulus Fleisch die höchste Gerechtigkeit, Weisheit, Kult, Religion, Verstand, Wille, die in der Welt sein können (40I, 244, 14–23).

      2. Einheit des Menschen aus Fleisch und Geist: Luther sagt: Ich trenne Fleisch, Seele und Geist überhaupt nicht. Denn das Fleisch begehrt nicht außer durch Seele und Geist, wodurch es lebt, aber unter Geist und Fleisch verstehe ich den ganzen Menschen, besonders die Seele selbst. Derselbe Mensch, dieselbe Seele, derselbe Geist |75|des Menschen, ist, insofern er das, was Gottes ist, versteht, Geist, insofern er von den Verführungen des Fleisches bewegt wird, Fleisch, so dass er, wenn er dem zustimmt, ganz Fleisch ist. Man darf sich also nicht zwei verschiedene Menschen vorstellen. Es ist der ganze Mensch, der die Keuschheit liebt, derselbe ganze Mensch wird durch die Verführungen der Begierde gereizt. Es sind zwei ganze Menschen und ein ganzer Mensch. Daher kommt es, dass der Mensch gegen sich selbst kämpft und sich widerstreitet, will und nicht will. Aber das ist der Ruhm der Gnade Gottes, dass sie uns selbst zu unseren Gegnern macht (2, 585, 31–586, 18). Ein einziger Mensch findet in sich selbst zwei Stücke: durch den Geist will er das Gute und dient dem Gesetz Gottes und ist fromm, hat auch Lust und Liebe darin, aber durch das widerspenstige Fleisch will er das Böse und hat Liebe und Lust darin, demselben zu dienen. Weil Fleisch und Geist ein Mensch sind, so wird ihm zugerechnet beides, obwohl sie widereinander sind. Des Geistes halben ist er fromm, des Fleisches halben hat er Sünde. Denn weil das edelste, beste, höchste Stück des Menschen, der Geist, durch den Glauben fromm und gerecht bleibt, rechnet ihm Gott die übrige Sünde des geringsten Stücks, des Fleisches, nicht zur Verdammnis (7, 331, 32–333, 7). Das Fleisch neigt sich nach unten, der Geist strebt zum Himmel, und ist dennoch ein Mensch, nicht eine doppelte Person, die verschiedene Affekte hätte im Fleisch und im Geist, also der Sünde und des guten Lebens (34II, 198, 28–31).

      3. Gegensatz: Den Streit unseres Fleisches und Geistes mit widerspenstigen Begierden legt Gott auf allen, die er getauft sein und berufen lässt. Daher streiten Geist und Fleisch widereinander, aber der Geist soll mit Mühe und Arbeit obsiegen und das ungehorsame Fleisch unterdrücken. Es ist offenbar, dass noch Sünde in den Getauften und Heiligen bleibt, so lange sie Fleisch und Blut haben und auf Erden leben (7, 331, 3–15; vgl. 6, 244, 14–21). Woher kommt aber solcher Streit des Bösen wider das Gute in uns selbst als von der leiblichen Geburt Adams, welche nach dem angefangenen guten Geist in der Taufe und Buße übrigbleibt, bis dass es durch Widerstreit und Gottes Gnaden und des Geistes Zunehmen überwunden und zuletzt durch den Tod erwürgt und ausgetrieben werde (7, 331, 25–29). Weil wir alle mit Christus der Welt und dem Fleisch abgestorben sind, so sollen wir hinfort nicht mehr nach dem Fleisch oder fleischlich leben noch denken (26, 310, 30–311, 24).

      4. Ist nun Christi Fleisch aus allem Fleisch ausgesondert und allein ein geistliches Fleisch vor allen, nicht aus Fleisch, sondern aus Geist geboren, so ist es auch eine geistliche Speise. Ist es eine geistliche Speise, so ist es eine ewige Speise, die nicht vergehen kann. Sein Fleisch ist nicht aus Fleisch noch fleischlich, sondern geistlich, darum kann es nicht verzehrt, verdaut, verwandelt werden, denn es ist unvergänglich wie alles, was aus dem Geist ist. Vergängliche Speise verwandelt sich in den Leib, der sie isst. Diese Speise wiederum verwandelt den, der sie isst, in sich und macht ihn ihr selbst gleich, geistlich, lebendig, ewig (23, 203, 14–29; vgl. 205, 20–23). Luther lehrt, dass Christi Fleisch nicht allein keinen Nutzen, sondern auch Gift und Tod sei, wenn es ohne Glaube und Wort gegessen wird (26, 353, 27–31). Der Evangelist Johannes hätte wohl sagen können: Das Wort ward Mensch, er sagt aber nach der Schrift Brauch: es ward Fleisch, um anzuzeigen die Schwachheit und Sterblichkeit, denn Christus hat menschliche Natur angenommen, die sterblich und dem schrecklichen Zorn und Gericht Gottes wegen der Sünde des menschlichen Geschlechts unterworfen ist, welchen Zorn dieses schwache und sterbliche Fleisch in Christus gefühlt und gelitten hat (46, 632, 21–26).

      |76|5. Christus und die Kirche sind ein Fleisch und ein Geist und haben alles gemeinsam. Christus hat die Menschheit angenommen und ist mit der Kirche in einem Fleisch verbunden, was ein großes und freudiges Geheimnis ist, in dem in eins zusammenkommen der Reiche und der Arme, der Gerechte und der Sünder, der Selige und der Verdammte, der Sohn der Gnade und der Sohn des Elends (5, 549, 10–13).

      6. Die unvergleichliche Gnade des Glaubens ist es, dass er die Seele verbindet mit Christus wie die Braut mit dem Bräutigam. Durch dieses Geheimnis werden Christus und die Seele ein Fleisch. Wenn sie ein Fleisch sind und zwischen ihnen eine wahrhafte Ehe geschlossen wird, so folgt, dass alles, was ihnen gehört, sowohl das Gute wie auch das Böse, beiden gemeinsam wird, damit, was auch immer Christus besitzt, die gläubige Seele als das Ihre genießen und sich dessen rühmen kann, und was immer die Seele besitzt, sich Christus als das Seine aneignet (7, 54, 31–38).

      📖 Oswald Bayer, Das Wort ward Fleisch, in: ders., Hg., Creator est Creatura, 2007, 5–34. Erdmann Schott, Fleisch und Geist nach Luthers Lehre, 2. Aufl. 1969.

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      Form

      → Reformation

      Sobald dieses und andere Wörter in der Theologie oder in theologischen Zusammenhängen gelesen werden, denkt der menschliche Geist sofort an die, die in der Naturwissenschaft gebraucht werden, und wird abgelenkt und weggeführt in verwirrende und gefährliche Streitigkeiten. Denn die Naturwissenschaft schmeichelt natürlich der Vernunft, aber die Theologie ist hoch über das menschliche Verstehen gesetzt (39I, 228, 14–229, 5). Beim Wort ‚formal‘ und anderen naturwissenschaftlichen Begriffen bringt die Philosophie immer etwas Schädliches mit sich, wenn sie in die Theologie übertragen werden, deshalb muss sorgfältig beachtet werden, dass die Wörter rein und sicher verstanden werden, nämlich dass sie, wenn sie daher übertragen werden, gleich neu werden (39I, 229, 35–230, 26).

      1. Christus ist den Menschen ähnlich, d.h. den Sündern und Schwachen, und er hat keine andere Gestalt noch Form als die des Menschen und Knechts, dass er uns nicht in der Form Gottes verachtete, sondern unsere Form annahm und unsere Sünden in seinem Leib trug (2, 603, 17–20). Obwohl er voll göttlicher Form