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Einführung in die Publizistikwissenschaft


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parteipolitisch geprägten Tagespresse. Sie funktionierte nach eigenen ökonomischen Konzepten, gewichtete die Nachrichtenwerte nach neuen Kriterien und führte innovative ästhetische und gestalterische Prinzipien ein (vgl. Bruck/ Stocker 1996: 15–32). Der ökonomische Erfolg von Publikationen wie der Kronen Zeitung (1900 in Wien gegründet), der B.Z. am Mittag |98◄ ►99| (1904 in Berlin) oder des Daily Mirror (1904 in London) bewog zahlreiche Verleger traditioneller Tageszeitungen zur Nachahmung (vgl. Hennig 1999).

      Kritische Reflexion der Massenpresse

      Professionalisierung des Journalismus

      Die Expansion des Pressewesens führte seit Mitte des 19. Jahrhunderts vielerorts zum Auf- und Ausbau von Redaktionen, die immer häufiger mit hauptberuflichen Journalisten besetzt waren (vgl. Pürer/Raabe 2002: 412–414). Die gesellschaftliche Bedeutung des Journalisten bzw. dessen Kommunikatorrolle gewann mit dem Aufstieg der Massenpresse weiter an Bedeutung, was von zeitgenössischen Beobachtern vermehrt kritisch reflektiert wurde. Die Bemühungen um eine Verwissenschaftlichung des Pressewesens und Akademisierung der Journalistenausbildung reichen denn auch zurück ins späte 19. Jahrhundert (vgl. Schade 2005).

      Medien in der Kritik

      Das im 19. Jahrhundert gängige Bild der Presse als Instrument der Aufklärung wurde während des Ersten Weltkriegs (1914–1918) insbesondere in Europa erschüttert. Die nationalistisch geprägte Pressearbeit der kriegführenden Staaten führte den Zeitgenossen vor Augen, wie sehr sie bei der Wahrnehmung und Interpretation der Welt von den publizistischen Leistungen der Presse abhängig waren (vgl. Bauer 1930: 13, 372–395). Das Bild von der zum Propagandainstrument degradierten Presse führte zu einer intensiveren, oft skeptischen Reflexion der gesellschaftlichen Funktion von Massenmedien und begünstigte nach Kriegsende auch die universitäre Institutionalisierung der Zeitungs- und Publizistikwissenschaft (vgl. Pürer/Raabe 2002: 124–127).

      4.4 Intensive Medienpolitik im Rundfunkzeitalter

      Expansion der Medienkommunikation durch Radio und Fernsehen

      Radio und Fernsehen prägten im 20. Jahrhundert den Wandel und die starke Expansion von Medienkommunikation. Mit der Rundfunktechnik eröffneten sich für die Medialisierung öffentlicher Kommunikation grundlegend neue Wege: Das Radio (Hauptmedium von den 1930er- bis 1950er-Jahren) bot als erstes Kommunikationsmedium technisch und organisatorisch die Möglichkeit, von einem zentralen Ort aus ein theoretisch unbegrenzt grosses Publikum mit akustisch vermittelten Informationen zu erreichen. Mit dem Fernsehen (Leitmedium|99◄ ►100| seit den 1960er-Jahren) dehnte sich die Rundfunkkommunikation auf den Bereich visueller Informationsvermittlung aus.

      Politische und wirtschaftliche Interessen

      Die potenziell schier unbegrenzte Reichweite als Massenmedium erklärt zumindest ein Stück weit, weshalb der Rundfunk schon wiederholt zum Objekt heftiger medienpolitischer Kämpfe wurde. Radio und Fernsehen sind aber auch wirtschaftlich von grosser Bedeutung. Für das Zustandekommen von Radio- und Fernsehkommunikation ist–wie schon bei der drahtgebundenen Telegrafie und Telefonie–sowohl auf Kommunikator- wie Rezipientenseite der Einsatz technischer Geräte erforderlich. Die Einführung und Popularisierung des Rundfunks war an den massenhaften Absatz von Empfangsgeräten gebunden.

      Vollprogramme vs. Zielgruppen-/ Spartenprogramme

      Inwiefern sich die öffentliche Kommunikation im Zeitalter von Radio und Fernsehen veränderte, zeigt sich besonders im Wandel der Angebotsstruktur von Rundfunkmedien, aber auch beim Rezeptionsverhalten.

      • Wandel der Angebotsstruktur: Die Differenzierung des Angebotes von Radio und Fernsehen lässt sich anhand der Zunahme von Sendern und anderen Distributionskanälen beobachten, aber auch in Form unterschiedlicher Angebotskonzepte. Die Geschichte des Rundfunks ist geprägt von der Rivalität zweier Grundkonzepte. Während in Europa das Modell des Public Service forciert wurde, dominierte in den USA schon früh der kommerziell ausgerichtete Privatrundfunk. Zugespitzt lässt sich folgendes Gegensatzpaar skizzieren: Vollprogramme für alle Bürger versus Zielgruppen-/ Spartenprogramme für jene Kunden, die von der Werbewirtschaft bevorzugt umworben werden (vgl. Kiefer 1996; Stuiber 1998: 1010–1023).

      • Wandel der Rezeption von Rundfunkkommunikation: Beim Rezeptionsverhalten sind Variationen bezüglich Nutzungsdauer, aber auch Nutzungsform beobachtbar. Zwei Nutzungstypen lassen sich gegenüberstellen: Einschaltmedium versus Begleit- oder Nebenbeimedium (vgl. Hickethier 1999; Kuhlmann/Wolling 2004).

      Einschalt- vs. Begleit-/Nebenbeimedium

      Die historische Entwicklung von Angebotsstrukturen und Nutzungsformen sind eng verflochten. So haben Rundfunkveranstalter ihre Angebotsstrukturen immer wieder dem vermuteten oder beobachteten Rezeptionswandel angepasst. Die Geschichte des Rundfunks in Europa lässt sich in folgende zwei Hauptepochen unterteilen:

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      1. Radio und Fernsehen im Dienst nationaler Kommunikation: Public Service für Bürger (1920er- bis 1960er-/1970er-Jahre);

      2. Kommerzialisierung des Rundfunks und Ausdifferenzierung unterschiedlicher Zielpublika: Publizistische Angebote für Konsumenten (ab 1970er-/1980er-Jahre).

      Der Siegeszug des kommerziellen Rundfunks in den USA

      Pionierrolle der USA beim kommerziellen Rundfunk

      Das Radio startete seinen weltweiten Siegeszug als Informations- und Unterhaltungsmedium Anfang der 1920er-Jahre in den USA. Dort hatten die Behörden die Radiokommunikation nach dem Ersten Weltkrieg weitgehend liberalisiert und für zivile und kommerzielle Nutzung freigegeben. Mitte der 1920er-Jahre drohte das Radio in den USA am eigenen Erfolg zu scheitern: In den für den kommerziellen Rundfunk interessanten städtischen Ballungszentren entstanden ständig neue Sendestationen, weshalb schon bald ein „Chaos im Äther“ herrschte, während die weiten ländlichen Gebiete mit einer geringen Bevölkerungsdichte unterversorgt blieben. Die amerikanischen Behörden griffen nun stärker ordnend ein und begünstigten einen Konzentrationsprozess. In der Folge bildeten sich jene drei grossen nationalen Radio-Networks–National Broadcasting Company (NBC), Columbia Broadcasting System (CBS) und American Broadcasting Company (ABC), welche die Radiobranche seit den späten 1920er-Jahren und seit den 1940er-Jahren auch das Fernsehen bis in die 1980er-Jahre dominierten: Die im Grundsatz marktwirtschaftlich orientierte Rundfunkpolitik führte nur begrenzt zu einer Vielfalt unter den Veranstaltern, aber sicherte eine landesweite Versorgung. Neuen Grossveranstaltern gelang der Markteintritt erst mit der Verbreitung des Kabelfernsehens seit den 1970er-Jahren (vgl. Schade 2000: 39–46; Kleinsteuber 2004: 1084–1091).

      Radio und Fernsehen im Dienst nationaler Kommunikation

      Politisierter Rundfunk in Europa

      In Europa erfolgte die Einführung des Informations- und Unterhaltungsradios in den 1920er-Jahren meist unter strenger staatlicher Aufsicht. Das knappe Gut „Sendefrequenz“ sollte nicht nur nach marktwirtschaftlichen, sondern auch gesellschaftspolitischen und kulturellen Kriterien verteilt werden (vgl. Lersch/Schanze 2004; Schade 2000: 39–71).

      Public Service der BBC

      Die seit 1927 als Public Service geführte British Broadcasting Corporation (BBC) diente vielen Regierungen als Vorbild für ihre Rundfunkpolitik|101◄ ►102| –so auch dem Schweizer Bundesrat. Bei der BBC sollten die Vorteile einer gesellschaftlichen Steuerung mit dem liberalen Anspruch auf staatliche Unabhängigkeit der Massenmedien kombiniert werden. Zu den zentralen Eigenschaften des Public Service zählten: Organisation als Non-Profit-Unternehmen, möglichst grosse Unabhängigkeit gegenüber kommerziellen, politischen und staatlichen Interessen, nationale Monopolorganisation mit einer landesweiten Programmversorgung. Die BBC sollte nicht nur informieren und unterhalten, sondern auch der Weiterbildung und kulturellen Entfaltung der gesamten Bevölkerung dienen (vgl. Schade 2000: 46–59). Das Radio war dementsprechend als Einschaltmedium konzipiert. Die publizistischen Angebote der im Sinne eines Public Service aufgebauten Radiostationen waren sogenannte Vollprogramme, die möglichst viele unterschiedliche Bedürfnisse bedienten (Stuiber 1998: 33).

      Konzentrationspolitik in Europa