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Einführung in die Publizistikwissenschaft


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Verwaltung der Sendefrequenzen, um einen möglichst störungsfreien Empfang zu erreichen. Die knappen Sendeplätze wurden 1929 gemäss Kriterien wie Bevölkerungsgrösse oder Sprach-und Kulturgruppen den einzelnen Staaten zugeteilt (vgl. Schade 2000: 206–210). In der Folge dominierten nationale Monopolorganisationen bis in die 1980er-Jahre den Rundfunk. Der Schweizer Bundesrat orientierte sich an der europäischen Entwicklung und strebte anstelle der in den 1920er-Jahren entstandenen lokalen Radioorganisationen in Basel, Bern, Genf, Lausanne und Zürich eine Nationalisierung des Radios und den Aufbau von drei starken sprachregionalen Sendern an. Mit der Gründung der Schweizerischen Rundspruch-Gesellschaft (SRG) fand dieses Konzept 1931 seine Umsetzung.

      Radiopropaganda im Zweiten Weltkrieg

      Während des Zweiten Weltkrieges (1939–1945) erlebte die Instrumentalisierung der Massenmedien für nationalistische Kriegspropaganda eine Neuauflage. Nun wurde neben der Presse auch ein Grossteil der Radiostationen zu Propagandamaschinen degradiert. Nach dem Sieg der Alliierten fand die ausgeprägte staatliche Rundfunkregulierung in den meisten europäischen Staaten eine Fortsetzung. Seit den 1950er-Jahren erhielt die rechtliche und organisatorische Absicherung der publizistischen Unabhängigkeit der Rundfunkorganisationen gegenüber den staatlichen Behörden jedoch eine stärkere Aufmerksamkeit (vgl. zu Deutschland: Stuiber 1998: 184–227; zur Schweiz: Ehnimb-Bertini 2000: 159–162).

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      Public Service auch beim Fernsehen

      Bei der Einführung des Fernsehens in den 1950er-Jahren übertrugen die meisten europäischen Staaten den beim Radio erprobten Organisationstypus des öffentlichen Rundfunks auf das Fernsehen. So änderte sich vorerst wenig an der Ausrichtung des Public-Service-Rundfunks auf nationale (bzw. sprachregionale) Kommunikationsangebote. Das Fernsehen konkurrierte mit seiner Fähigkeit, Ereignisse zu visualisieren, das Radio und die Tageszeitungen. Die Presse war zudem bezüglich Geschwindigkeit dem Live-Medium Fernsehen unterlegen. Mehrere Verlage reagierten auf die neue Konkurrenzsituation mit der Gründung von Boulevardzeitungen: 1952 entstand in Deutschland BILD, 1959 in Österreich die Neue Kronen Zeitung und in der Schweiz der Blick, 1963 in Grossbritannien die Sun.

      Kommerzialisierung des Rundfunks und Ausdifferenzierung spezifischer Zielpublika

      Ökonomisierung des Rundfunks

      Neupositionierung des Radios als Begleitmedium

      Das Konzept des Public Service als „angebotsorientierte Bedarfsdeckung gemäss öffentlicher Aufgabe“ (Kiefer 1996: 9) verlor bereits ab den 1960er-Jahren innerhalb der Public-Service-Organisationen deutlich an Gestaltungskraft. Die schrittweise Abwendung von der ursprünglichen „Rundfunk-Anspruchskultur“ des angebotsorientierten Public Service, mit der regelmässig grössere Publikumssegmente be- und entfremdet wurden, und die Hinwendung zu einer nachfrageorientierten „Rundfunk-Akzeptanzkultur“ (vgl. Saxer 1999b: 33 f.) wird insbesondere bei folgenden historischen Entwicklungen beobachtbar (zur Entwicklung in der Schweiz vgl. Mäusli/Steigmeier 2006):

      • Umbau des Radios weg vom Einschalt- hin zum Begleitmedium in der Folge der Popularisierung des Fernsehens (1960er- bis 1980er-Jahre): Die europäischen Public-Service-Organisationen orientierten sich bei der Neupositionierung ihrer Radioangebote am kommerziellen Rundfunk in den USA (und teilweise an der BBC) (vgl. Kursawe 2004: 30–55). Dort hatte sich das Radio schon in den 1950er-Jahren erfolgreich als Begleitmedium profiliert und neben dem Fernsehen neu positioniert. Mitte der 1950er-Jahre entstand in den USA das Konzept des Formatradios, mit dem mittels einer spezifischen, durchgängigen Gestaltung der Musikprogramme bestimmte Zielgruppen–möglichst grosse, für die Werbewirtschaft besonders attraktive Publika–dauerhaft angesprochen werden sollten (vgl. Holznagel/Vesting 1999: 14 f.). Das Prinzip |103◄ ►104| der Formatierung findet seit den 1980er-Jahren vermehrt auch im Fernsehsektor Anwendung.

      • Start der Fernsehwerbung (z. T. auch Radiowerbung) und Auf-und Ausbau der Publikums- und Programmforschung (1960er-und 1970er-Jahre): Die Einführung von Rundfunkwerbung war stets mit dem Auf- und Ausbau von Publikums- und Programmforschung verbunden. In den USA sind Publikumsbefragungen zu Sender- und Programmpräferenzen seit den 1930er-Jahren Routine. Der kommerzielle Rundfunk richtete schon damals seine Programmgestaltung stark auf die Erfordernisse der Werbewirtschaft aus, wozu er aktuellste Daten zu den Publikumspräferenzen benötigte (vgl. Lichty/Topping 1975: 453 ff.). In Europa erfolgte in den 1960er-Jahren ein erster Entwicklungsschub der Publikums- und Programmforschung (vgl. Kiefer 1999: 711–726), ein zweiter setzte in den 1980er-Jahren mit der Zulassung privater und kommerzieller Konkurrenzsender ein (vgl. Krüger 2001: 50 f.).

      Kommerzielle Fernsehwerbung

      • Zulassung privater kommerzieller Konkurrenzsender (ab 1980er-Jahre): Seit der partiellen Liberalisierung und Deregulierung des Rundfunks beschleunigt sich die Kommerzialisierung des Rundfunks in Europa (vgl. Meier/Jarren 2001). Die Zulassung zahlreicher privater und kommerzieller Radio- und Fernsehveranstalter seit den 1980er-Jahren förderte bis heute vor allem ein Wachstum im Bereich nachfrageorientierter, zielgruppenspezifischer Angebote (vgl. Dussel 2004: 283). Die Entwicklung verlief und verläuft in Europa jedoch nicht zeitsynchron: So kennt Grossbritannien schon seit 1954 einen privaten kommerziellen Fernsehbereich, während Österreich erst 1993 Privatrundfunk zuliess.

      Deregulierung und Kommerzialisierung

      4.5 Ausblick: Veränderungspotenzial der Digitalisierung

      Leistungssteigerung durch Digitalisierung

      Die Digitalisierung führte bis heute zu einer weiteren Expansion medialisierter Kommunikation. Die gesamte Medienbranche veränderte sich durch den Einsatz von Computern im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts in praktisch allen Bereichen stark. Die Digitalisierung ermöglicht enorme Rationalisierungsschritte, beispielsweise bei der Zeitungsproduktion (Bildschirmsatz) oder den Rundfunkmedien (digitale Schnittplätze für Bild und Ton, computergestützte Musikprogrammierung|104◄ ►105| u. a.), und bildet die Grundlage für neue, leistungsfähige Übertragungskanäle (Internet). Damit zeichnet sich auch das Ende oder zumindest eine Relativierung der Frequenzknappheit im Rundfunkbereich ab (vgl. den Beitrag Medienpolitik, i. d. B.).

      Innovative Angebots- und Nutzungsformen

      Neue digitale Verbreitungskanäle schaffen tatsächlich die technische und organisatorische Möglichkeit, auf das Individuum zugeschnittene Massenprodukte anzubieten und mithilfe von Rückmeldungen des Konsumenten (interaktiv) laufend anzupassen. Noch offen ist, ob und wann sich solche Angebote in grösserem Umfang auch wirtschaftlich rechnen.

      Entwicklungschancen für Radio und Fernsehen

      Im Zeitalter der nachfrageorientierten Angebotsplanung und -entwicklung könnte sich mittel- oder längerfristig als entscheidend erweisen, dass Radio und Fernsehen dank digitaler Kommunikationsnetze und Speicher eine gewisse Entzeitlichung der Rezeption ihrer rundfunkartigen Kommunikationsangebote organisatorisch umsetzen können. Eine solche Flexibilisierung der Rezeptionsmöglichkeiten steigert die Attraktivität, aber auch Effizienz von Radio und Fernsehen weiter.

      Übungsfragen:

      Welche Relevanz hat Kommunikations- und Mediengeschichte?

      Welche Epochen der Medialisierung öffentlicher Kommunikation lassen sich identifizieren?

      An welchen historischen Entwicklungen lässt sich der Bedeutungsverlust des öffentlichen Rundfunks als medienpolitisches Konzept seit den 1960er-Jahren beobachten?

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      Basisliteratur

      Künzler, Matthias/Schade, Edzard (2007): Schafft Politik eine Medienordnung? Eine komparative Analyse deutscher, österreichischer und schweizerischer Medienpolitik seit 1945. In: Jarren, Otfried / Donges, Patrick (Hrsg.): Ordnung durch Medienpolitik? Konstanz: UVK

      Schmolke, Michael (1999): Kommunikationsgeschichte. In: Renger, Rudi/Siegert, Gabriele (Hg.): Kommunikationswelten. Wissenschaftliche Perspektiven zur Medien- und Informationsgeschichte. Innsbruck, S. 19–44.

      Schulz, Andreas (2000): Der Aufstieg der „vierten Gewalt“. Medien,