2.3.6 Neopythagoreismus
(Pythagoreer)
Die Gemeinschaften von Pythagoreern bildeten exklusive Zirkel, in denen der Naturphilosoph Pythagoras (Ende 6./Anf. 5. Jh. v. Chr.) als göttliche Gestalt verehrt wurde. Im eigentlichen Pythagoreismus waren Zahlenspekulationen, bestimmte Nahrungs- und Verhaltenstabus sowie ein hohes Gemeinschaftsideal, das auch Frauen Zugang gewährte, von großer Bedeutung. In der frühen Kaiserzeit nahmen einige andere philosophische Schulen wie der Stoizismus oder der Mittlere Platonismus Elemente der Pythagoreer auf, sodass deren Gedanken, u. a. die Reinkarnationsvorstellung, weiterwirkten. Populär waren die um 200 n. Chr. entstandenen Sentenzen des Sextos, die auch von Christusgläubigen gerne gelesen wurden (vgl. Origenes, c. Celsum 8,30).
2.3.7 Skeptizismus
(Akademiker und Pyrrhoniker)
Wie die modernen Skeptiker, so betonten auch jene der Antike, deren Philosophie auf das 4. Jh. v. Chr. zurückgeht, dass man nichts wissen könne. Jede Ansicht, nicht zuletzt die jedes anderen Philosophen, sei zu „prüfen“ (σκέπτεσθαι/skeptesthai), vorgefertigte Dogmen dürften nicht anerkannt werden. Es gab zwei skeptische Schulen, die Akademiker und die Pyrrhoniker. Während Letztere besonders streng jede gefestigte Meinung ablehnte, versuchten Erstere, in engem Anschluss an die Stoa, durchaus Philosophie im herkömmlichen Sinn zu betreiben (Philon von Larisa; 2./1. Jh. v. Chr.). Sie erhob nicht den Anspruch, Wissen zu beschreiben, war aber aufgrund ihres alles hinterfragenden Charakters populär, vor allem im Westen des Reiches, u. a. bei Cicero.
2.4 Griechische und römische Religion
(Öffentlich und nicht-öffentlich)
Im Folgenden wird eine Differenzierung von zwei Bereichen vorgenommen, die allerdings nicht streng geschieden betrachtet werden sollten, da sie in der griechisch-römischen Antike mehr oder weniger eng miteinander verknüpft waren: 1) Öffentliche Religion als jene Form von Religion, die an Tempeln und von bestallten Funktionsträgern durchgeführt wurde. 2) Nicht-öffentliche Religion als jene Phänomene, in denen sich alltägliche religiöse Vollzüge ebenso zeigten wie außeralltägliche Formen außerhalb staatlicher Autorisierung.
(Omnipräsenz von Religion)
Grundsätzlich gilt dabei erstens, dass in der griechisch-römischen Antike eine Trennung in einen religiösen und einen säkularen Bereich, wie sie uns heute selbstverständlich ist, nicht existierte. Die Welt war durchdrungen von religiösen Symbolen. Große und kleine Tempel, Schreine an Kreuzungen, Nischen und Bilder an Hauswänden und in Wohnräumen sowie Amulette, Accessoires und Münzen waren Träger religiöser Zeichen und Abbildungen, die allgegenwärtig waren. Bei politischen Anlässen ebenso wie bei Banketten im kleinen Kreis waren religiöse Handlungen konstitutiv. Religion war ein omnipräsentes Phänomen, das in einer großen Vielfalt religiöser und kultischer Vollzüge erlebt wurde.
(Regionale Ausprägungen)
Zweitens ist zu beachten, dass Religion im Mittelmeerraum ein lokales bzw. regionales Phänomen war. So lassen sich zwar bestimmte gemeinsame Überzeugungen und kultische Vollzüge herausarbeiten, in ihren jeweiligen regionalen Ausprägungen unterschieden sich diese aber deutlich. Das zeigt sich u. a. in den verschiedenen Beinamen (Epitheta), die den Gottheiten gegeben wurden, in der unterschiedlichen Ikonographie sowie in Einzelkulten, die durch die Geschichte eines Ortes bedingt waren. Die Ausbildung eines einheitlichen Kultes mit zentraler Steuerung – wie etwa des Kaiserkults – war demgegenüber eine Neuerung (s. u. S. 47).
(Tradition und Transformation)
Und drittens zeigt sich, dass trotz aller Traditionsgebundenheit, die für die antike Wahrnehmung von Religion ein wichtiges Element war, religiöse Vollzüge an neue Bedürfnisse und Moden adaptiert und weiterentwickelt wurden.
2.4.1 Öffentliche Religion
Der öffentliche Vollzug von Religion war in der griechisch-römischen Antike eine Angelegenheit der Stadt und ihrer Funktionsträger, die an den lokalen Tempeln auch als Priester fungierten. Dies gilt sowohl für den östlichen als auch für den westlichen Raum des Imperium Romanum, wobei in der frühen Kaiserzeit sich diese beiden Bereiche mit ihren je unterschiedlichen religiösen Traditionen zu einem gewissen Teil ähnlicher wurden.
(Tempel)
Tempel waren sowohl in baulicher als auch in kultischer Hinsicht die Zentren der öffentlichen Religion. Auf den vorgelagerten Altären wurden Opferrituale vollzogen, in Prozessionen die Statuen der Götter und Göttinnen durch die Stadt getragen. Die Gottheiten des griechischen wie des römischen Pantheons wurden dabei – in ihren jeweiligen lokalen Ausprägungen – in ähnlicher Weise verehrt. Dazu kam noch eine große Zahl weiterer Gottheiten, Halbgötter und Heroen, die für einzelne Gruppen oder Städte von hoher Bedeutung waren. Zudem trugen die Migrationsbewegungen innerhalb des Imperium Romanum zu Ritual- und Kulttransfers bei.
Der griechische (römische) Pantheon
Zeus (Jupiter) | Herrscher über das All, Göttervater und oberste Schutzgottheit |
Hera (Juno) | mütterliche Gottheit |
Poseidon (Neptun) | Beherrscher des Meeres |
Athena (Minerva) | kriegerische Beschützerin Athens und junger Frauen |
Apollon (Apollo) | jugendlicher Gott, u. a. für Unterhaltung und Orakelkunst |
Artemis (Diana) | Jagdgöttin und Göttin der Übergänge im Leben |
Aphrodite (Venus) | Göttin der Liebe |
Hermes (Merkur) | Götterbote und Kulturbringer |
Hephaistos (Vulcan) | Gott des Feuers, der Schmiede und der Handwerker |
Ares (Mars) | Gott des Krieges |
Demeter (Ceres) | Bringerin von Fruchtbarkeit und Beschützerin der Frauen |
Dionysos (Bacchus) | Gott des Weines und des Spiels |
(Priestertum)
Für den korrekten Vollzug der Rituale, mit denen traditionelle kultische Elemente abgewickelt wurden, die aber durchaus entwicklungsfähig waren, waren die dafür eingesetzten Priester und Priesterinnen verantwortlich. Sie rekrutierten sich vor allem aus den lokalen Eliten, die die politische Macht innehatten sowie ausreichende ökonomische Möglichkeiten besaßen. Diese finanzierten zusätzlich zu den öffentlichen Kassen nicht nur die eigentlichen religiösen Akte, sondern ebenso den Bau der Heiligtümer und die Spiele, die zu religiösen Festtagen abgehalten wurden. Die Priester waren aber keine religiösen oder gar theologischen Experten, die dafür spezifisch ausgebildet wurden, sondern eingebettet in Kollegien oder Familien, in denen das religiöse Wissen tradiert und praktiziert wurde. Theologie war weithin Sache der Philosophen.
(Öffentliches Interesse)
Öffentliche Religion war vor allem darauf ausgerichtet, die Gottheiten dazu zu bewegen, die Geschicke der Polis, des Imperium Romanum bzw. des Kaisers und seiner Familie positiv zu gestalten. Bewirken sollten dies Opfer, die teilweise sehr aufwendig waren, Weihungen, Eide und Gebete an die Gottheiten. Dahinter stand die Überzeugung, dass die Götter erstens existierten, zweitens den Menschen Gehör schenkten, drittens die Macht hatten, die Geschicke zu lenken, und viertens auch gerecht handelten.
(Orakel)
Zu den Bereichen öffentlicher Religion gehörten auch Wege, die Zukunft zu erkennen: Im griechischen Raum geschah dies vor allem durch Orakel wie jene in Delphi oder Didyma. Die römische Tradition vertraute