Markus Öhler

Geschichte des frühen Christentums


Скачать книгу

bis weit in die Bevölkerungen Roms und Süditaliens hinein. Nicht nur in den Städten, sondern auch in den ländlichen Bereichen etwa Kleinasiens wurde Koine-Griechisch, das „allgemeine“ Griechisch, gesprochen. Damit verstärkte sich die Möglichkeit, Ideen und Kulte zu verbreiten, noch weiter. So ist es nicht verwunderlich, dass ab dem 3. Jh. v. Chr. Judäer in Alexandria ihre heiligen Schriften ins Griechische übersetzten und damit die Septuaginta (LXX) schufen. Später wurden auch das Neue Testament sowie die gesamte frühchristliche Literatur in Koine-Griechisch verfasst.

      (Lokale Besonderheiten)

      Selbstverständlich gab es von dieser umfassenden Akkulturation partielle Ausnahmen, die in einzelnen Bereichen eine gewisse Eigenständigkeit bewahrten. Das konnte etwa die Sprache betreffen: So blieb in Syrien und Palästina Aramäisch die erste Sprache, auch wenn in den Städten Griechisch vorherrschte. Auch lokale Sprachen wie das Hebräische, Koptische, Lykaonische oder Phrygische wurden weiterhin gesprochen. Die Hellenisierung der Kulte wurde in manchen Gebieten nur teilweise betrieben, wie sich am Judentum oder an ägyptischen religiösen Traditionen zeigt. Auch die Wirtschaftsstrukturen wurden nicht überall gleichermaßen dem griechischen Modell angepasst.

      2.2.1.2 Stabilität und Pax Romana

      (Pax Romana)

      Das Imperium Romanum befand sich in der Zeit des frühen Christentums trotz mancher Konflikte an den Außengrenzen und seltener politischer Unsicherheit in einer Phase der Stabilität und Ausdehnung, der sogenannten Pax Romana. Das ermöglichte Investitionen in eine prosperierende Wirtschaft, die umfassende Neugestaltung der Städte und den Aufbau einer für antike Verhältnisse hervorragenden Infrastruktur. Zahlreiche römische Straßen, die sowohl dem imperiumsweiten Handel wie auch dem Militär dienten, verbanden alle Teile des Reiches. So konnte etwa Paulus auf seinen Reisen zwei bekannte Straßen nutzen: die Via Sebaste im Inneren Kleinasiens, die durch das pisidische Antiochien, Ikonion und Lystra führte, und die Via Egnatia, die vom Bosporus durch Makedonien und Illyrien bis an die Adriaküste verlief. Die erfolgreichen Kämpfe gegen das Piratenunwesen erlaubten zudem Schiffsreisen, mit denen weite Entfernungen relativ sicher bewältigt werden konnten.

      2.2.2 Die Stadt als Zentrum des antiken Lebens

      (Stadt)

      Das soziale Leben war im Osten des Imperiums durch die Stadt geprägt. Diese bestand aus der eigentlichen Polis und ihrem landwirtschaftlich bedeutenden Umfeld. Die Stadt war der Kulturraum, in dem sich das frühe Christentum hauptsächlich verbreitete. Während die Leute auf dem Land als ungebildet galten, hatte die Stadt ein geordnetes Bildungs- und Kulturangebot und war durch Ämter und Verwaltungseinheiten strukturiert. Sie bot durch Märkte und Handwerksstätten zahlreiche ökonomische Möglichkeiten und stellte gesellschaftliche Angebote zur Verfügung. Gymnasien und Bäder sowie Vereinigungen erfüllten das Bedürfnis nach Geselligkeit, Theater und Stadien das nach Unterhaltung. In Tempeln unterschiedlicher Gottheiten vollzog sich darüber hinaus das religiöse Leben einer Stadt.

      (Provinz)

      Mit dem Vordringen und der Machtübernahme der Römer trat ein weiteres Element hinzu. Zum einen wurden die Städte, die zuvor Teile von lokalen Königreichen gewesen waren, in Provinzen eingegliedert. Der Statthalter und sein Apparat legten nun die Regeln fest, die Steuern flossen nach Rom. Manche Städte erhielten zwar Privilegien, die ihnen ein höheres Maß an Selbstverwaltung zubilligten, doch auch sie standen selbstverständlich unter der Herrschaft Roms. Die Gründung zahlreicher römischer Kolonien, wie z. B. von Korinth oder Philippi, und die Zuwanderung in die großen Städte führten zu einer wachsenden Präsenz römischer Bürger im Osten, die dort auch kulturell ihren Stempelabdruck hinterließen. Die lokalen Eliten der Städte waren daher stets um gute Beziehungen zu den römischen Institutionen und vor allem zum Kaiser bemüht. Zugleich war die frühe Kaiserzeit eine Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs gerade der Provinzen im Osten, was sich an den zahlreichen öffentlichen Bauwerken bis heute erkennen lässt.

Image

       Karte 1: Das römische Reich in neutestamentlicher Zeit

      2.2.3 Soziale Gruppen

      Unterhalb der Polis-Ebene bestanden verschiedene Gruppen mit einer hohen Bedeutung für das gesellschaftliche Zusammenleben.

      2.2.3.1 Familie und Haus

      (Haus)

      Basis der Gesellschaft war die Familie. Ihre Bezeichnung als „Haus“ (οἶκος/oikos bzw. οἰκία/oikia; lat. domus) lässt erkennen, dass die Familie – Eltern mit 2–3 Kindern – mit dem Haushalt identifiziert wurde und über die verwandtschaftlichen Grenzen hinaus auch Sklaven und Sklavinnen bzw. Freigelassene umfassen konnte. Das gilt auch für das semitische Äquivalent bayit. Je nach wirtschaftlicher Potenz konnte ein „Haus“ größer oder kleiner sein. Oft wohnten auch noch die Großeltern oder andere Verwandte unter demselben Dach. Die Orientierung am Haus zeigt an, dass die Familie auch als ökonomische Einheit verstanden wurde. Antike Werke aus der Feder etwa des Xenophon oder (angeblich) des Aristoteles widmeten sich unter dem Titel „Ökonomie“ ausführlicher der ordentlichen Führung eines Haushalts.

      (Rollen im Haus)

      Das Rollenverständnis innerhalb der Familien war klar festgelegt: Der Hausherr (griech. οἰκοδεσπότης/oikodespotēs; lat. paterfamilias) war der Herr über alle Mitglieder des Hauses, oberster Priester der Hauskulte und Repräsentant nach außen. Die Aufgaben der Frau wurden zumeist auf den internen Bereich festgelegt, also Hauswirtschaft und Erziehung. Kinder und Sklaven/Sklavinnen standen am unteren Ende der Hierarchie. Die Erfüllung der jeweiligen Rollen war Grundvoraussetzung für das Funktionieren des Haushalts. Das gilt grundsätzlich in allen Gegenden des Mittelmeerraums, wenngleich es zwischen griechischer und römischer Tradition durchaus Unterschiede gab, die u. a. rechtliche Regelungen betrafen. Der jeweilige gesellschaftliche Stand konnte überdies Frauen mehr oder weniger Freiraum ermöglichen.

      2.2.3.2 Freie und Sklaven

      Als frei galten in der griechisch-römischen Gesellschaft all jene, die entweder frei geboren oder aus der Sklaverei freigelassen worden waren. Frei Geborene bildeten jenen Teil der Polis-Gesellschaft, der an den politischen Prozessen beteiligt war, wobei auch ökonomische und andere Faktoren selbstverständlich eine Rolle spielten. Freigelassene hingegen unterlagen verschiedenen Einschränkungen, die erst bei ihren Nachkommen, die als frei geboren galten, wegfielen.

      (Stellung von Sklaven)

      Hinsichtlich der Stellung von Sklaven und Sklavinnen die Angehörige von Haushalten mit entsprechenden finanziellen Mitteln waren, ist eine differenzierte Wahrnehmung wichtig. Grundsätzlich galt ein Sklave (griech. δοῦλος/doulos; lat. servus) als Eigentum seines Herrn, über das dieser vollständige Verfügungsmacht hatte. Es handelte sich also um ein strukturelles Gewaltverhältnis, das allerdings in der Praxis und zumal in der Kaiserzeit gegenüber den historischen Anfängen bereits abgemildert war. Die Situation der Sklaven und Sklavinnen, die 15–30 Prozent der Bevölkerung einer Stadt ausmachten, hing von ihrem Einsatzort und ihrer Ausbildung ab: Am schlechtesten stand es wegen der Arbeitsbedingungen um jene, die in Bergwerken arbeiten mussten. Die Landgüter (Latifundien) der Oberschicht waren nur durch die Arbeitskraft von Sklaven wirtschaftlich zu führen, wobei die Aufsicht zumeist ebenfalls einem Sklaven überlassen wurde (vgl. Lk 12,42–48). Eine gute Behandlung der Sklaven als wichtige Arbeitskräfte war durchaus bedeutend, um die wirtschaftliche Investition zu schützen. Viele Sklaven und Sklavinnen in den Städten gehörten zu einzelnen Haushalten (Haussklaven, griech. οἰκέται/oiketai) und erfüllten neben Haushaltstätigkeiten auch Funktionen als Erzieher, Lehrer oder Schreiber. Andere arbeiteten in Werkstätten, in der städtischen oder imperialen Verwaltung bzw. in der Prostitution. Ihre Lebensverhältnisse richteten sich nach ihrer Qualifikation und Bindung an den Hausherrn oder andere Mitglieder der Familie. Einige wenige Sklaven, u. a. jene, die zum Kaiserhaus gehörten, hatten durchaus machtvolle Positionen inne. Ein Sklave zu sein, musste also nicht automatisch Armut oder Misshandlungen mit einschließen. Die Lebensumstände eines Sklaven hingen vielmehr von den sozialen und ökonomischen Verhältnissen des Besitzers sowie von dessen Umgang mit seinen