Markus Öhler

Geschichte des frühen Christentums


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widmen sich bedeutenden Personen des frühen Christentums.

      Zwei sachliche Anliegen durchziehen diese Rekonstruktion: Zum einen soll gezeigt werden, dass die Entstehung des frühen Christentums mit den historischen und kulturellen Entwicklungen des 1. Jhd. n. Chr. verbunden ist. Geschichte ist nicht anders zu denken als unter Berücksichtigung der zahlreichen Kontexte, in die sie eingebettet ist.

      Zum anderen soll die von Anfang an bestehende Diversität des frühen Christentums erkenntlich werden, um zu ermöglichen, die frühchristlichen Texte im Rahmen ihrer Entstehungssituation deuten zu können. Die Rekonstruktion der Geschichte des frühen Christentums hat ihre Bedeutung eben auch darin, zu einem besseren Verständnis der Glaubenszeugnisse des Anfangs zu verhelfen und so zum Gesamten der Theologie beizutragen.

      Die Basis einer Rekonstruktion der Geschichte des frühen Christentums sind die Quellen der Antike, nicht nur des Neuen Testaments, sondern auch weit darüber hinaus. Viele der in diesem Buch erwähnten Texte außerhalb des Neuen Testaments sind in einschlägigen Quellensammlungen abgedruckt, unter denen jene, die von Jens Schröter und Jürgen Zangenberg herausgegeben wurde, hier empfohlen sei. Für das Studium des kultur- und religionsgeschichtlichen Kontextes finden sich in den Bänden aus der Reihe „Neues Testament und Antike Kultur“ gute Einführungen zu einzelnen Themenbereichen. Lexika wie „Der Neue Pauly“ bieten Einzelinformationen zu Personen, Orten und Sachen.

      Ich danke herzlich all jenen, die an der Gestaltung des Buches sowohl in inhaltlicher wie formaler Hinsicht mitgewirkt haben: Lukas Bormann für die kritische Lektüre, Clarissa Breu und Kerstin Böhm für zahlreiche inhaltliche Vorschläge und Korrekturen, Milena Heussler und Sarah Herzog für die Überprüfung von Belegen und die Erstellung von Registern, sowie meiner Tochter Corinna Öhler für die Bearbeitung der Karten, für deren Bereitstellung ich den Kollegen D.-A. Koch und U. Schnelle danke.

      Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, 18 Bände, Stuttgart/Weimar 1996–2003.

      James D. G. Dunn, Beginning from Jerusalem, Christianity in the Making 2, Grand Rapids/Cambridge 2009.

      ders., Neither Jew nor Greek. A Contested Identity, Christianity in the Making 3, Grands Rapids/Cambridge 2015.

      Kurt Erlemann/Karl-Leo Noethlichs/Klaus Scherberich/Jürgen Zangenberg, Neues Testament und Antike Kultur, 5 Bände, Neukirchen-Vluyn 2004–2008.

      Dietrich-Alex Koch, Geschichte des Urchristentums. Ein Lehrbuch, Göttingen 22014.

      Eckhard J. Schnabel, Urchristliche Mission, Wuppertal 2002.

      Udo Schnelle, Die ersten 100 Jahre des Christentums 30–130 n. Chr. Die Entstehungsgeschichte einer Weltreligion, Göttingen 22016.

      Jens Schröter/Jürgen Zangenberg, Texte zur Umwelt des Neuen Testaments, UTB 3663, Tübingen 2013.

      Alexander J. M. Wedderburn, A History of the First Christians, London 2004.

       1 Grundfragen einer Geschichte des frühen Christentums

      1.1.1 Der Gegenstand „Christentum“

      (Begriffsklärung)

      Eine Geschichte des „Christentums“ setzt einen Begriff voraus, der im Neuen Testament nicht vorkommt. Xριστιανισμός/Christianismos begegnet erstmals im 2. Jh. n. Chr. bei Ignatius von Antiochien in seinen Briefen an die Gemeinden von Magnesia, Philadelphia und Rom (IMagn 10,1.3; IPhilad 6,1; IRöm 3,3), wobei dies dort u. a. als Gegensatz zum Judentum (griech. Ίουδαϊσμός/Judaismos) erscheint. Mit der heutigen Verwendung des Begriffs „Christentum“ wird allerdings eine soziologische und theologische Einheit als Religion postuliert, die, so wird im Folgenden immer wieder deutlich werden, in der Frühzeit nicht bestand. Zudem wird damit häufig die Vorstellung von der Trennung von einem als Einheit verstandenen „Judentum“ verbunden. Auch diese geschah erst in einem lange dauernden und unterschiedlich ablaufenden Prozess. Und schließlich dient der Begriff „Christentum“ bis heute als Abgrenzung zu einem antiken „Heidentum“, das aus zahlreichen Kulten unterschiedlicher Form und Geschichte bestand und keine Ganzheit darstellte.

      (Christianoi)

      Die Bezeichnung Christianismos selbst geht auf die Benennung von Christusgläubigen als Christianoi (griech. Χριστιανοί) durch Außenstehende zurück (Apg 11,26; 26,28). Sie wurde erst gegen Ende des 1. Jh. n. Chr. auch als Wort für die eigene religiöse Identität übernommen (1Petr 4,16). Im Neuen Testament begegnen viele andere Bezeichnungen (s. u. S. 175, 251), sie lassen sich allerdings nicht auf einen Nenner bringen.

      (Alternative Begriffe)

      In jüngerer Zeit haben Autorinnen und Autoren daher auf soziologische Begriffe zurückgegriffen: So wurden „Bewegung der Gottesherrschaft“, „Jesusbewegung“, „Jesusnachfolger“ oder „Anhänger und Anhängerinnen Jesu“ mit guten Gründen als Bezeichnungen verwendet, weil sie auf die Zeit vor Ostern verweisen. Sie sind allerdings darin defizitär, dass sie die besondere Bedeutung des Glaubens an Christus nicht abbilden können. Andere versuchen es mit „Glaubende an Christus“, „Jesus- bzw. Christusverehrer“ oder „Christusgemein-schaft“ und ähnlichen Konstruktionen. Insbesondere „Glaubende“ bzw. „Gläubige“ hat den Vorteil, dass damit eine Selbstbezeichnung aufgenommen wird, die in den Paulusbriefen begegnet (u. a. 1Thess 1,7; 1Kor 1,21; 14,22; Gal 3,22), aber auch darüber hinaus (1Petr 2,7; 1Joh 5,1.5.10). Allerdings ist auch dies nur ein Begriff aus der Vielzahl übergreifender Ausdrücke, die zeitlich und lokal offenbar ganz unterschiedlich ausgebildet wurden. Es bleibt so kaum eine andere Wahl, als einen Begriff zu verwenden, allerdings stets im Bewusstsein, dass er den bezeichneten Sachverhalt nur ungenau abbildet. Im Folgenden sprechen wir daher einerseits von „Christusgläubigen“, greifen aber andererseits für das zu besprechende Phänomen auf den klassischen Begriff „Christentum“ zurück, für den sich keine sprachlich sinnvolle Alternative ergibt. Es wird aber stets zu beachten sein, dass damit

      Juden oder Judäer?

      (Judaioi)

      Anfang des 21. Jh. setzte in der Judaistik wie in der Erforschung des frühen Christentums eine Debatte ein, die gegenwärtig noch anhält und deren Ausgang noch nicht entschieden scheint. Dabei geht es um die Frage, ob die griechische Bezeichnung Ίουδαίοι/Judaioi mit „Juden“ oder mit „Judäer“ zu übersetzen ist.

      Für die Wiedergabe mit „Judäer“ ist Folgendes vorgebracht worden: Es handelt sich aus antiker Perspektive eindeutig um ein Volk, nicht um eine Religion. Auch alle anderen griech. Volksbezeichnungen verweisen auf den Herkunftsort des entsprechenden Volkes. Ob Judaioi tatsächlich in Judäa selbst wohnen oder in der Diaspora, ist dabei irrelevant. Auch der griechische Begriff Ίουδαϊσμός/Judaismos ist dementsprechend nicht mit „Judentum“ wiederzugeben, also im Sinne einer Religion, sondern meint die Orientierung an der Lebenskultur des Volkes der Judäer. Die klassische Wiedergabe von Judaioi mit „Juden“ wird allerdings vehement verteidigt. Zum einen verstünden sich bereits seit der Makkabäerzeit die Judaioi selbst als Volk und Religion zugleich. Das zeige sich daran, dass man zum Judaismos übertreten kann (vgl. 2Makk 6,1–11 und 9,13–17). Zum anderen werde mit der Bezeichnung „Judäer“ die antike Geschichte des Judentums vom gegenwärtigen Judentum getrennt. „Judäer“ sollte daher ausschließlich für Bewohner des Gebietes Judäa in Palästina verwendet werden.

      Im vorliegenden Buch werden beide Begriffe verwendet, wobei durch den Gebrauch jeweils angezeigt werden soll, ob eine vor allem ethnische oder eine kulturell-religiöse Perspektive vorliegt, auch wenn beides miteinander eng verbunden bleibt.

      1. keine schon abgeschlossene Trennung vom Judentum impliziert ist;

      2. keine