2.1 Strukturen von Herrschaft
Im Blick auf die Herrschaftsstrukturen sind zwei Dimensionen zu unterscheiden: Der umfassendere Bereich ist jener des römischen Imperiums, zumal dessen geographischer Raum auch jener der Ausbreitung des frühen Christentums war. Unter lokalen Gesichtspunkten sind die Machthaber im Großraum Palästina von Bedeutung, sowohl jene aus dem Herodianischen Geschlecht als auch die römischen Präfekten bzw. Prokuratoren.
2.1.1 Herrschaft über das Imperium Romanum – Die Kaiser
(Augustus / Tiberius / Caligula / Claudius / Nero / Vierkaiserjahr / Vespasian / Titus / Domitian / Nerva / Trajan / Hadrian)
Die Geschichte der römischen Kaiser ist durch ihren steten Bezug auf Augustus (31/27 v. Chr.–14 n. Chr.) geprägt. Die nach dem Bürgerkrieg (44–31 v. Chr.) erreichte Stabilität, zusammengefasst im Schlagwort der Pax Romana („Römischer Friede“), ermöglichte auch die Verbreitung des Christentums im Imperium Romanum. In der Zeit Jesu war mit Tiberius (14–37 n. Chr.) ein verlässlicher und um Stabilität bemühter Politiker Kaiser, der auch in Lk 3,1 erwähnt wird. Ihm folgte mit Gaius Caligula (37–41 n. Chr.) eine schwierige Persönlichkeit. Er verlangte als erster Kaiser göttliche Verehrung, wie der Historiker Sueton berichtet (Cal. 22,3). Auch im Jerusalemer Tempel sollte sein Standbild errichtet werden (Philo, leg. ad Gaium 200–207; Josephus, bell. 2,184–203; ant. 18,261–288). Lediglich sein vorzeitiger Tod verhinderte dies. Caligulas Onkel Claudius (41–54 n. Chr.), unter dem sich ein Großteil des Wirkens des Paulus vollzog, war ein gewiefter Politiker. Die östlichen Provinzen blühten unter seiner Regentschaft auf. Auf die Maßnahmen des Claudius gegen jüdische Christusgläubige in der Stadt Rom wird in Apg 18,2 angespielt (vgl. Sueton, Claud. 25,4; s. u. S. 86). Mit Nero (54–68 n. Chr.) setzten nach der stabilen Phase unsichere Zeiten ein. Nach einem zweifelhaften Bericht des Tacitus mussten Christusgläubige auf Veranlassung Neros als Sündenböcke für den Brand Roms im Jahr 64 n. Chr. herhalten (ann. 15,44,2–5; s. u. 14.2). Unter Neros Regierung begann im Jahr 66 n. Chr. auch der 1. Judäische Aufstand. Nach dem Selbstmord Neros konnte sich zunächst niemand entscheidend etablieren, sodass im Jahr 69 n. Chr. vier Kaiser den Regierungsanspruch erhoben: Galba, Otho, Vitellius und schließlich Vespasian, der sich durchsetzte. Er regierte bis 79 n. Chr. und begründete die Flavische Dynastie. Vespasian war zum Zeitpunkt seiner Machtergreifung gerade mit der Niederschlagung des Aufstandes in Judäa beschäftigt, die sein Sohn und Nachfolger Titus (79–81 n. Chr.) abschloss (s. u. 3.5.1). Beide standen für die Wiederherstellung der inneren und finanziellen Ordnung des Imperiums. Domitian (81–96 n. Chr.), Titus’ Bruder und Nachfolger, setzte einerseits das auf ökonomische und gesellschaftliche Stabilität ausgerichtete Programm fort, galt aber andererseits aufgrund der Spannungen mit dem Senat als grausamer Herrscher (s. u. 14.3). Nach dem besonnen regierenden Nerva (96–98 n. Chr.) kam mit dessen Adoptivsohn Trajan (98–117 n. Chr.) ein Mann an die Macht, der später als der ideale Kaiser galt. In seiner Zeit hatte das römische Reich die größte Ausdehnung, unter ihm kam es u. a. aber auch zum Judäischen Aufstand in der Diaspora (115–117 n. Chr.; s. u. 3.7.3). Darüber hinaus wurden unter Trajan zum ersten Mal Christusgläubige wegen des Vorwurfs des Aberglaubens (superstitio) hingerichtet (s. u. 14.4). Sein Adoptivsohn Hadrian (117–138 n. Chr.), ein großer Freund griechischer Kultur, setzte die Stabilisierung fort und rückte den Kaiserkult noch stärker in den Vordergrund. 132–135 n. Chr. kam es zum zweiten Aufstand in Judäa (Bar-Kochba-Aufstand). Hadrian ließ ihn niederschlagen und an der Stelle des zerstörten Jerusalem die Stadt Aelia Capitolina errichten (s. u. S. 73).
Kaiserdaten von Augustus bis Hadrian
Imperator Caesar Divi Filius Augustus 27 v. Chr.–14 n. Chr.
Tiberius Caesar Augustus 14–37 n. Chr.
Gaius Caesar Augustus Germanicus Caligula 37–41 n. Chr.
Tiberius Claudius Caesar Augustus Nero Germanicus 41–54 n. Chr.
Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus 54–68 n. Chr.
Servius Galba Imperator Caesar Augustus 68–69 n. Chr.
Imperator Marcus Otho Caesar Augustus 69 n. Chr.
Aulus Vitellius Germanicus Imperator Augustus 69 n. Chr.
Imperator Titus Flavius Vespasianus Caesar 69–79 n. Chr.
Imperator Titus Caesar Vespasianus Augustus 79–81 n. Chr.
Imperator Caesar Domitianus Augustus 81–96 n. Chr.
Imperator Nerva Caesar Augustus 96–98 n. Chr.
Imperator Caesar Nerva Traianus Augustus 98–117 n. Chr.
Imperator Caesar Traianus Hadrianus Augustus 117–138 n. Chr.
2.1.2 Die römische Verwaltung
Die römische Verwaltung der frühen Kaiserzeit setzte auf ein System von Ausbildung und Beamtenlaufbahn, klaren Kompetenzen und gesetzlichen Richtlinien. Sie schloss die Ausübung und Repräsentation der römischen Machtstellung ein, wobei hinter dieser Praxis autorisierend und in vielen Bereichen auch entscheidend der römische Kaiser als oberstes Organ stand.
(Provinzverwaltung)
Das Imperium Romanum bestand aus Provinzen und Klientelfürstentümern. Provinzverwaltungen wurden seit 27 v. Chr. zum Teil vom Kaiser, zum Teil vom Senat besetzt. Kaiserliche Provinzen waren etwa Ägypten oder Syrien, die durch Präfekten bzw. Legaten für 2–3 Jahre verwaltet wurden. Zu diesen Legaten für die Provinz Syrien gehörte u. a. P. Sulpicius Quirinius, der im Jahr 6 n. Chr. in dem Verwaltungsgebiet von Judäa eine Volkszählung durchführen ließ (vgl. Lk 2,1f.). Unter anderem unter Tiberius gab es durchaus auch längere Amtszeiten von römischen Funktionsträgern, wie z. B. die zehn Jahre des Pontius Pilatus (Josephus, ant. 18,89). Die zehn senatorischen Provinzen, wie z. B. Asia oder Zypern, wurden vom römischen Senat mit ehemaligen Konsuln bzw. Praetoren für ein Jahr besetzt. Neben den Provinzen gab es Verwaltungsgebiete wie Judäa, deren Leiter Statthaltern untergeordnet waren, die aber keine eigenständigen Provinzen waren (s. u. 2.1.3).
(Statthalter)
Die Statthalter waren vor allem für die Gerichtsbarkeit und die Eintreibung von Steuern und Abgaben verantwortlich. Auch die Durchführung kultischer Verrichtungen für das Heil Roms und des Kaisers sowie für lokale Gottheiten lagen in ihrem Aufgabenbereich. In seiner Amtsführung war ein Statthalter mehr oder weniger frei, sodass Grausamkeit und Ausbeutung ebenso möglich waren wie verständnisvolles Eingehen auf die jeweiligen lokalen Gegebenheiten.
(Lokale Verwaltung)
Erste Verwaltungsinstanz war in der Regel aber keine römische Institution, sondern die lokale Administration. Obwohl die Oberhoheit bei römischen Statthaltern lag, überließen diese viele Bereiche einheimischen Einrichtungen. Vor allem die Ebene der Stadt (πόλις/polis, lat. municipium, civitas) war dabei zentral. Ihre Leitung rekrutierte sich durch Wahl aus den führenden Geschlechtern der Stadt, die in der Lage waren, die finanziellen Belastungen eines Amtes, das unentgeltlich war, zu tragen. Die konkrete Ausgestaltung von Ämtern war aber je nach Stadt und deren Status unterschiedlich. Das entscheidende Gremium war der Rat (βουλή/boulē; lat. curia), dem gegenüber das Volk (δῆμος/dēmos; lat. populus) in römischer Zeit nur noch geringe Bedeutung hatte. Den beiden Gremien zugeordnet war Hilfspersonal wie Schreiber oder Aufsichtsorgane. Auch private Unternehmer erledigten Verwaltungsaufgaben, wie z. B. die Zöllner (τελῶναι/telōnai; lat. publicani), die Steuern und Abgaben erhoben.
2.1.3 Herrschaft in Palästina
Der Großraum Palästina umfasste in der Antike die Gebiete Paneas, Gaulanitis, Trachonitis, Batanäa, Auranitis, Galiläa, Dekapolis, Peräa, Samaria, Judäa, Idumäa sowie einige Küstenstädte wie Askalon/Gaza, Jamneia, Caesarea Maritima, Joppe, Apollonia und Ptolemais. Die Bezeichnung dieses geographischen Bereichs als Palaestina geht auf die Zeit Hadrians nach der Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstands zurück (135 n. Chr.; s. u. 3.5.3). Da er sich in