Nacht. Maier deutet dies auf einen, „der bereit steht, um Rechtsbelehrung zu erteilen und Fragen zu entscheiden. Meist wird jedoch (wenig wirklichkeitsnah) an ein ununterbrochenes Torastudium gedacht“ (Sp. 733). Steven Fraade (Legal Midrash. In: Legal Fictions, S. 154) hält auch eine liturgische Funktion für möglich.
Der Doresch ha-toradoresch ha-tora taucht als wahrscheinlich priesterlicher Begleiter des messianischen „Sprosses Davids“ auf; es könnte aber auch ein Toraprophet gemeint sein (4Q174 3.11; CD 7.18). In CD 6.2–11wird Num 21,18 („über den Brunnen, den Heerführer gruben, den die Edlen des Volkes aushoben mit dem Zepter – bimchoqaq“) ausgelegt, der Brunnen auf die Tora und das Zepter auf den doresch ha-tora gedeutet. Die Wurzel chqq bedeutet einschreiben/einhauen, anordnen. Der doresch ha-tora ist damit entweder einer, der ein Gesetz erteilt, oder vielleicht eher noch einer, der die Tora verkündet und vermittelt (vgl. Mandel, Legal Midrash; Origins).
Begegnet Tora als Obj. von darasch, handelt es sich um judikativ-administrative Vorgänge bzw. Funktionen, d.h. es wird keine neue Tora erteilt und keine höchstgerichtliche Entscheidung verkündet, es geht vielmehr |25|um Rechtsfindung und Rechtspflege auf Grund geltender Tora […] „Gott suchen“ heißt demnach: eine zuständige Instanz befragen. (Maier, Sp. 734)
Im Unterschied zur Selbsteinschätzung der Gruppe als dorsche ha-tora (4Q 177 10–11,5), als Sucher/Darleger von Tora, welche die richtige Meinung vertreten, werden manche Gegner als Dorsche ha-chalaqotdorsche ha-chalaqot, als „Sucher/Darleger von Glattheiten“ (Maier, Sp. 735) abgekanzelt. Damit könnten die Pharisäer gemeint sein (vgl. Schiffman, Pharisees). Auch hier ist weniger an eine geistige Durchdringung als an konkrete Auslegung und Lehre gedacht (vgl. etwa die Beschreibung in Jes 30,10: „Sie sagen zu den Sehern: Seht nichts!, und zu den Propheten: Erschaut für uns ja nicht, was wahr ist, sondern sagt, was uns schmeichelt, erschaut für uns das, was uns täuscht“).
Der Begriff Midrasch begegnet als Midrasch ha-toraMidrasch ha-tora in der Gemeinderegel Serech le-ansche-ha-jachad 1QS VIII.15 (VIII.12: doresch) und der Damaskusschrift (CD 20.6); dort auch Perusch (Darlegung) ha-toraperusch (Darlegung) ha-tora (6.14; 13.6), Serech (Regel, Ordnung) ha-toraserech (Regel, Ordnung) ha-tora (7.8). 1QS VI.24 ist von einem Midrasch jachad die Rede, einer „gemeinschaftlichen Untersuchung“ (Maier, Sp. 736).
Das Ergebnis, die Verkündigung des Urteils bzw. des Beschlusses, wird 1QS 8,25f. (4QSd 7,1) bemerkenswerterweise mit wa-jidroschu ha-mischpat „und verkünden das Urteil“ bezeichnet, und es wird vorausgesetzt, dass einer nach Verbüßung der Strafe in die Institutionen der Sitzung, Rechtsfindung (midrasch) und Beratung zurückkehren darf. (Maier, Sp. 737)
Die zur Gemeinderegel gehörigen Fragmente 4Q256 (4QSb) Col. IX (Frg. 4) und 4Q258 (4QSd) Col. I (Frgs. 1a i,1b) beginnen mit: „Midrasch für den MaskilMidrasch für den Maskil (Lehrer) in Bezug auf die Männer der Tora, die sich selbst verpflichtet haben, von allem Bösen umzukehren und sich streng an alles zu halten, das er angeordnet hat […]“. Dies ist eine Variante zu 1QS V.1, wo vom serech für den maskil bezüglich der Männer der Gemeinschaft die Rede ist. Maier vermutet, da serech „term. techn. der Kult- und Militärsprache“ sei und eine „festgelegte bzw. niedergeschriebene Ordnung“ bezeichne (Sp. 736), dass mit Midrasch eine Niederschrift gemeint sei. In 4Q 174 (4QFlor) 1.14 ist in einer Überschrift zum gesamten Abschnitt (vgl. Steudel, Eschatologie, S. 46) die Rede von einem Midrasch zu Ps 1,1 (Midrasch me-aschre ha-ischMidrasch me-aschre ha-isch). Ob es sich dabei um eine „Auslegung“ handelt, bleibt umstritten. Maier denkt wieder eher an eine „Darlegung bzw. Niederschrift aus (einer Auslegung bzw. eines Peshers über) […] ‚Glücklich der Mann‘“ (Sp. 736).
„Siehe, all dies ist geschrieben in Bezug auf die letzte Erläuterung der Tora (Midrasch ha-tora ha-acharonMidrasch ha-tora ha-acharon)“ begegnet in 4Q270 |26|(4QDe) Frag. 7 col. ii. (= 4Q 266 11). Damit könnte die eschatologische (vgl. Wacholder, Damascus Document) oder eher die letztgültige Verkündigung/Interpretation der Tora gemeint sein. Die Bemerkung hat als Unterschrift die Funktion einer „Überschrift“.
Folgt man Maier und Mandel, so hat darasch in diesen Texten entgegen verbreiteter Deutung mehr mit Erläuterung und Vermittlung von Tora zu tun als mit dem forschenden Ausdeuten und Interpretieren des Textes, was in späterer rabbinischer Literatur die entscheidende Funktion des Midrasch sein wird. Allerdings findet bereits in den späten Schichten des Tanach und in Qumran ein Wandel im „Objekt“ des „(Auf)suchens, Erkundens“ (darasch) statt. War es im Anfang Gott (über Vermittlung eines Propheten), so ist es später die göttliche Weisung, die Tora. Die Qumrantexte fungieren somit als eine Art „missing link“ zum Midrasch.
In Sira 51,3 begegnet bereits ein bet Midrasch, ein Lehrhaus, offensichtlich ein Ort, wo man sich Weisheit erwerben kann (51,25).
Das bet ha-Midrasch der Rabbinen schließlich definiert sich vor allem durch das Studium der BibelStudium der Bibel (mSchabbat 16.1; mPesachim 4.4). Darschanim werden schließlich auch jene Personen genannt, die sich mit Bibelauslegung beschäftigen oder diese predigen.
Ein Blick in die Bibel erschöpft sich jedoch nicht in der Analyse der wörtlichen Anklänge von darasch oder Midrasch. Vielmehr ist zu fragen, inwieweit hermeneutische, formale und inhaltliche Elemente, die den rabbinischen Midrasch auszeichnen, bereits in der Bibel grundgelegt sind. Eine solche Betrachtung sollte grundsätzlich ohne vorausgehende definitorische Festlegungen erfolgen, die Midrasch in der Bibel einerseits auszuschließen oder andererseits zu beweisen suchen. An dieser Stelle ist ausdrücklich auf die Arbeit von Michael Fishbane zu verweisen, der u.a. 1985 mit Biblical Interpretation in Ancient Israel akribisch die Mechanismen innerbiblischer Interpretation und Fortschreibung von Tradition beschrieb. Darauf wird später noch einzugehen sein.
Eine umfassende Beschreibung der rabbinischen Vorkommen von darasch/Midrasch würde hier zu weit führen. Wenige Beispiele (mit Konzentration auf den Begriff Midrasch) müssen genügen.
So bietet die MischnaMischna als erste große Sammlung rabbinischer Gelehrsamkeit nur vier Belege für Midrasch und acht für darasch. In mKetubbot 4.6 ist Midrasch eine Auslegung bzw. eine Bestimmung im Zusammenhang mit einem Ehevertrag (vgl. bJevamot 117a); in mScheqalim 6.6 (vgl. Sifra Wa-jiqra Chova 12.21.6) leitet der Hohepriester einen Midrasch (Midrasch darasch) in Bezug auf Schuld- und Sündopfer ab, der Lev 5,19 und 2 Kön 12,16 verbindet; in mNedarim 4.3 steht Midrasch neben Halachot (rechtlichen Regeln, Handlungsnormen) und Aggadot (Erzählungen, freieren |27|Auslegungen) als Lernstoff. In mAvot 1.17 betont Schimon ben Gamaliel, dass das Tun wichtiger sei als der Midrasch, womit er wohl allgemein die Lehre meint. In mJoma 8.9 leitet R. Elazar ben Azarja aus Lev 16.30 ab bzw. lehrt, dass der Versöhnungstag Übertretungen zwischen Gott und Mensch sühnt, zwischen Mensch und Mensch jedoch nur dann, wenn vorher eine Versöhnung zwischen den beiden stattgefunden hat. In mJevamot 10.3 fungiert darasch als logische Ableitung (aus Lev 21,7) in Bezug auf Eherecht. Auch in mSota 5 wird darasch viermal im Kontext rechtlicher Entscheidungen, die aus biblischen Texten hergeleitet werden, verwendet. In mChullin 5.5 leitet Schimon ben Zoma aus Gen 1,5 analog in Bezug auf Lev 22,28 logisch ab, dass ein Tag immer die vorausgehende Nacht mitmeint. In allen Fällen von darasch meint man in der Mischna also eine Rechtliche Lehre, die aus biblischen Quellen erschlossen wirdrechtliche Lehre, die aus biblischen Quellen erschlossen wird.
Die ToseftaTosefta weist zehn Belege für Midrasch auf, zumeist im Zusammenhang mit einem bestimmten Lernstoff. In tSota 7.21 z.B. wird Spr 24,27 („Nimm draußen deine Arbeit auf und bestell dein Feld, danach gründe deinen Hausstand!“) ausgelegt, wobei jeder Teil des Verses mehrmals auf eine besondere Sache bezogen wird (z.B. Arbeit – Halachot; Feld – Liebeswerke; Haus – Midrasch), wofür man schließlich Lohn erhält. tSanhedrin 7.7 gibt klare Anweisungen zum Fragenkatalog und zum Umgang bei Prozessen bzw. auch beim Unterricht. Darunter heißt es auch:
Die ganze Tora ist eine einzige Sache. Eine [wichtige] Angelegenheit und eine [unwichtige] Angelegenheit: man hält sich an die [wichtige]