in Antwerpen und bei Raf Simons als Creative Director bei Jil Sander in Mailand, mit denen ich zusammengearbeitet habe, stand die Reflexion über die individuellen Motivationen, die künstlerisch-kreativen, ökonomischen Ziele, organisatorischen und monetären Einschränkungen, die angestrebten Absatzmärkte und Public Relations sowie das Monitoring der Mitbewerber/innen im Vordergrund. Die diskursive Auseinandersetzung mit der sozioökologischen Verantwortung von Gestalter/inne/n, welche die Tätigkeiten im Modedesign impliziert, war im Hinblick auf das Design im weitesten Sinne zumeist auf die kommunikativen Funktionen von Bekleidung beschränkt.
Bekleidungsgestaltung ist eine Designdisziplin, wobei die Theoretisierungen von Mode-, Textil- und Industriedesign etc. differente Genealogien aufweisen, welche deren unterschiedliche Programmatik bestimmen, wie sie in den Texten des Abschnitt 1 dargestellt werden. Als festgesetzter Gegenbegriff zur Praxis bleibt der Theoriebegriff gleichzeitig arbiträr, denn die Theorie ist, wie ebenfalls von der Kunst behauptet wird, vom/von der Betrachter/in abhängig. Die Entlehnung des Wortes aus dem griechisch-lateinischen theōría bezeugt dies, wonach der Theorie die altgriechischen Bedeutungen von Zuschauen, Schau und Sehen zugrunde liegt.18 Moderne Forschungsprozesse umfassen die Gesamtheit des Lehrens und Lernens, die auf der Art und Weise des Schauens – der Methodologie auf dem jeweiligen Praxisfeld –, auf Empirie und den daraus resultierenden gedanklichen Erkenntnisprozessen beruhen. Jegliche Theoriefeindlichkeit ist demnach als kontraproduktiv zu werten,19 da Praxis und Theorie im Idealfall ineinandergreifen und ergänzend wirken. Das wissenschaftliche Arbeiten im Rahmen eines (Mode-)Designstudiums bietet die Möglichkeit, über das eigene Tun und über subjektive Interessenslagen hinaus zu reflektieren. Daraus ist in Anschluss an Gui Bonsiepe zu schlussfolgern, dass „Entwerfen und das Schreiben über Design […] nicht mehr als sich gegenseitig ausschließende Tätigkeiten betrachtet“20 werden. Theoriefächer sollten die kreative Arbeit begleiten und, wie ich es als Dozentin im Umfeld der Entwurfslehre praktiziere, die Themenfindung und Umsetzung der Designs respektive die Präsentation der Kollektionen unterstützen. Darüber hinaus ist darauf Wert zu legen, dass die Erarbeitung der schriftlichen Leistungen der Studierenden vorzugsweise denselben akademischen Standards entsprechen sollte, wie sie in universitären Disziplinen [<<14] üblich sind. Im außeruniversitären Bereich kann Modetheorie zur fundierten Kritik an dem komplexen Geflecht politischer, ökonomischer und psychosozialer Strukturen beitragen, die das Modedesign gleichzeitig bedingen und hervorbringen. Das weite Feld von Mode und Design bietet neben der Argumentation mittels kulturwissenschaftlicher Fallstudien auch die Möglichkeit an, diskursanalytisch vorzugehen und dabei Wissensbestände aus den Gender, Postcolonial und Cultural Studies, der Kunst- und Architekturtheorie, der Philosophie, der Soziologie, der Anthropologie der Semiotik, den Kommunikations-, Medien- und Designwissenschaften einzubeziehen. Diese Form des Zugangs ermöglicht es Studierenden, Mode- und Designinteressierten sowie Akteur/inn/en der sogenannten Kreativbranchen eine disziplinenübergreifende Mode- und Designtheorie anzubieten, welche die heterogenen Ansätze entzerrt und wiederum zu einer ‚kritischen Masse‘ verdichtet. Das im Anhang befindliche Personenregister und das Literaturverzeichnis geben Auskunft darüber, wer hier ‚spricht‘, und verweist bereits auf die trans- und interdisziplinären Konstellationen von Modediskursen, die im philosophischen Sinne Michel Foucaults nicht „als Gesamtheit von Zeichen, […] sondern als Praktiken zu behandeln“ sind, da sie „systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen“.21 Zu dem, was der vorliegende Band als Studienbuch leisten soll, wäre herauszustreichen, dass eine kritische Mode- und Designtheorie auf einer Problematisierung von Macht besteht, deren produktive Funktionsweisen über die vestimentäre Gestaltung des Körpers hinaus Ungleichheiten, In- und Exklusionen konturieren. Ein Charakteristikum läge dann darin, dass eine diesbezügliche Kritik nicht das Ergebnis von Räsonnements wäre, das alle Lösungen zugunsten der einzig richtigen zurückweisen würde, sondern durch „Problematisierung“ und „Aufforderungen“ versucht wird, zu „anderen Praktiken und Denkformen“ einzuladen, ohne dabei politisches Handeln zu ersetzen,22 welches ‚das Modemachen‘ und ‚das Designen‘ eigentlich leisten. Mode- beziehungsweise Designtheoretiker/innen haben abzuwägen, wie Bekleidungsweisen vom Paradigma ‚Mode‘ bestimmt werden, denn bereits das Wort ‚Modedesign‘ weist eine semantische Erweiterung auf, die viel mehr als nur den Entwurf, die Herstellung und das Tragen von Bekleidung bezeichnet. Diese Konstellationen zu fassen, findet in weiten Teilen Raum, indem beschrieben wird, inwiefern die Disziplin ‚Modedesign‘ Menschen diszipliniert. Im Rahmen der Akademisierung von Gestaltungsberufen und künstlerischen Professionen gilt es zu klären, was es bedeutet, wenn Mode-, Architektur-, Design-, Kunst-, Medien- respektive [<<15] Kommunikationsbranchen, Handwerk, Industrie und Spitzentechnologie nunmehr gemeinsam in einem Amalgam unter dem Titel Creative Industries ineinander verschränkt sind. Dafür ist es sinnvoll, die Traditionslinien designkritischen Impetus, wie sie Gui Bonsiepe, Uta Brandes, Lucius Burckhardt, Dieter Rams, Mart Stam, John Thackara u. v. a. m. hervorgebracht haben, aufzuspüren.
Dass Designer/innen Labels gründen, stellt heute eine alltägliche Begebenheit dar. Dass es sich dabei um die Etikettierung von Waren handelt und diese damit gleichzeitig einen bestimmten Wert erhalten sollen, der zur sozialen Differenzierung dient, scheint eine Selbstverständlichkeit zu sein, wenn wir an das Phänomen der ‚Markenware‘ respektive an ‚Designer/innenmode‘ denken. Wie Entwurfs- und Produktionsprozesse von Bekleidung durch das Phänomen des image building, den Markenaufbau und dessen mediale Wirkungen beherrscht werden, findet sich im Abschnitt 2. Welche sozialen Implikationen dies mit sich bringt, welche kommunikativen Funktionen die differenzierte Hervorbringung von Marktsegmenten aufweist und welche Zeichen dafür benötigt werden, wird mittels semiotischer Ansätze aufbereitet. Sprache, Gegenstände, mediale Kommunikationen, soziale Konventionen und Bekleidungsgestaltung verursachen interdependente Wirkungen, die sich in (pop)kulturellen, vestimentären Manifestationen zeigen. Nach wie vor steht zur Debatte, ob und was Kleidermoden ‚kommunizieren‘, welche Codes dafür benötigt werden und in welchem Rahmen diese funktionieren. Der Hervorhebung der Kommunikations- und Schutzfunktionen bei der Entwicklung von Wearables gilt es an dieser Stelle nachzugehen, da diese das Spektrum, was menschliche Kleidung nicht nur haptisch leisten soll und muss, zugunsten des technologisch Machbaren einschränken. Unter anderem werden Diskurse zur ‚Immunikation‘ aufgezeigt, die, wenn sie gegengelesen werden, Zukunftskonzepte zur Bekleidungsentwicklung und Gestaltungskultur anbieten können.
Der Abschnitt 3 greift soziologische Lehrmeinungen auf, deren historische Verortung im 19. Jahrhundert zu finden ist, denn die Mode als Synonym für den Wandel hat Generationen von Wissenschaftler/inne/n beschäftigt. Trotz unterschiedlicher Untersuchungsschwerpunkte standen meist die Geschlechts- und Klassenkategorien bezüglich ihres Einflusses auf die menschliche Bekleidung im Wandel der Zeit im Fokus der Wissensproduktion. Der Streit um die ‚richtige‘, angemessene Kleidung ist immer auch ein Streit um den Körper und seine soziale Bestimmung. Während früher hauptsächlich moralische Argumentationen ins Feld geführt wurden, sind nunmehr affirmative und pejorative Positionen meist antagonistisch zwischen marktorientierten Ökonom/inn/en und ökosozial engagierten Konsumkritiker/inne/n verteilt. Die einen plädieren dafür, in ökonomisierten Lebenswelten das Moderisiko und die Produktionspreise möglichst niedrig zu halten und die Gestaltung der Modekollektionen [<<16] massentauglich anschlussfähig zu gestalten, während die anderen die negativen Konsequenzen ungezügelten Konsums aufzeigen. Modedesigner/innen bleiben in diesem Umfeld sozioökonomischer Herausforderungen meist auf die Gestaltung von Bekleidung konzentriert.
Auf oben angeführten Feldern wurden und werden die Kämpfe für und wider ‚die Mode‘ bis heute besonders eindrucksvoll geführt, wobei seit Ende des letzten Jahrhunderts systemtheoretische Ansätze, die insbesondere auf den Soziologen Niklas Luhmann rekurrieren, zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Mode als eine „allgemeine soziale Institution“23 beigetragen haben, was im Abschnitt 4 anhand konkreter Beispiele argumentiert wird.
Die Texte im Abschnitt 5 versuchen die psychokulturelle Wirkmacht von Bekleidung