href="#ulink_987a5c86-7f53-5974-8c2a-18602333bda9">20 Bonsiepe 2009, S. 29.
21 Vgl. Foucault 2008, S. 525.
22 Vgl. Lemke 1997, S. 364.
23 König 1967, S. 17.
24 Zur unterschiedlichen Schreibweise von „weiß“, die den Konstruktionscharakter dieser Bezeichnung hervorheben soll, vgl. Dietrich 2007, S. 46f.
25 Vgl. McRobbie 2010.
26 Saar 2007, S. 346.
27 Ebd.
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1.1 Modedesign, Kunsthandwerk und Industriekultur
Traditionell legt das ‚Design‘, als Skizze, Entwurf, Planung, Konstruktionszeichnung etc., die Formgebung von Produkten und deren Herstellungsweise für die Massenproduktion fest. England ist gleichermaßen das Herkunftsland der Industrialisierung wie des Designs und beanspruchte eine wirtschaftliche Dominanz, die von den konkurrierenden ‚westlichen‘ Nationen in einem Wettbewerb um die führende Designkompetenz stets angefochten wurde. Die diesbezüglichen internationalen Designdiskurse waren in den ersten Jahren „also etwa zwischen 1880 und 1910, von der Auseinandersetzung (Kunst-)Handwerk contra Industrie inklusive einer ersten Ornament- und Stildebatte geprägt“ und „die nächsten dreißig Jahre von der Antinomie Massenfertigung versus Handwerk, Serie versus Unikat“.28 Im Jahre 1851 eröffnete die Great Exhibition in Londons Crystal Palace den Kampf der kolonisierenden Länder um die weltweite Vorherrschaft in der Herstellung von ‚formschönen‘ Industrieprodukten. Dieses Ereignis stellte gleichzeitig einen ernsthaften Versuch dar, moderne Industrie und industrielle Gestaltung erfolgreich zusammenzubringen. Die darauf folgenden Gründungen des Royal College of Art und des Victoria & Albert Museum errangen weltweiten Vorbildcharakter.29 Der Kurator der Weltausstellung und spätere Begründer des Museum of Manufactures – des ersten Designmuseums der Welt –, Henry Cole, erstellte Ausbildungskonzepte für Designer und beteiligte sich an der Etablierung einer ersten Designfachzeitschrift, die im Gegensatz zu den rückwärts gewandten Utopien John Ruskins und William Morris‘ die Anforderungen und zukünftigen Möglichkeiten der Industrialisierung fokussierte. Grundsätzlich haftet der Genese der Berufsgruppe des/der Industriedesigner/s/in ein sozialpolitisches Moment an. Die neue ‚Designbewegung‘ zielte bereits seit den 1830er-Jahren darauf ab, die „Geschmacksbildung der ‚verrohten‘ Arbeiterbevölkerung“ zu fördern, was mittels der Herstellung geschmackvollerer [<<21] Produkte erfolgen sollte. Doch schien es, als sei ein guter Geschmack30 nicht durch die Vernunft zu beeinflussen, weil er letztlich auf „Gefühlstatsachen“ gründe.31 Laut dem Select Committee on Arts and Manufactures könne Geschmacksbildung durch die „Wahrnehmung klassischer Kunstwerke“ erzielt werden,32 was eine pädagogische Verschränkung von Kunst und Design beförderte. Doch sah man diese Strategie nicht als ausreichend effizient an, den Publikumsgeschmack der englischen Arbeiter/innenmassen ausreichend zu bilden und Menschen anzuregen, ‚elegantes Design‘ wertzuschätzen. Als Großereignisse des kolonialen Imperialismus konnten die Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts diesen Wunsch sukzessive erfüllen. Dazu waren internationale Künstler, Architekten und Designer aufgefordert, den Ansprüchen der Industrie entsprechende Formen zu entwickeln und die Qualität von Massenwaren gegenüber den Handwerkserzeugnissen konkurrenzfähig zu machen. Das im Hinblick auf die wirtschaftlichen Ziele Englands eingerichtete Komitee, das die Interessen der Kunst und der Fabrikanten – der ‚Kunstindustrie‘ – vertreten sollte, kam zu einem weiteren Schluss: „Neben dem Geschmack und den Konsumgewohnheiten“ gebe es einen dritten Aspekt, der Schwierigkeiten bereite – nämlich die Mode. Diese vernichte „systematisch den Erfolg von Geschmacks-Standards. Die gedankliche Frontlinie ist: Hier Art and Taste – dort Fashion“.33
Dennoch war ‚fashion‘ auf den Weltausstellungen von Anbeginn gefragt. Couturiers wie Charles Frederick Worth präsentierten dort erfolgreich ihre Modelle. Er gewann sowohl in London als auch später, 1855 in Paris, Preise für seine Kreationen.34 Als Engländer in Paris verfolgte er gemeinsam mit seiner Ehefrau Marie Augustine Vernet und seinem schwedischen Geschäftspartner Otto Bobergh die langfristige Erfolgsstrategie, die Nähe des kaiserlichen Hofes von Napoléon III. zu suchen, was darin gipfelte, Eugénie, die ‚Kaiserin der Franzosen‘, um 1860 als Kundin zu gewinnen.35 Die damit verbundene Aufmerksamkeit ermöglichte es dem Modehaus Worth & Bobergh, das seit 1857/58, als eines der Ersten den Namen der Herkunft auf die eingenähten Etiketten [<<22] der Kleider sticken ließ, sich als moderne Variante einer Hofschneiderei zu etablieren. Worth industrialisierte die Couture und ließ entsprechende Kopien für den Verkauf von Exportmodellen anfertigen. So konnte er einerseits den europäischen Hochadel mit exorbitant teuren Einzelstücken und andererseits die US-amerikanische Großbourgeoisie mit günstigeren Modellen langfristig an sich binden. Die Gestaltung der Balltoiletten der Kaiserin Eugénie für die Festivitäten rund um die Eröffnung der Pariser Weltausstellung 1867 markierte einen Höhepunkt in Worths Karriere.36 Um sein Image als ‚Grand Couturier‘, das exzentrische Bild einer Künstlerpersönlichkeit, das nicht einem gewöhnlichen Schneider/couturier entsprach, zu festigen, kleidete er sich im Stile Rembrandts oder eines Fantasiekönigs.37
Die tradierten Wertsysteme von Kunst, Industriedesign und Modedesign gehen unter anderem auf die Institutionalisierung der jeweiligen Ausbildungsstätten zurück. Gegenüber der Autonomie der Kunst war Design stets in funktionalen Abhängigkeiten unterprivilegiert und im Verhältnis zu anderen Designdisziplinen war Modedesignbzw. Bekleidungsgestaltung an öffentlichen, universitären Lehrinstituten bis weit ins 20. Jahrhundert hinein keine selbstständige Disziplin. Dies trifft gleichermaßen auf die Glasgower und Londoner Government Schools of Design, die k. k. Kunstgewerbeschule in Wien, später auf das Bauhaus in Weimar und die Hochschule für Gestaltung in Ulm etc. zu. Die meisten Ausbildungsstätten für Bekleidungsgestaltung waren im 19. und 20. Jahrhundert, nicht nur im deutschsprachigen Raum, außerhalb des nationalen tertiären Bildungsbereichs angesiedelt. Doch obschon das Wort „Mode“ im postrevolutionären Russland tabuisiert wurde, waren Fächer für Bekleidungsgestaltung an der INChUK, dem staatlichen Institut für künstlerische Kultur in Moskau, der dortigen WchUTEMAS und den ,freien Werkstätten‘, durchaus üblich.38 Als ‚Produktionskunst‘ sollte die Gestaltung von Produktionsgütern wie Kleidung zur „Formung der sozialistischen Umwelt“ beitragen.39 Als Bekleidungsgestalter/innen waren u. a. Alexandra Exter, Nadezhda Lamanova, Wera Ignatjewna Muchina, Ljubow Popowa, Wladimir Tatlin und Alexander Michailowitsch Rodtschenko an der künstlerischen Entwicklung einer funktionsgerechten, den praktischen und ästhetischen Bedürfnissen der Massen angepassten Bekleidung beteiligt,40 die sich gegen die feudale Ideologie der Haute Couture richtete. Dieser Berufsgruppe haftete ein [<<23] aristokratischer Nimbus an, denn unter dem höfischen Einfluss des letzten Königs war in Frankreich die älteste institutionalisierte Ausbildungsstätte für couturiers/couturières 1841 gegründet worden. An Alexis Lavignes école supérieure in Paris konnten Auszubildende an von ihm entwickelten Maßschneiderpuppen eine spezielle Art der Drapage erlernen41 und mit einem dafür weiter entwickelten flexiblen Maßband arbeiten, dessen Erfindung auf F. A. Barde im Jahr 1815 zurückgeht.42 Im 19. und frühen 20. Jahrhundert war das Kleidermachen nicht als künstlerisch-akademische Disziplin anerkannt, wogegen es heute weltweit beinahe selbstverständlich ist, dass Modedesign im tertiären Bildungssektor – an Kunsthochschulen und Universitäten – als Studienfach angeboten wird.
An der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert erfuhr Mode als Designdisziplin im Zuge euphorischer Texte zum ,Stardesign‘, die darin gipfelten, dass Design die Kunst des 20. Jahrhunderts sei,43 eine späte Aufwertung gegenüber den ,harten‘ Designdisziplinen44 und den freien Künsten. Ein konstruierter Geniestatus,