der einerseits das wirtschaftliche Überleben sichern soll, aber andererseits seine ,eigenen Logiken‘, politische und ökonomische Argumente als Instrumente der Herrschaft über die Gestaltung aufzwingt. Die Setzung des Begriffs der Creative Industries verdeutlicht die Situation einer politisch gewollten Industrialisierung der Kreativität zugunsten einer ökonomischen Verwertbarkeit, wie sie in Großbritannien seit der Amtszeit Tony Blairs konkret angestrebt wurde.84 Mit der neoliberalen Wirtschaftsordnung sind ‚Design und Kunst‘ zu Industriezweigen geworden. Das akademische Ausbildungswesen hat die offizielle Funktion Künstler/innen hervorzubringen, die ‚Kunst‘ im Sinne von Investitionsobjekten für den Museumsmarkt, für Galerist/inn/en oder Sammler/innen ‚produzieren‘, während Designobjekte nach wie vor zumeist als Prestigeobjekte und nur in Ausnahmefällen als Investitionsobjekte fungieren. Da Kunst- und Designbetrieb nunmehr an eine größtmögliche Kommerzialisierung gekoppelt sind, haben sich die Synergien zwischen Modedesign als angewandter Kunst – per definitionem einer Disziplin, die Gebrauchsgegenstände hervorbringt – und den bildenden und darstellenden Künsten verstärkt. Grundsätzlich bleibt der Entscheidungsrahmen für freie künstlerische Produktionen weiter gespannt als für das Design von Gebrauchsgegenständen. Nach wie vor subsumiert der Begriff „Produktdesign“ den Gestaltungsprozess von Dingen, die in Serienproduktion hergestellt und als Massenartikel vermarktet werden. Um Distinktionsgewinne für industrielle Massenerzeugnisse zu erreichen, hat sich eine spezifische Marktstrategie für die Bewerbung von Design entwickelt, die sich am ‚Künstlertum‘ anlehnt, während umgekehrt die Kunst in den Massen- und Kapitalmarkt drängt. In dieser ökonomisierten Annäherung der Disziplinen Design und Kunst hat die ‚künstlerische Freiheit‘ keine Bedeutung, weil Künstler/innen und Designer/innen vermehrt ökonomisch orientierte Strategien verfolgen, die auf die Artefakte einwirken und diese als Investitionsware banalisieren – so zum Beispiel wenn Designprodukte als artist’s oder limited editions in Galerien angepriesen werden, was der Kunsttheoretiker Walter Grasskamp bereits 1992 als „‚Verkunstung‘ des Designs“ kritisierte:
„Statt in der ästhetischen Domäne des Design, dem Gebrauchswert, zu verbleiben, dem noch die eitelsten Gestalter der Moderne stets Rechnung getragen haben, desertieren die Junggestalter in die Galerien und Kunstmärkte, wo sie mit schräg aufgepepten Design-Unikaten der Kunst deren ästhetische Domäne, den Ausstellungswert, streitig machen. Gewiß war dem Design immer schon eine Prise Ausstellungswert eigen, war es doch stets auch eine [<<35] Inszenierung der Dinge. Doch geht es jetzt ums Ganze, um den Ausstellungswert als Show-Effekt. Sogar um den Preis einer demonstrativen Unbrauchbarkeit ihrer Gestaltungen, wie sie nachgerade in Mode gekommen ist, setzen sie auf den Ausstellungswert des Design, um das unästhetische Ziel beider Künste, den Tauschwert, zu realisieren.“85
Mit dieser Taktik entkommen Modedesigner/innen dennoch nicht dem Zwang, saisonale Kollektionen statt Einzelstücke zu schaffen. Das Genre der Kleidermode ist dem institutionalisierten Modewandel verpflichtet,86 während den sogenannten ‚freien‘ künstlerischen Produktionen zumindest das Privileg bleibt, gewisse Spielräume in der Herstellungsplanung zu genießen, sofern dies der Ausstellungs- und Galerienbetrieb weiterhin zulässt. Zahlreiche Ausstellungen zu Mode und Kunst versuchen die vorhandenen Synergien publikumswirksam zu forcieren. Parallel zur verstärkten Musealisierung von vestimentären Artefakten setzte eine breite soziologische, kunst- und kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Mode beziehungsweise deren Musealisierung als ‚Kunst‘ ein.87
1.3 Designwissen – Wissen zum, durch und über Modedesign
Die Verwissenschaftlichung des Designs schreitet mit dem Anspruch voran, die Entwurfs- und Herstellungsprozesse von Artefakten aus industrieller Produktion in einen Wissenschaftskanon zu fassen, um eine Methodologie des Designs zu entwickeln und deren Produktivität für andere Disziplinen zu erforschen.88 Gui Bonsiepe stellte als [<<36] Designtheoretiker dazu trocken fest: „Das kalte Bad der Verwissenschaftlichung und Rationalisierung dürfte einem auf Technik und Industrie ausgerichteten Beruf nicht erspart bleiben.“89 Die Entwicklung einer Designmethodologie steht und fällt laut Bonsiepe mit der „Hypothese, dass es beim Gestalten Invarianten gibt, aus denen sich ein Gerüst für das Gestalten bauen lasse“.90 Doch unterschiedliche Entwurfsprozesse implizieren, dass sie aus sich heraus spezifische Entwurfsmethoden entfalten, die sich nicht verallgemeinern lassen, was dem Ziel einer Methodologie entgegenstünde. Doch gerade dieser „Widerspruch wäre auszutragen“.91
Die wissenschaftliche Einsicht, dass Entwurfsprozesse die Welt gestalten, dass sie jede alltägliche Form, jedes alltägliche Ding genau bestimmen92 und nicht nur Wissenschaft und Forschung als ‚Entwicklungsmotoren‘ einsetzbar sind, ist in den Human- und Technowissenschaften selbstverständlich. In deren Verzahnung verschiedener Disziplinen wird nicht mehr allein deskriptiv-analytisch, sondern vermehrt kreativ geforscht, um Biofakte zu erzeugen.93 In der Pharmaindustrie spricht man mittlerweile vom Wirkstoffdesign und Arbeitsprozesse unterliegen einem Prozessdesign. Medikamente und Bekleidung wirken gleichermaßen auf menschliche Körper ein und verlinken sich bei der Entwicklung biofunktionaler, medizinischer Textilien, die Wirkstoffe über die Kleidung in die Haut transferieren bzw. den Körper gegen Keime und Bakterien schützen.94
Die Verwissenschaftlichung des Designs95 verspricht auch den Modeakteur/inn/en enormen Prestigegewinn, da deren Einfluss auf gesellschaftliche Strukturen physischer und psychischer Natur verstärkt wahrgenommen wird. In diesem Prozess wird das Styling, jene Tätigkeit der Oberflächengestaltung, die gerade das Modedesign von ‚harten‘ ingenieurmäßigen Industriedesign-Disziplinen96 und von der Architektur trennt, aufgewertet. Denn für eine erfolgreiche Markteinführung benötigen insbesondere neue und ungewohnte technologische Entwicklungen eine kundengerechte [<<37] Verpackung – ein optimiertes Styling –, damit sie an bestehende ästhetische Gewohnheiten anschlussfähig werden. Aktuell wird als gangbare Zukunftsvision der textilen Körperhülle die Funktion einer Schnittstelle zwischen Körper und technologisierter Umwelt eingeschrieben, und als unmittelbares ‚intelligentes‘ Medium im Sinne von techno fashion konzipiert.97 Jenseits des militärischen Gebrauchs sind die Zielsetzungen und der tatsächliche Nutzen ‚hochtechnologisierter‘ Bekleidung noch nicht abzuschätzen, da derzeit vorwiegend Studien und Prototypen vorliegen, die für eine zivile Nutzung und um weltweit wettbewerbsfähig zu sein erst Produktions- und Marktreife erlangen müssen. Diese verstärkte Entwicklung zur Kooperation von Modeindustrie und Technologiekonzernen zeichnete sich 2013 mit dem Wechsel des Yves-Saint-Laurent-CEO Paul Deneve zum Computerhersteller Apple öffentlich ab, nachdem er eine langjährige Karriere in der Modebranche hinter sich hatte.
Hatte Mart Stam den Begriff des Industriedesigners noch nicht unter besonderer Berücksichtigung der Bekleidungsgestaltung in die (deutschsprachige) Welt gesetzt,98 so sehr haben die Publikationen zu Mode im Kontext von Design und Technologie in den letzten Jahren zugenommen. Doch steht bisher kein ausreichendes Theoriekorpus zur Verfügung, der Designtheorie als eigenständige akademische Disziplin bestätigen würde, und es steht nach wie vor infrage, ob dies anzustreben wäre.99 Die Unschärfe des Gegenstandes basiert paradoxerweise gerade auf den theoretischen Schriften zum Design. Victor Papanek behauptete, dass jeder Mensch grundsätzlich ein Designer sei, oder zumindest alles, was wir tun, auf Design beruhe, wenn dies im Sinne einer telesis „bewußtes Handeln zur Herstellung sinnvoller Ordnung“ darstelle.100 Laut der Designtheoretikerin Claudia Mareis favorisieren „diejenigen Positionen, die an das intellektuelle Erbe des Design Methods Movement der 1960er und -70er Jahre anschließen […] insbesondere technische bzw. technikaffine Designtätigkeiten als Untersuchungsgegenstand“, wie zum Beispiel aus „der Architektur, den Ingenieur- und Planungswissenschaften oder der Informatik“.101 Derartige Designforschungsansätze wiesen gleichzeitig „gewisse technokratische und androzentrische (auf ‚Männlichkeit‘ ausgerichtete) Prägungen“ auf.102 [<<39]
„Auch wurde im Design Methods Movement dezidiert zwischen den Vorgehensweisen von Designern und (Natur-)Wissenschaftlern unterschieden. Nur vor diesem Hintergrund ist es heute zu verstehen, dass Design als Disziplin der ‚Synthese‘ oder des ‚Dazwischen‘ postuliert wird: zwischen den Disziplinen, zwischen den Dingen, zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen Erkennen und