den ‚zwei Kulturen‘ der Geistes- und Naturwissenschaften […], zum anderen hinsichtlich kybernetischer Leitideen.“103
Die Konzeption von Design als Hybriden „wird vom Topos eines fehlenden ‚Dritten‘ angeleitet“ und diesem Dritten gegenüber bleiben die Dichotomien zwischen Theorie und Praxis, Ideellem und Materiellem aufrecht.104 Dagegen schlug Mareis vor, „Design als eine historisch kontingent gewachsene Wissenskultur zu verstehen und ihre multiplen Praktiken, Mechanismen und Prinzipien zu befragen“.105
Für die theoretische Auseinandersetzung mit Kunst und Design stellt die dreifache Typologie Christopher Fraylings, die von Alain Findeli näher bestimmt wurde, ein Raster dar,106 das im Hinblick auf Modedesign sinnvoll anzuwenden ist.107
1. Unter Forschung für Kunst und Design108 wären im Hinblick auf das Berufsbild des Modedesigners/der Modedesignerin das elementare Erlernen von Praktiken und der Researchprozess zu verstehen, welche die Entwürfe und Modelle von Modekollektionen antizipieren. Das Wissen darüber ist später implizit in den Kollektionsteilen respektive Kleidungsstücken enthalten.
2. Forschung durch Kunst und Design ist eine Art projektgeleitete, wissenschaftliche Forschung, die für die Praxis produktiv gemacht wird.109 Diese kann alle Versuche im Modebereich einschließen, die auf eine verbesserte (Entwurfs-)Technik zur Herstellung von Bekleidung abzielen, genauso wie jedwede Gestaltungsprozesse, textiltechnologische Verfahren, experimentelle Produktionstechniken und [<<40] Materialforschung etc. Damit wären die partizipative Erfassung der jeweiligen Effekte und der eventuelle Nutzen für andere Disziplinen verbunden.
3. Zur Forschung über Kunst und Design zählt im Besonderen die Konzeption von theoretischem Wissen, von Mode- bzw. Designgeschichte und die Erstellung kanonischer Texte, welche praxisorientierte, vestimentäre Wissensbestände in Theorie überführen. Findeli kritisierte, dass diese meist eine mangelnde Relevanz für die Designpraxis aufweisen würden, wenn die Fragestellungen dafür mehrheitlich auf die jeweiligen soziologischen, historischen oder anthropologischen Forschungsdisziplinen ausgerichtet blieben.110
Obwohl derzeit eine Verschiebung zur Interpretation methodisch-systematischer Prozesse des Designs zu beobachten ist,111 verbleibt erfahrungsgeneriertes Modedesign-Wissen strukturell in der Kategorie des impliziten, stillen, intuitiven Wissens. Dieses ‚geheime‘ Wissen durch Erfahrungen, das Designer/innen im Laufe ihres Arbeitslebens sammeln, wird grundsätzlich erwartet, um konkurrenzfähig zu sein. Es kann nicht als explizites, als speicherbares und als solches übertragbares Wissen zur Verfügung stehen, denn gerade dieses spezielle Wissen zeichnet einzelne Designer/innenpersönlichkeiten aus.112 Jene kognitiven Prozesse werden von Nigel Cross als Design Thinking oder Designerly Ways of Knowing untersucht.113
Designwissenschaft verfolgt mit der Anrufung des Designs als Wissen das Ziel dieses stille, implizite Wissen, das im Körper verortet ist, jenes inkorporierte ‚Vermögen‘ zu externalisieren und dieses ,habituelle Können‘ zum Sprechen zu bringen, damit es für weitere Produktionsprozesse reproduzierbar und verwertbar wird. Claudia Mareis verwies mit Nachdruck darauf, dass Designforschende
„künftig nicht umhinkommen, sich über praxisbasierte und angewandte Fragestellungen hinaus, in einer differenzierten und kritischen Weise mit den Kriterien und Werten, aber auch mit den Mythen und Kulturen sowohl des wissenschaftlichen als auch künstlerischen Arbeitens auseinanderzusetzen, wenn in einer ernstzunehmenden Weise zu einer kritischen Geschichtsschreibung des Wissens beigetragen werden soll.“114 [<<41]
Dahin gehend und im Sinne des Philosophen Michel Foucault ist es möglich und wünschenswert, dass Modedesigner/innen auch als Forschende ihr eigenes Tun verwissenschaftlichen und damit aktiv in die „Wahrheitsspiele“115 der Produktion und Konstitution von „Designwissen“116, in die Konjunktion von Macht und Wissen eingreifen.
1.4 Genealogische Machtaspekte der (Mode-)Designtheorie
Das Studium der Objekte und Prozesse von unterschiedlichen Bekleidungskulturen schafft in zahlreichen Disziplinen interdependente Wissensbeziehungen. Die postkoloniale Theoretikerin Gayatri Chakravorty Spivak merkte an, dass Theorie und Praxis voneinander abhängig und durchdrungen seien.117 Der Designtheoretiker Gui Bonsiepe pflichtete dem zu, wenn er schrieb: „Theorie macht explizit, was implizit bereits in der Praxis steckt.“118 Design und dessen Diskurse – und somit auch das Modedesign – reflektieren, was globale Wirtschaftsbelange sind, nämlich unter dem Banner der Globalisierung einen Wirtschaftsfundamentalismus auszurufen, der die Welt nach hegemonialen Interessen formt und dabei rücksichtslos über die sozialen und politischen Beziehungen der Menschen hinweg waltet.119 Spivak verortete die Machtbeziehungen zwischen Theorie und Praxis folgendermaßen:
„Since practice is an irreducible theoretical moment, no practice takes place without presupposing itself as an example of some more or less powerful theory. The notion of writing in this sense actually sees that moment as itself situatable. It is not the notion of writing in the narrow sense so that one looks at everything as if it is written by some sort of a subject and can be deciphered by the reading subject.“120 [<<42]
Das Spannungsverhältnis zwischen Hand- und Kopfarbeit als Gestaltungsprozesse sowohl künstlerischer als auch industrieller Produktion zeichnet eine lange Historie von Theorie-Praxis-Kontroversen aus. Design erhält über die Produktionsprozesse der gestalteten Dinge eine politische Dimension. Dabei ist es gleichgültig, ob Designer/innen der ‚Demokratisierung‘ von massengefertigten Produkten zuarbeiten oder die Gestaltung von Luxuswaren erarbeiten, da diese beiderseits als Identifikationsobjekte einer Gesellschaft deren Werte und Normen strukturieren. Dieser Aspekt prägte im 19. Jahrhundert die Diskurse zur Industrialisierung und Massenproduktion. Die Mode- und Textilindustrie ist nach wie vor auf manuelle Tätigkeiten innerhalb des mechanisierten und automatisierten Produktionsablaufs angewiesen. Die Konsequenzen daraus spiegeln sich in neokolonialen Strukturen der Ausbeutung von Menschen in ‚armen‘, ehemals kolonialisierten Ländern wider, die nun als ‚Werkbänke der Welt‘ fungieren. Der Herstellungsvorgang und der Designvorgang sind getrennte Produktionssphären, in denen mit Beginn der Ära des Wirtschaftskolonialismus die Bewohner/innen der ‚westlichen‘ Hemisphäre als ‚kreative Wissensgesellschaft‘ privilegiert sind. Die ‚Entwicklungsländer‘ erhalten heute einen Technologie- und Know-how-Transfer, der erklärtermaßen die Vorteile der ‚Geberländer‘ im Blick hat. Bonsiepe hob die globale soziale Verantwortung, die Designer/innen auch in diesem Zusammenhang tragen, hervor und kritisierte an der Begrifflichkeit Design dessen Beliebigkeit. Die weltweit bekannten Namen von Modedesigner/inne/n, die eher als Stylist/inn/en arbeiten, wie Pierre Cardin, Calvin Klein, Giorgio Armani u. v. a., werden mit einem Arsenal an profanen Dingen assoziiert, wie etwa Unterhosen, Taschen, Parfüms, Kosmetika etc. Dies habe in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, dass Designer/innen nur Umhüllungen schaffen würden, statt sich mit „intelligenten Problemlösungen“ zu beschäftigen.121 Der Bereich der Mode bringt das Design in den „Ruf der ästhetischen Spielerei, der Boutiquisierung der Gegenstandswelt“.122 Eine ähnliche Diagnose stellte der Architekt Adolf Loos bereits vor mehr als hundert Jahren, als er nicht nur gegen das Ornament, sondern auch gegen jedwede Übertriebenheiten der Moden seiner Zeit ins Feld zog, und einzig die Herrenbekleidung jenseits industrieller Herstellung – als Sache eines versierten (englischen) Schneiderhandwerks – positiv bewertete.123 William Morris schätzte die Industrialisierung noch 1892 als einen „unakzeptable[n] Unfall der Geschichte“ ein. Als „sozialistischer Moralist“ argumentierte er nicht „grundsätzlich [<<43] gegen die Maschinerie und das Fabriksystem“, sondern kritisierte die damit verbundenen Eigentumsverhältnisse, während Gottfried Semper um 1850 die industrielle Entwicklung als unumkehrbar ansah.124
„Semper entwickelt ein Programm zur Ermöglichung industrietauglicher Designkonzepte. Morris und die Arts-and-Crafts-Bewegung markieren am Ende des 19. Jahrhunderts die maximale Distanz von Design und Industrie. Erst um 1900, nach Jahrzehnten der unterbliebenen Kooperation zwischen Industrie und Designern, endet der anti-industrielle Diskurs und macht neuen Auseinandersetzungen um die Möglichkeit und Notwendigkeit des Industrial Design Platz.“125