in der Grundbedeutung des Wortes basiert auf Macht: Der Meister bestimmt die Bedingungen der Arbeit, die andere nach seinen Anweisungen verrichten. Darin unterschied sich das Atelier des Renaissancekünstlers kaum von der Werkstatt des Handwerkers oder vom modernen wissenschaftlichen Laboratorium. Im Atelier des Künstlers legte der Meister die Zeichnung für das Gemälde an und malte eigenhändig die ausdrucksstärksten Teile wie die Köpfe. Doch die Werkstatt des Renaissancekünstlers lebte vor allem von den herausragenden Fähigkeiten des Meisters. Es ging nicht darum, irgendwelche Gemälde zu schaffen, sondern seine Gemälde oder solche in seiner Manier. Die Originalität verlieh den persönlichen Beziehungen innerhalb der Werkstatt besondere Bedeutung.“46 [<<24]
Originalität, so der Soziologe Richard Sennett, beruhe darauf, etwas zu erschaffen, was vorher noch nicht da war. Dieser Akt der poiesis setzt eine zeitliche Markierung. Und weiter: „In der Renaissance verband man das plötzliche Entstehen von etwas mit der Kunst – oder, wenn man so will, dem Genie – eines Individuums.“47 Der Universalkünstler Giorgio Vasari wertete ein disegno, die (Entwurfs-)Zeichnung, als grundlegend für alle bildenden Künste, wobei diese in der Praxis auch als Planungsgrundlagen für Gebäude, Skulpturen etc. dienten. Die Entwurfskunst als Zeichenkunst war in den Schaffensprozess integriert und noch nicht als ‚Design‘ eine an Spezialisten abgetretene, von der Ausführung völlig abgekoppelte Tätigkeit.48 Das italienische Wort disegno rekurriert in seiner heutigen Prägung auf die Gründung der Accademia del Disegno, die 1563 unter Giorgio Vasaris Einfluss in Florenz erfolgt ist, denn sie gilt als „Zeichen der Loslösung der Kunst vom Handwerk. Disegno wird nobilitierte Vorarbeit für das eigene Werk, bis dahin war das Entwerfen offenbar eher eine Dienstleistung von Künstlern für Handwerker.“49 Diese Vorarbeiten erreichten ein immer größeres Funktionsspektrum, und im Zeichen der industriellen Revolution erlangte die Entwurfstätigkeit eine neue Dimension, die in England mit dem Begriff „Design“ gefasst wurde. 1873 schreibt Christopher Dresser, der als ‚erster‘ Designer bezeichnet wird, die Principles of Decorative Design nieder.50 Dresser wies mit der Gravur seiner Initialen – in gleicher Weise wie Künstler/innen mit ihrer Signatur und wie das Couturehaus Worth & Bobergh mit seinem Etikett51 – auf von ihm entworfenen Gegenständen seine Urheberschaft nach.
„Bis ins späte 19. Jahrhundert hinein war es im Kunsthandwerk üblich, nach Musterkatalogen zu arbeiten und die darin abgebildeten Vorbilder nur leicht zu variieren. […] Der Wandel kam mit den künstlerischen Avantgarde-Bewegungen der Moderne und der darin angestrebten Annäherung von Kunst und Design. Als Kapital des avantgardistischen, (meist männlichen) Künstlers, Designers oder Architekten galt seine gestalterische ‚Innovationskraft‘.“52 [<<25]
Die ökonomischen Strukturen der Moderne waren davon gekennzeichnet, dass die mechanische und industrielle Produktion sowie der Handel mit Massengütern ein Unternehmertum hervorbrachten, das die Handwerker bzw. Kunsthandwerker in ihren Werkstätten marginalisierte. In den 1920er- und 1930er-Jahren untersuchte der Ökonom Joseph Schumpeter die Figur des Unternehmers, den er in die Prozesse der Innovation und der Diffusion von ‚Erfindungen‘ eingeschrieben sah, ohne diesen als Einzelpersönlichkeit beziehungsweise die Erfindertätigkeit als ‚genialen Akt‘ zu würdigen.53
Der Begriff „industrielle Formgebung“ war im deutschsprachigen Raum im Sinne von Design anfangs allgemein in Gebrauch und bezeichnete neben den technologischen Herstellungsprozessen zuerst nur vereinzelt die ästhetische Komponente bei der Fertigung von Serienprodukten. Im Deutschen Werkbund wurden Designer sowohl als Künstler, Architekten oder als Industriegestalter bezeichnet.54 Der Architekt, Designer und Theoretiker Mart Stam sprach nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals vom industrial designer und meinte damit Produktgestalter/innen – ohne Bekleidungsgestalter/innen explizit einzubeziehen. Dagegen war man in Frankreich, dem traditionellen ‚Herkunftsland‘ des Modedesigns bemüht, Pariser Couturi/ers/ères und die französische Bekleidungsindustrie zu fördern. 1945 organisierte die Entraide Française in Kooperation mit der Chambre Syndicale de la Couture Parisienne, die Lucien Lelong und Robert Ricci leiteten, ein Théâtre de la Mode – eine Ausstellung französischer Bekleidungskreationen auf Mannequins im Kleinformat. Die unter der künstlerischen Leitung von Christian Bérard gestaltete Mode(puppen)schau tourte weltweit. Sie sollte die französische Haute Couture und die zukünftige Pariser Modeszene (re)inthronisieren.55
„Das Ziel dieser aufwändigen Präsentation Pariser Mode en miniature war, das französische Selbstbewusstsein nach der langen Besatzung wieder aufzubauen und Frankreich und der Welt zu zeigen, dass Paris nach wie vor die Hauptstadt der Mode sei. Und natürlich sollte die Wirtschaft angekurbelt werden.“56
Der andauernde institutionelle Einsatz lohnte sich, denn spätestens in den 1960er- und 1970er-Jahren war die Pariser Modeszene innerhalb der kulturellen Hierarchie in einen Kreis aristokratisch strukturierter Kulturschaffender eingereiht. In Frankreich [<<26] tätige Modedesigner/innen bestimmten die Orientierungswerte für die internationale Modebranche.57 Anfangs reagierte die französische Kunstszene auf die Aufwertung des (Mode-)Designs dahin gehend, die ‚eigenen‘ Positionen durch eine Abgrenzung zur marktorientierten Kulturproduktion der Designer/innen zu stärken.
In Resteuropa stand das Produktdesign unter Ausgrenzung der Bekleidungsgestalter/innen, die sich mehrheitlich an Pariser Vorbildern orientierten, im Bann des Neofunktionalismus. Eine Weiterentwicklung der Bauhausideen fand in den USA unter den emigrierten Architekten im „International Style“ ihren Ausdruck. Der von Max Bill forcierte Begriff der „Guten Form“,58 der in den 1950er- und 1960er-Jahren populär war und die Programmatik der Hochschule für Gestaltung Ulm59 prägte, wurde vom „Neuen Design“ abgelöst. Infolgedessen war eine Abkehr vom Funktionalismus eingeläutet worden, die zu Grenzüberschreitungen Richtung Kunst führten, was kritische Künstler wie Dieter Meier monierten, der die „Ästhetik des Alltags im spätkapitalistischen Mitteleuropa“ als „Hure des Konsums“ bezeichnete.60 ‚Design‘ diente während der Wirtschaftskrisen Ende der 1970er-Jahre als notwendiges Prädikat für eine erfolgreiche Schaffung und Steuerung von gesicherten Absatzmärkten. In Großbritannien konnte die Berufsgruppe der Designer/innen auf staatliche Förderungen zurückgreifen, deren Aufgabe es war, den industriellen Niedergang zu kompensieren. In den 1980er-Jahren hatte der Designbegriff soziale Räume populärer und elitärer Kulturproduktion bereits werbewirksam erobert.61 Diese Veränderungen waren an eine intensive diskursive Auseinandersetzung mit Design und dessen Produktsprachen im Verhältnis zu sozioökonomischen, gesellschaftspolitischen und ästhetischen Fragen sowie an methodologische Regelwerke gekoppelt.62 Später herrschte ein Stilpluralismus vor, innerhalb dessen eine ‚zweite Moderne‘ Platz fand. Seit dem aufkommenden Hype um internationale ‚Stardesigner/innen‘ ist der Designbegriff inflationär in Verwendung, [<<27] um Distinktionsgewinne zu erzielen, sodass dem Begriff keine spezifische Wertigkeit mehr innewohnt. Heute sind Design, Originalität und Innovation politisch einsetzbare Schlüsselbegriffe in Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung und vermitteln in allen ‚westlichen‘ Industrienationen ästhetische Normen des ‚Fortschritts‘. Denn die Strategie, nationale Designstandards fortdauernd zu bewerben, hat sich bewährt. Deutschland behauptet langfristig eine führende Rolle im Industriedesign, insbesondere im Automobildesign und in der Werkzeugherstellung. Prädikate wie ‚Skandinavisches Design‘, ‚Italienisches Design‘ oder ‚Japanisches Design‘ stehen für spezifische Formensprachen von Gebrauchsgegenständen, die von national ausgerichteten Organisationsstrukturen gefördert und vermarktet werden. Mit dem Niedergang der Produktions- und Fertigungsstätten in den ‚westlichen‘ Ländern haben diese Bezeichnungen eine neue Qualität erlangt.63 So erhielt der Terminus „Designed in EU“ gegenüber dem Siegel „Made in EU“ eine gleichwertige Bedeutung, um Konsument/inn/en mit einer positiven Ursprungsnarration zu gewinnen. Modedesign im Sinne einer Disziplin und als Dienstleistungsindustrie reiht sich in diese bereits abgeschlossene Entwicklung gefügig ein, da die Gestaltung von Bekleidung seit jeher höher bewertet wurde als die Kunst des Schneiders/der Schneiderin, diese zu nähen.
Der singuläre Status des Modedesigns als Unterdisziplin des Industrial Designs ist insofern herauszustreichen, da die Gestaltung und Verwendung von Bekleidung direkt an die menschliche Gestalt gebunden ist. Modeentwürfe folgen den bestehenden Prämissen des menschlichen Körpers in