vestimentäre Praktiken und deren Rezeption hinterfragt und dabei die Konstruktion von Europäer/inne/n als weiße24 Menschen näher beleuchtet wird. Des Weiteren verweist die Betrachtung des antiken apuleiischen Märchens von Amor und Psyche auf aktuelle psychosoziale Problemstellungen, wie sie der sogenannte ‚Jugend- und Schönheitswahn‘ darstellen.
Im Abschnitt 6 werden ethnozentrische Strukturen der ‚westlichen‘ Modebranche aufgezeigt. Erstens versucht eine Anordnung von Fallbeispielen die Dringlichkeit einer Revision des gängigen Selbstverständnisses ‚westlichen‘ Modedesigns aufzuzeigen. Die daraus abgeleiteten Überlegungen zur neokolonialen Machtausübung innerhalb der ‚Mode‘ möchten nicht nur kritisch gegenüber der Mode- und Textilindustrie argumentieren, sie laden ferner dazu ein, zukünftige Diskussionen zugunsten einer humaneren Textil- und Kreativbranche anzuregen. Und zweitens kann eine anthropologische Perspektive die Handlungsschemata, welche ‚Modedesign‘ hervorbringen, explizit machen und so zu einem besseren Verstehen des als ‚eigenen‘ konstruierten Gestaltungsanspruchs beitragen.
War vor der Jahrtausendwende mit Modedesign respektive fashion design – nicht nur im deutschsprachigen Raum – hauptsächlich Frauen-Modedesign gemeint, so entwickeln heute an Männerbekleidung interessierte Modestudierende stets auch Herrenkollektionen, deren signifikante Techniken und Epistemologien der Herstellung in [<<17] die Ausbildungsformate miteinbezogen sind. Als Nebeneffekt der beständigen gesellschaftspolitischen Bemühungen um die Gleichstellung der Geschlechter hat Designer/innenmode für Männer eine forcierte Aufwertung erfahren. Dass damit im Hinblick auf eine tatsächliche Egalisierung noch nichts erreicht worden ist, zeigt sich darin, dass ‚die Mode‘ binär strukturiert bleibt und sexualisierte vestimentäre Geschlechterkonstruktionen hierarchisierenden, biologischen und medizinischen Wissensmustern unterstellt geblieben sind. Mit Blick auf die mehrheitlich unverhältnismäßig sexualisierenden Frauenkollektionen der letzten Jahre kann festgestellt werden, dass jene konservativen Frauenbilder zwischen ‚Huren‘ und ‚Heiligen‘ – in neuen Kleidern und High Heels – durchaus wieder Konjunktur haben. Die Soziologin Angela McRobbie sprach in diesem Zusammenhang von einem neoliberalen Geschlechterregime, dessen postfeministische Gewalt sich insbesondere in für Modedesigner/innen relevanten Körperpraktiken und deren medialen Aufbereitungen zeigen. Sie verweist zu Recht darauf, dass dieser Backlash in Richtung einer neopatriarchalen, ‚westlichen‘ Gesellschaftsordnung nur mit hinreichendem Widerstand zu verhindern sei.25 Der Abschnitt 7 möchte unter der Prämisse zahlreicher Zugänge zur Genderthematik dazu anregen, gegenüber der Debatte über die Möglichkeiten ein unsexistisches Modedesign zukünftig zu erreichen, offen zu sein.
Die hierfür konzipierten Texte und die darauffolgenden Abschnitte 8 und 10 sind größtenteils im Rahmen des Masterstudiums am Institut für transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin unter Berücksichtigung von postkolonialen und kulturwissenschaftlichen Positionen erarbeitet worden. Für die zahlreichen Anregungen, die mir an dieser Institution entgegengebracht wurden, bin ich sehr dankbar. Der genealogischen Herausarbeitung der Zusammenhänge zwischen Moral, Kleider- und Gesellschaftsordnung, die auf die Verschränkungen in der Konstitution ‚westlicher‘ Kleidermode mit kolonialen Ausbeutungssystemen verweisen, und deren Rechtfertigungsmechanismen zwischen Kirchenmoral und Aufklärung nachzugehen, bedeutet, heutige Fragen nach der Eigenverantwortung der Konsument/inn/en und sozialer und ökologischer Verantwortungslosigkeit in der Modeindustrie im Spiegel historischer Ursachen zu untersuchen. Ferner kann der Fetischbegriff zur Klärung des Verhältnisses zwischen Okzidentalismus, Moderne, Weiblichkeitsmodellen und dem Paradigma des Neuen beitragen. Diese Herangehensweisen ermöglichen eine sozialphilosophische Theorie von Mode und Design, die programmatisch unabgeschlossen bleibt und Brüche aufweisen muss. Dabei kommt [<<18] es darauf an, beim Publikum und bei sich selbst – im Sinne der methodologischen Anregung zur Genealogie als Kritik des Politikwissenschaftlers Martin Saar – „sich zur Kritik und zur Veränderung der eigenen Selbstverständnisse und Selbstverhältnisse provozieren zu lassen“26, was zugleich mit der Entscheidung einherginge, der derzeitigen Modedesignpraxis ein „so nicht“27 entgegenzuhalten.
Denn wie in Abschnitt 9 ausgeführt, bleibt notwendigerweise stets das menschliche Maß ein primäres Gestaltungsparadigma für unsere Bekleidung und Behausung. Die diesbezüglichen kulturellen Maßstäbe sind jedoch veränderliche Setzungen, die in Abhängigkeit sozioökonomischer und politischer Paradigmen beständigen Revisionen unterliegen, die jeden Tag aufs Neue festgelegt und gestaltet werden können. [<<19]
1 Vgl. zu Michael Polanyis Begriff des impliziten Wissens, Polanyi 1985.
2 Zum Begriff des situierten Wissens der feministischen Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway vgl. Haraway 2007, 1988.
3 Jenß 2005a, S. 399.
4 Vgl. Wilson 1989, 1985.
5 Vgl. Ash/Wilson 1992.
6 Vgl. Barnard 2007a, S. 7.
7 Vgl. beispielsweise Arnold 1980 und Loschek 2005, 2007a.
8 Vgl. Barthes 1985.
9 Vgl. dazu Abschnitt 3.1 in diesem Band.
10 Vgl. Lipovetsky 1994; Lurie 1981.
11 Vgl. dazu das Frühwerk von Valerie Steele Fashion and Eroticism. Ideals of Feminine Beauty from the Victorian Era to the Jazz Age, Steele 1985 sowie Steele 1996, 2013.
12 Vgl. Bovenschen 1986 und Vinken 1993.
13 Siehe beispielhaft dazu Gertrud Lehnerts jüngst erschienenes Buch zu Mode, Theorie, Geschichte und Ästhetik einer kulturellen Praxis. Vgl. Lehnert 2013.
14 Vgl. Abschnitt 6.1 sowie 1.4, 7.3, 8.1, 10.1 in diesem Band.
15 Vgl. u. a. Abschnitt 1.2 in diesem Band.
16 Vgl. Esposito 2004 und den Abschnitt 4.1 in diesem Band.
17 Vgl. Rudofsky 1947 und den Abschnitt 9.3 in diesem Band.
18 Vgl. Duden 1963, S. 708.