mehr zu erkennen ist, und die korporative, bei der Organisationen, rechtliche Körperschaften und/oder Privatinvestor/inn/en als Urheber/innen auftreten.149 Diese Unterscheidungen sind für die Filmindustrie aufschlussreich und können auf die Modeindustrie übertragen werden, in der stets vielfach, kollektiv oder korporativ agiert wird. Kalkulierte Public Relations und ein präzises Markenmanagement suggerieren jedoch, dass es eine individuelle Autor/innenschaft von Modekollektionen gäbe, die durch das Branding beziehungsweise image building des/der Designer/s/in entsteht und dabei einen Mehrwert erzeugt, der Designer/innenware erst begehrenswert macht. Die Benennung „Designer“ kann als Schlüsselwort der Werbewirksamkeit gedeutet werden, daraus folgt eine Hervorhebung des Namens des/der Designer/s/in.150 Diese „Übernahme aus dem Bereich der Kunst, wo die Signatur des Künstlers die Einzigartigkeit, Authentizität, Individualität und die schöpferische [<<48] Leistung garantiert“, macht das Designer/innenetikett als Label für den Marktwert wichtiger als die eigentlichen Produkte.151 Der Designprozess gestaltet sich dagegen anders, denn erstens ist es äußerst selten, dass einzelne Designer/innen völlig originär arbeiten und tatsächlich komplett neue eigene Stile entwickeln – meistens handeln sie innerhalb eines historisch vorhandenen, stilistischen Spektrums und variieren dieses.152 Des Weiteren benötigen die Prozesse der Bekleidungsgestaltung für ein Modelabel die Zusammenarbeit mit Stoffdesigner/inne/n und -produzent/inn/en, Schnittgestalter/inne/n, Musternäher/inne/n und Konfektionsunternehmen, Stylist/inn/en, Presseagent/inn/en, Einkäufer/inne/n, Repräsentant/inn/en des Marktumfeldes und vielen anderen, deren Potenziale und Erwartungshaltungen auf den/die Designer/in einwirken.
Sowohl in einem Designatelier als auch in einem Unternehmen mit mehreren Hunderten Mitarbeiter/inne/n müssen vielfältige Überlegungen angestellt und mannigfaltige Entscheidungen getroffen werden. Schon in der Entwurfsphase sind diese Komponenten zu berücksichtigen. Es ist beispielsweise von Bedeutung, die Arbeit von Kolleg/inn/en und kommerzielle Trends zu kennen, um nicht unfreiwillig zum/r Trittbrettfahrer/in beziehungsweise copycat zu werden. Im Rahmen der künstlerischen Konzeptionen von Kollektionen müssen, den kommerziellen Möglichkeiten und technischen Bedingungen entsprechend, viele kleine Einzelentscheidungen getroffen und richtungweisende Schritte gesetzt werden, die einen erheblichen Einfluss auf das künstlerische Niveau haben. Freie Künstler/innen können im Gegensatz dazu relativ terminunabhängig arbeiten und es ist für sie möglich, ein Kunstwerk gänzlich autark zu fertigen. Ebenso steht es ihnen frei, das Material und die Medien zu wechseln, mit denen ein Kunstwerk auch intuitiv produziert werden kann. Doch die auf die Materialauswahl von Stoffen, Leder, Accessoires etc. beschränkte Arbeit von Modedesigner/inne/n, die Musterung der Kollektionsteile und die Wahl von Ort und Zeit der Präsentation, der Models und der Teams für Make-up, Licht- und Tondesign einer Modenschau erfordern aufmerksame, reflektierte Entscheidungen. Diese Tätigkeiten in einem angemessenen Zeitrahmen zu bewältigen, ist aus meiner praktischen Perspektive eine der Grundbedingungen für die Arbeit als Modedesigner/in.
Gleichermaßen ist die Frage nach der Art von Bekleidung, mit der wir leben wollen und wie diese hergestellt wird, von fundamentaler Bedeutung. Also kann in diesem Sinne design means to question and to decide als Gestaltungsprinzip für Modedesign, das jenseits ideologisch aufgeladener Designdiskurse wirksam ist, [<<49] gelten. Gestaltungsentscheidungen sind auf einer haptisch-visuellen Ebene positioniert und benötigen gleichzeitig eine verbale Artikulation. Daher ist die ‚visuelle Wende‘ in den Wissenschaften, die von Bild gebenden Verfahren digitaler Informationsverarbeitung mitgetragen wurde, dafür verantwortlich, Designtheorie als „Erforschung der Verkettung von Visualität und Diskursivität“153 zu denken. Darüber hinaus stehen im Hinblick auf einen materialist turn154 neben der Form und der Materialität die Haptik und olfaktorischen Eigenschaften von Artefakten zur Debatte. Der vonseiten der Geistes- und Kulturwissenschaften ausgerufene design turn strebt in der Gestaltung und Realisierung eine operative Wende in Richtung einer Überwindung des Gegensatzes von Theorie und Design an.155 Die Ergebnisse dieser innovativen Disziplinentransfers und deren kritische Bewertung stehen zukünftig zur Diskussion.
1.6 Sichtbares und unsichtbares Design
Die routinierte und fast automatisierte Wiederholung von Louis H. Sullivans Formel, dass die Form der Funktion folge oder folgen solle, klärt nichts. Gemäß dem Designtheoretiker John Thackara156 sei die unbedingte Gefolgschaft, die das Wort follow im englischen Sprachgebrauch nahelege, vielmehr – wie die implizite Präexistenz der Funktion vor der Form – bereits eine einseitige und verkürzende Interpretation der Intentionen Sullivans.157 Das traditionelle Gestaltungscredo form follows function158 wird im Modebereich bei der Gestaltung outrierter Formen von Frauenbekleidung eher im Hinblick auf die symbolisch-sozialen als auf die körperlichen Funktionen berücksichtigt, insbesondere wenn es sich um sogenannte Abendmoden handelt, wohingegen bei Funktionsbekleidung material follows function der passendere Slogan wäre. Laut Thackara hat der Ausspruch ohnehin seine Gültigkeit verloren: „‚Form [<<51] follows function‘ made sense when products were designed for a specific task – but not when responsive materials that modifies a product’s behaviour are available.“159 Dies bedeutet, dass die Existenz von innovativen Materialien, die teils aus der Raumfahrtindustrie- und der militärischen Forschung stammen und in den Nano-, Bio-, Info- und Technowissenschaften Anwendung finden, Gestaltungsprozesse verändert. Legierungen aus Metall, Hybridformationen aus anorganischem und organischem Material, deren Eigenschaften noch nicht gänzlich untersucht worden sind, fordern dazu auf, adäquate Funktionen, daher dem Material entsprechende Aufgaben zu designen und das Zusammenspiel von Form und Funktion zu optimieren. Das gestalterische Denken oszilliert dabei ständig zwischen diesen beiden Begriffen – Form und Funktion –, ohne eine hierarchische Wertung vorzunehmen. Hinsichtlich dieser Entwicklung versucht Thackara unter dem Motto „connecting natural energy with social energy“ das alle Industrien beherrschende, hegemoniale Paradigma des technischen Fortschritts in Richtung einer nachhaltigen und sozial gerechten Lebensraumgestaltung zu kanalisieren.160
Nicht nur die Modebranche gerät kontinuierlich in das Dilemma, die Know-how-Restbestände des militärisch-industriellen Komplexes, aus dem eine Vielzahl der Material- und Funktionsinnovationen herrührt, mit der Betonung auf Marktvorteile einzusetzen, wenn diese als ‚neue Mode‘ ins zivile Leben überführt werden. Der Einsatz von sogenannten Funktionstextilien161 ist stets kritisch zu überdenken und der Aufwand dem Nutzen präzise gegenüberzustellen. Es wird wenig erreicht sein, wenn die ‚neuen Moden‘ des 21. Jahrhunderts hauptsächlich in der Gestaltung von Wearables und dem Einsatz von Hightechtextilien liegen sollten.162 Das Festhalten am Begriff der Funktion ist tatsächlich problematisch und es lohnt, die kollateralen Wirkungen von gestalterischen Interventionen und die Umwelteffekte der hoch technisierten Materialentwicklung stärker zu gewichten, da diese über die eigentliche Funktion von Dingen hinausreichen. Thackara fokussierte deshalb die Konsequenzen der Gestaltungstätigkeit in deren Einbettung in globale ökologische, industrielle und kulturelle Systeme. Die Realität des jeweiligen Ortes, der Zeit und der kulturellen Differenzen sollten stets als wertvoll und nicht als Hindernisse angesehen werden, was [<<52] Gestaltungs- und Produktionsprozesse dahin gehend verändern würde, dass nicht mehr die Menschen einem System zugeführt, sondern die Menschen und deren Werte ein System bilden könnten.163
„Another nostrum, ‚truth to materials,’ was a moral imperative of the modern movement in design; it made sense when products were made of ,found‘ or natural materials whose properties were predetermined.“164 Thackara machte darauf aufmerksam, dass man mit einer Gestaltungslogik, die aus einem vergangenen Kontext stammt, den komplexen gegenwärtigen Aufgabenstellungen nicht gerecht werden könne. Der Begriff der ‚Wahrheit‘ dient heute schwerlich einer Materialbeschreibung, da es keine Produktionsmaterialien mit vordergründig ‚natürlichen‘ Eigenschaften gibt, die nicht bereits ‚künstlich‘ optimiert worden sind. Dies trifft schon seit Jahrhunderten auf die Produktion von Textilien zu. Man denke an den Loden, der durch Hitze seine Festigkeit und Steifheit erlangt und mit den ursprünglichen Eigenschaften von fülliger, leichter Schafwolle nur wenig gemeinsam hat. Konsequenterweise ist der Designbegriff erweitert zu denken, daher gibt es kein wahres oder richtiges Design zu beurteilen, sondern jene Wahrheiten zu untersuchen, die hinter den Bekenntnissen zur alternativlosen Vereinigung von Hightech-