Helmut Danner

Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik


Скачать книгу

      1.1 Zum Sinn der Methodenreflexion

      Zunächst fragen wir, was denn „Methode“ heißt. Das Wort kommt aus dem Griechischen: μἐυoδoς (méthodos) und setzt sich zusammen aus den Wörtern μετά (metá) „entlang“ und óδóς (hodós) = „Weg“. „Methode“ bedeutet also soviel wie das „Entlanggehen eines Weges“ (Bocheński 1969, 16). Die Methode ist das Verfahren, das einen bestimmten Weg aufzeigt, um ein vorgesetztes Ziel zu erreichen (Müller/ Halder 1967, 110). Die Verfahren des Lehrers, um bei seinem Schüler zu einem Urteil zu kommen, können darin bestehen, den Schüler über längere Zeit zu beobachten oder ihm gezielte Tests vorzulegen. Und der Erziehungswissenschaftler hat beispielsweise die Möglichkeit, die Methode des (strengen) Beschreibens oder der statistischen Erhebung anzuwenden, um etwa verschiedene Erziehungsstile zu ermitteln.

      Uns soll es hier um Forschungsmethoden gehen. Das heißt also, dass uns nicht interessiert, welche Wege der Lehrer einschlägt, um seinen Schülern das Bruchrechnen oder geschichtliches Denken beizubringen. Wir lassen außer Acht, welche Maßnahmen Eltern ergreifen mögen, um ihren Kindern Ordnungssinn anzuerziehen. Dies sind Fragen der Unterrichts- bzw. Erziehungsmethodik, die in unserem Zusammenhang keine Rolle spielen. (Einen Überblick über Erziehungs- und Unterrichtsmethoden bietet beispielsweise K. H. Schwagers Artikel „Methode und Methodenlehre“ (1970, 93–128). Wir fragen hier nach Methoden, welche die Pädagogik als Wissenschaft anwenden kann und muss, um zu Erkenntnissen zu kommen. Der Begriff „Forschungs“-methoden setzt sich also ab gegen praktische Methoden der Pädagogik. Dabei ist zu beachten, dass mit „Forschung“ nicht nur etwa Labor- und Felduntersuchungen gemeint sind, sondern z. B. auch eine historische Untersuchung. Mit Forschung soll also hier allgemein die gezielte, planvolle wissenschaftliche Tätigkeit verstanden werden.1

      Methode bezeichnet also in einer Wissenschaft den Weg, die Art und Weise, wie zu einer Erkenntnis gelangt werden kann. Wenn ich methodisch arbeite, gehe ich planvoll und nach bestimmten Regeln vor. Jede Wissenschaft versucht, die Methoden, die ihr am angemessensten sind, herauszufinden, zu begründen und zu differenzieren. Diese Bemühung einer Wissenschaft um ihre Methoden steht aber in einem größeren Zusammenhang, den man mit Wissenschaftstheorie bezeichnet.

      In der Wissenschaftstheorie legen die einzelnen Wissenschaften ihr Selbstverständnis als Wissenschaft fest und versuchen, es zu begründen. 2 Das bedeutet also, wenn wir uns hier mit bestimmten Methoden 15der Erziehungswissenschaft beschäftigen, dass wir dann auch nach dem Selbstverständnis der Pädagogik als Wissenschaft fragen. Es ist nun einmal ein fundamentaler Unterschied, ob ich beispielsweise das autoritäre Verhalten von Vätern gesamtmenschlich zu verstehen und zu deuten versuche, oder ob ich eine Strichliste darüber führe, wie oft sie ihren Kindern etwas verbieten. Der Unterschied dieser beiden einfachen Beispiele liegt ja nicht nur in der Methode, sondern darin, wie ich als Wissenschaftler meine, zu pädagogisch bedeutsamen Aussagen gelangen zu können.

e9783838509471_i0003.jpg

      16

      Das Schaubild will zum einen die Stellung der Methodenfrage im Rahmen der Wissenschaftstheorie und der praktischen wissenschaftlichen Forschung andeuten: Die Methodenfrage ist ein Teil der Wissenschaftstheorie; die angewandten Methoden bestimmen wesentlich die wissenschaftliche Tätigkeit; umgekehrt müssen die Methoden dem jeweiligen Forschungsgegenstand angemessen sein (kleine Pfeile). Zum anderen soll das Schaubild auf die innere Abhängigkeit der Wissenschaftstheorie, der Wissenschaft(en)und damit auch der Methoden von philosophischen, weltanschaulichen Grundlagen und Voraussetzungen hinweisen (große Pfeile). Mit anderen Worten: Das, was unter Wissenschaft verstanden werden soll (Wissenschaftstheorie) und die forschende Tätigkeit ändern sich, wenn von unterschiedlichen philosophischen Voraussetzungen ausgegangen wird. Diese können bewusst als philosophische Grundannahmen oder als weltanschauliche Haltung eingebracht werden; sie können aber auch unbekannt als jeweiliges Welt- und Menschenbild einfließen.

      Unser Schaubild ist rein schematisch und idealtypisch – und somit auch vereinfachend wie jede Schematisierung. Denn vor allem die These, dass philosophische und weltanschauliche Grundannahmen in die Wissenschaftsauffassung eingehen, wird weithin abgelehnt (Brezinka 1978, 19). Teilweise wird an der Existenzberechtigung der Philosophie gezweifelt; Wissenschaftstheorie und Philosophie werden dann identisch. Damit würde sich auch unser Schaubild verändern; das untere Feld „Philosophie“ müsste dann wegfallen.3 Es wäre noch eine Reihe von anderen Variationen vorstellbar, auf die wir aber hier nicht eingehen müssen.

      Wenn es nicht gleichgültig sein soll, welche Forschungsmethode angewandt wird, so ist damit noch etwas anderes gesagt: Jedes methodische Vorgehen hat seine ganz bestimmte Möglichkeit und seine Grenzen (Röhrs 1971, 42). Man kann also von einer Methode nur etwas Bestimmtes erwarten; anderes leistet sie dagegen nicht. Auf unser Beispiel mit den autoritären Vätern bezogen, bedeutet das: Wenn ich die Verbote, welche sie erteilen, lediglich zähle, dann kann ich über die Häufigkeit autoritären Verhaltens Aufschluss erhalten; das Zählen bringt mich jedoch nicht weiter bei der Frage nach dem, was „autoritär“ überhaupt ist und bedeutet; das Zählen sagt nichts aus über den Sinn, die Berechtigung von Erziehungsverboten, auch nicht über die Auswirkung auf das Kind, auf sein Verhältnis zum Vater usw.

      All dies leistet schon eher die verstehende Methode, die versucht, etwa die Verbote innerhalb des Gesamtrahmens der Erziehung zu sehen, 17sie einzuordnen und gesamtmenschlich zu beurteilen; sie kann zu einer Differenzierung kommen und zwischen berechtigten und unsinnigen Verboten, zwischen autoritativem und autoritärem Erziehungsverhalten unterscheiden. Der Unterschied besteht u. a. darin, dass der autoritäre Erzieher seine Überlegenheit so ausnutzt und ausspielt, dass sich das Kind nicht entfalten kann, während der autoritative seine Überlegenheit positiv einsetzt, um dem Kind gerade zur Selbstentfaltung zu verhelfen. Durch Verstehen und Deuten komme ich zu keiner Aussage darüber, wie verbreitet autoritäres Verhalten innerhalb einer Gesellschaft ist.

      Nun sind aber Forschungsmethoden im pädagogischen Zusammenhang nicht einfach jeweils verschiedene Instrumente, die man nach Gutdünken einsetzen kann. Sie unterscheiden sich nicht nur formal, sondern auch inhaltlich. Die Häufigkeit eines erzieherischen Verhaltens abzuzählen oder dieses verstehen zu wollen, sind zwei grundverschiedene Dinge; der Erziehungswissenschaftler kann seinen Untersuchungsgegenstand unter Umständen total verfehlen, ihn gar nicht in den Blick bekommen, wenn er nicht die angemessene Methode anwendet. Was als „angemessen“ zu gelten hat, daran scheiden sich die Geister. Es ist, wie wir schon angedeutet haben, im Letzten eine Frage des Menschen- und auch des Weltbildes.4

      Die Methodenfrage würde jedoch zu einseitig gesehen werden, wenn man meinte, man müsse sich für eine einzige Methode entscheiden. Wissenschaftliche Forschung geschieht immer durch das Zusammenwirken mehrerer Methoden. Der wissenschaftstheoretische oder weltanschauliche Streit um die „richtigen“ Methoden spielt sich darum auch zwischen Gruppen von Methoden ab, im Wesentlichen zwischen den geisteswissenschaftlichen und den empirisch-analytischen. Unter geisteswissenschaftlichen Methoden werden ziemlich übereinstimmend folgende verstanden: Hermeneutik (als verstehende und historische Methode), Phänomenologie und Dialektik.5 Für die empirischen Methoden ist eine Aufzählung nicht so eindeutig; am häufigsten werden dazu aufgeführt: Beobachtung, Befragung, Experiment, Test und Statistik.6 Aber auch jene Polarisierung zwischen empirischen und geisteswissenschaftlichen Methoden müsste nicht so extrem und ausschließlich sein, wenn diese jeweils