von und das Nachdenken über Methoden sollen zu einem kritischen Bewusstsein verhelfen, was eine Methode leisten kann und was nicht. Es soll dadurch auch bewusst werden, was man unter Umständen versäumt, 18wenn man eine Methode nicht anwendet. Dieses Methodenbewusstsein vermag den Sinn für Wissenschaftlichkeit zu wecken; denn wissenschaftliches Arbeiten ist methodisches Arbeiten. Darum erweist es sich auch für den Studierenden als sinnvoll, Forschungsmethoden kennen zu lernen und mit der Zeit auch selbstständig und bewusst anzuwenden.
Wenn wir uns hier ausführlich mit ‚geisteswissenschaftlichen‘ – oder allgemeiner: sinn-orientierten – Forschungsmethoden befassen wollen, so soll dennoch von Anfang an die Methodenfrage auch in ihrer begrenzten und relativen Bedeutung gesehen werden. Der Satz „wissenschaftliches Arbeiten ist methodisches Arbeiten“ lässt sich nämlich nicht umkehren. Nicht jedes methodische Vorgehen garantiert schon Wissenschaftlichkeit. Wenn wir also Pädagogik als Wissenschaft ernst nehmen wollen, dann dürfen wir nicht die Methodenfrage zum obersten und einzigen Prinzip erheben; die Methode übernimmt „bei der Beantwortung eines Fragezusammenhanges nur eine dienende Funktion“ (Linke 1966, 157). Wir müssen uns also vor einer Methodengläubigkeit hüten (Feyerabend 1976; Wuchterl 1977, 57 f). Denn mit statistischen Erhebungen über Schülerverhalten oder mit phänomenologischem Beschreiben der Mutter-Kind-Beziehung allein ist pädagogisch noch nichts oder nur wenig ausgesagt.
Zudem kann wohl nicht geleugnet werden, dass die Methodendiskussion in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer gewissen Mode-Erscheinung geworden war. „Vielleicht ist es keine Übertreibung zu behaupten, daß sie [die Methodologie] selten so eifrig gepflegt wurde wie in unserer Zeit“ (Bocheński 1969, 138). In Deutschland hatte das den geschichtlichen Hintergrund, dass in den sechziger Jahren damit begonnen worden war, die empirisch-analytischen und sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnisse und -methoden zu übernehmen, die in der übrigen westlichen Welt erzielt bzw. angewandt wurden.8
Mehr oder weniger dazu gedrängt, kam damit auch die geisteswissenschaftliche Pädagogik in die Situation, verstärkt Methodenreflexion zu betreiben. Dies hatte die positive Auswirkung, dass sie sich wissenschaftstheoretisch darstellen und dadurch selbst kritisch prüfen musste. Gleichzeitig geriet sie in Gefahr, ihre inhaltliche Aufgabe zu vernachlässigen, nur weil sie einem modischen Trend nachgab (Wuchterl 1977, 5). In einer ähnlichen Lage der wissenschaftstheoretischen Begründung der Geisteswissenschaften im Fahrwasser der Naturwissenschaften befand sich W. Dilthey vor rund 120 Jahren. Dabei aber „hat sich Dilthey von dem Vorbild der Naturwissenschaften zutiefst bestimmen lassen, auch wenn er gerade die methodische Selbständigkeit 19der Geisteswissenschaften rechtfertigen wollte“ (Gadamer 1975, 4). Könnte dieser modische Trend, geistesgeschichtlich gesehen, nicht darin bestehen, dass man die Flucht ins Formale angetreten hat, weil man unfähig geworden ist, inhaltlich etwas auszusagen? Auch aus diesem Grund also sollte die Methodenfrage nicht überbewertet, wenn auch in ihrer sinnvollen Aufgabe nicht unterschätzt werden (Nicklis/Wehrmeyer 1976, 6 f).
Ein Gesichtspunkt soll noch genannt werden, der sich aus einer Überbetonung des Methodenproblems ergibt: die Verdeckung des Gegenstandes durch die Methoden. Was damit gemeint ist, haben wir in unseren Beispielen schon angedeutet. Wenn ich z. B. zu einer Aussage darüber kommen will, welche Bedeutung das Vertrauen in der Erziehung hat, werde ich mir etwa durch empirisch-analytische Methoden den Weg verbauen (Bollnow 1969b, 26f). Das Phänomen des zwischenmenschlichen Vertrauens entzieht sich des quantitativen Zugriffs; es schlüpft durch das Gitterwerk einer Statistik; durch experimentelles Vorgehen wird es von vornherein verhindert. Gehe ich also mit bestimmten Methoden, in diesem Fall mit empirischen, ohne auf die Art des Gegenstandes zu achten, an diesen heran, so kann sich dieser entziehen; in unserem Beispiel müsste ich zu dem Ergebnis kommen, dass es pädagogisches Vertrauen überhaupt nicht gibt. „Es gibt … im Lernprozess … Mechanismen. Die Methode der experimentellen pädagogischen Psychologie versuchte sie zu erfassen. Sie entschied, wie man am leichtesten, gründlichsten, z. B. memoriert; aber ob man so lernen soll und was und in welchem Maße, darüber konnte sie keine Aussagen machen“ (Flitner 1989, 370). Der Gegenstand also muss die Methode bestimmen, nicht umgekehrt; die wissenschaftliche – und pädagogische – Fragestellung muss der Ausgang sein, nicht die Methode.9
Einen weiteren Aspekt ergibt die Unterscheidung zwischen geisteswissenschaftlichen und empirisch-analytischen Methoden. Letztere haben einen mehr instrumentellen Charakter; man kann sie erlernen wie eine andere Technik und entsprechend einsetzen; so kann man z. B. ein Experiment durchführen oder nicht. Dies ist im Hinblick auf geisteswissenschaftliche Methoden streng genommen nicht möglich; denn hermeneutisches Verstehen oder phänomenologische Befunde sind immer schon mit im Spiel, wenn ich an einen pädagogischen Sachverhalt überhaupt herangehe und auch, wenn ich über die angemessenste Forschungsmethode reflektiere.
Während empirische Methoden mehr den Charakter des technischen Zugreifens besitzen, wollen die geisteswissenschaftlichen Methoden 20mehr den Gegenstand selbst sprechen lassen. Der Gegenstand „spricht“ aber schon, bevor ich überhaupt an eine empirische Untersuchung denke, indem beispielsweise ein erzieherischer Missstand sichtbar geworden ist. Insofern können geisteswissenschaftliche Methoden und empirische nicht auf einer Ebene gesehen werden. Die Reflexion über ‚geisteswissenschaftliche‘ Methoden hat einen anderen Stellenwert als die über empirische; der Begriff ‚Methode‘ meint damit auch etwas Unterschiedliches; es geht dort weniger um das Erlernen und spätere Anwenden als um das Kennenlernen eines Erkenntnisvorganges, der auch ohne „Methodenstrategie“ ständig und längst geschieht (Gadamer 1975, XXVII, 483). Die bessere Kenntnis wird uns aber helfen, auch im geisteswissenschaftlichen Bereich methodisch bewusster vorzugehen.
Damit sind wir wieder zum Anfang unserer Überlegungen über den Sinn der Methodenreflexion zurückgekommen.
Zusammenfassend wollen wir uns die wichtigsten Gesichtspunkte nochmals vergegenwärtigen:
Eine Methode ist die Art und Weise, wie man vorzugehen hat, um zu einem Ziel, z. B. zu Erkenntnissen, zu gelangen. Das griechische méthodos bedeutet soviel wie das „Entlanggehen eines Weges“.
Uns geht es hier um Forschungsmethoden, nicht um Erziehungs-oder Unterrichtsmethoden.
Die Methodenreflexion ist Teil der Wissenschaftstheorie, d. h. der philosophischen Begründung dessen, was man unter Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit verstehen will. Daher ist eine Methode vom jeweiligen wissenschaftstheoretischen Standpunkt abhängig.
Umgekehrt wird an den Methoden sichtbar, wie sich eine Wissenschaft versteht. Die Beschäftigung mit Forschungsmethoden vermag darum das Bewusstsein für Wissenschaftlichkeit zu wecken. (Abb. 1)
Jede wissenschaftliche Methode hat ihre spezifischen Erkenntnismöglichkeiten und ihre Grenzen. Die einzelnen Methoden unterscheiden sich jedoch oft nicht nur formal und rein äußerlich; sie sind auch wissenschaftstheoretischer Ausdruck eines bestimmten Welt-und Menschenbildes. Daher stehen sie – wie die ‚empirischen‘ und ‚geisteswissenschaftlichen‘ Methoden – im Widerstreit.
Wissenschaftliche Forschung geschieht aber sinnvollerweise durch das Zusammenwirken mehrerer Methoden, die ergänzend aufeinander bezogen werden.
Vor einer Methodengläubigkeit sollten wir uns hüten, weil Methoden 21lediglich dienende Funktion haben; ein selbstständiger Methodenapparat macht nicht die gesamte Forschung aus. Vielmehr kann eine Überbewertung einzelner Methoden oder der Methodenfrage insgesamt bedeuten, dass der Gegenstand der Untersuchung verdeckt oder verfälscht wird.
1.2. Was heißt „geisteswissenschaftliche Pädagogik“?
Die Ausdrücke „geisteswissenschaftlich“ und „Geisteswissenschaften“ begegnen uns häufig, auch in pädagogischer Literatur, und wir nehmen sie als selbstverständlich hin. Doch fragen wir uns selbst einmal, was wir uns darunter vorstellen, so geraten wir in Verlegenheit; „Geisteswissenschaft“ wird zu einem vagen Gebilde. Die Auskünfte, die wir uns von einschlägiger Literatur erhoffen, verwirren uns möglicherweise noch mehr. A. Diemer stellt gar neun Wissenschaftsrichtungen fest, die in den Begriff „Geisteswissenschaft“ eingegangen sind (Diemer 1975, 7–9; 1974, 213). Zu allem Überfluss kann uns ein Buchtitel begegnen, der „die Unmöglichkeit