Eva-Maria Landwehr

Kunst des Historismus


Скачать книгу

      kurz nach den Befreiungskriegen einsetzte, wandte man sich von bürgerlicher Seite gegen das Kunst- und Auftraggeber-Monopol des Adels. Man wollte den bürgerlichen Künstler durch Spenden und Stiftungen gewissermaßen aus den eigenen Reihen heraus fördern, damit die Kunst, so der Frankfurter Kunstverein im Jahr 1829 expressis verbis, nicht mehr „den Höfen dienen“ müsse (Roth 1996, Zitat S. 129f.). Eine solche Entwicklung musste entsprechende Gegenmaßnahmen provozieren, die sich unter anderem auch auf historische Künstlerpersönlichkeiten bezogen, die von bürgerlicher und adeliger Seite gleichermaßen vereinnahmt wurden: Die Stadt Nürnberg zum Beispiel hatte ihr reichsstädtisches Selbstbewusstsein über alle Zeitläufte hinweg bewahrt und galt deswegen bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Paradebeispiel für lebendigen Bürgerstolz. Die Verehrung für Albrecht Dürer, den deutschen Maler und Renaissance-Menschen schlechthin, war stets wachgehalten worden: Neben den zeitgenössischen Künstlern sah sich anlässlich der anstehenden Feiern zu Dürers 400. Geburtstag auch das Bürgertum in der Pflicht, die historischen Verdienste des Künstlers zu würdigen. Eine solche drohende Vereinnahmung Dürers als Künstler des Bürgertums konnte König Ludwig I. von Bayern nicht dulden und intervenierte mit einer großzügigen Spende für ein Denkmal zu Ehren des Künstlers, um durch diese fürstliche Geste die öffentliche Aufmerksamkeit auf Nürnberg als Kaiserstadt und Dürer als kaiserlichen Hofmaler zu lenken. Die Nürnberger jedoch durchschauten die Absicht und waren verstimmt – die Dankesreden an die Adresse des Königs anlässlich der Denkmalseinweihung waren dementsprechend zurückhaltend formuliert (Kosfeld 1992).

      Auch für sein Privathaus forderte der Bürger nun den Zugriff auf eine Architekturtypologie und auf eine Formenwelt, die über Jahrhunderte Adel und Klerus vorbehalten gewesen war. Noch in der ersten Jahrhunderthälfte aber waren bürgerliche Ansinnen, mithilfe der Baukunst und des sie unterstützenden ikonographischen Zeichensystems adeliges Leben und Wohnen zu kopieren, mit Ironie und Häme beantwortet worden. Der Maler Adolph Menzel zum Beispiel mokierte sich im Jahr 1841 darüber, dass es ein Problem sei, dass Menschen gerne mehr darstellen wollten, als sie tatsächlich seien. So fände es ein Metzger wohl nicht amüsant, wenn der Architekt sein Haus mit Attributen verzierte, die auf seinen

      [<<20]

      Berufsstand schließen ließen – der Metzger wolle vielmehr, dass sich die Passanten ehrfürchtig fragten, ob das schöne Haus einem Adeligen gehöre. In England wurde gesellschaftlichen Aufsteigern der Weg zu einem gehobenen Lebensstil in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht annähernd so schwer gemacht. Ganz im Gegenteil gehörten diese Persönlichkeiten als respektierte Leistungsträger einer frühindustrialisierten Gesellschaft zur wichtigsten Architekten-Klientel. Anders als der Geldadel auf dem Kontinent hatten sich diese Unternehmer selbstbewusst aus den Zwängen des von der Aristokratie geprägten ästhetischen Kanons befreit und nahmen sich unbekümmert, was ihnen am Stilrepertoire gefiel: sei es klassisch, gotisch – oder auch nur eine phantasievolle Mixtur aus allem.

      Die zweite Jahrhunderthälfte brachte in Deutschland jedoch die Wende, als die euphorische Aufbruchsstimmung nach der Reichsgründung 1871 alle Bereiche des öffentlichen Lebens bestimmte. Sein Anteil am Wirtschaftswachstum, sein unternehmerischer Wagemut, seine Verdienste um Fortschritt und Technik machten das Bürgertum zur tragenden und damit unverzichtbaren Säule der Gesellschaft und stattete seine Mitglieder mit einem enormen Selbstbewusstsein aus. So behauptete der Architekt Hubert Stier im Jahr 1884, die Fürstenschlösser der deutschen Renaissance hätten schlicht das Bürgerhaus kopiert, selbst das Heidelberger Schloss bestehe im Grunde nur aus einer Gruppierung einzelner imposanter Bürgerhäuser. Der Kunsthistoriker Wilhelm Lübke sah zwei Jahre später in seiner „Geschichte der Architektur“ die größte Errungenschaft der zeitgenössischen Architektur darin, dass im Gegensatz zu den vorhergehenden Jahrhunderten, in denen Adel und Klerus ihre Prachtbauten in Auftrag gegeben hatten, nun das ganze Volk – damit meinte er die Bürger – Bauherr geworden sei. Im Zentralblatt der Bauverwaltung wurde 1899 noch nachgelegt, indem man darauf verwies, dass Macht und Bildung nun nicht mehr das Prärogativ von Adel und Klerus seien. An deren Position sei das Volk getreten, das seine unterdrückten Rechte nun mit großem Nachdruck beanspruche. Und auch wenn es paradox klingen mag: Trotz der permanenten Konkurrenz mit dem Adel lebte man durchaus zufrieden in einer Untertanengesellschaft, in der ein Adelstitel die Türen öffnete, weshalb die Verleihung eines solchen für viele Bürgerliche ein angestrebtes Karriereziel darstellte. Die Renaissance des

      [<<21]

      Kaisertums wurde als Vollendung des mittelalterlichen Kaisertums und damit als historischer Auftrag verstanden, der angesichts seiner Tragweite mit dem enttäuschend schwachen Parlamentarismus aussöhnte. In seiner neuen Rolle als gesellschaftliche Führungsschicht sah sich das Bürgertum als Teil dieser historischen Entwicklung, forderte die Teilhabe an deren Realisierung ein und erarbeitete sich seinen eigenen Zugang zur Vergangenheit. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts begann eine argumentative Aufholjagd, um die vergessenen, teils vom Adel usurpiert geglaubten Leistungen des historischen Bürgertums wieder ins gegenwärtige Bewusstsein zu rufen. Wie stark sich Teile der Bürgerschaft vor allem mit der Zeit der deutschen Renaissance als Blütezeit des Bürgertums ganz öffentlich identifizierten, zeigten zum Beispiel historische Festzüge, wie derjenige, der 1879 in Wien im Rahmen der Festlichkeiten angelegentlich der Silberhochzeit des österreichischen Kaiserpaares abgehalten wurde. Die aufwendig kostümierten bürgerlichen Teilnehmer sonnten sich im Glanz der frühneuzeitlichen Bürger-Renaissance und reklamierten damit eine direkte Verbindung zur erfolgreichen Gegenwart ihres Standes. Eine privatere Form der historischen Selbstinszenierung bot die Porträtmalerei – in den Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts konnte sich der Münchner Maler Friedrich August von Kaulbach, der Damen des Bürgertums als Patrizierinnen des 16. und 17. Jahrhunderts porträtierte, nicht über einen Mangel an Aufträgen beklagen.

      Auch im öffentlichen Raum machte sich dieser Trend bemerkbar: Im Jahr 1818 konnte man in Deutschland weniger als zwanzig öffentliche Standbilder bestaunen – 1883 lief man angesichts von über 800 Denkmälern Gefahr, die Übersicht zu verlieren und lamentierte über die „Denkmalseuche“, ganz so, als wären die einst geschätzten Monumente nun einer lebensbedrohlichen Epidemie vergleichbar. War in den Jahrhunderten zuvor ausschließlich der Adel in den Genuss solcher Würdigungen gekommen, wurde diese Ehre nun auch dem Bürgertum zuteil. Es waren deswegen vor allem von Bürgern ins Leben gerufene Vereine, die die Herstellung von Denkmälern finanzierten und diese aus der schläfrig-entrückten, zeitlosen Sphäre des Landschaftsparks mitten ins Leben holten: in die Stadt. Dieser Umschwung reduzierte die Distanz zwischen Betrachter und Geehrten und bewirkte außerdem, dass die

      [<<22]

      Geschichte durch die permanente Berührung und den Austausch mit der dynamischen Gegenwart keine Patina ansetzen konnte. An zu Ehrenden bestand kein Mangel, die vergangenen Jahrhunderte hatten schließlich genügend ‚große Söhne‘ bürgerlicher Herkunft hervorgebracht, deren Verdienste auf diese Weise der historischen Identität und Bedeutung der jeweiligen Stadt zugutekamen. Diese Erkenntnis wirkte so beflügelnd, dass noch die unscheinbarste Stadt auf der Suche nach einem geeigneten Individuum in ihrer Vergangenheit fündig werden konnte. Denkmäler für bedeutende Persönlichkeiten der Frühen Neuzeit wie Martin Luther (errichtet 1817 – 21 in Wittenberg) oder Johannes Gutenberg gehörten zu den frühesten Monumenten für Nicht-Adelige. Ihr zentraler Aufstellungsort – oft in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rathaus, dem Symbol bürgerlicher Unabhängigkeit – und ihre dauerhafte Präsenz verhalfen diesen Denkmälern zu einer ganz neuen, intensivierten Perzeption, was von fürstlicher Seite mit Unbehagen registriert und selten gutgeheißen wurde. Als August Hermann Francke, der evangelische Theologe, der Ende des 17. Jahrhunderts in Halle eine umfangreiche Stiftung für Waisenkinder ins Leben gerufen hatte, im Jahr 1828 mit einem Denkmal geehrt werden sollte, das man direkt vor dem Waisenhaus aufzustellen plante, legte König Friedrich Wilhelm III. von Preußen sein Veto ein. Nicht etwa, weil er grundsätzlich gegen eine Würdigung Franckes gewesen wäre, sondern weil ihm der prominente Standort des Monuments vor dem Waisenhaus für eine Zivilperson übertrieben schien – eine Aufstellung in der Abgeschiedenheit des Innenhofes hingegen war für den König akzeptabel. Für die Ausführung der Figurengruppe, die den von zwei Kindern begleiteten Theologen in einem historischen Gewand