ist eine Aufzeichnung der (produktiven) sprachlichen Äußerungen und Reaktionen per Audio und/oder Video sehr sinnvoll bzw. notwendig.
3.3 Befragung
Die Methode der Befragung hat im Bereich der (Sprach-)Diagnostik einen hohen Stellenwert. Dies betrifft sowohl die Befragung unterschiedlicher Bezugspersonen (u.a. Eltern, Erzieher, Lehrer) als auch des betroffenen Kindes selbst.
Ziele/Inhalte der Befragung
Befragungen erfolgen mit unterschiedlichen Zielstellungen. Man unterscheidet zwischen der Anamnese als Darstellung der „Vorgeschichte“ einschließlich der Darstellung der aktuellen Situation (Aktualanamnese) und Explorationsgesprächen mit dem Kind oder mit den Eltern/Bezugspersonen. So kann das Ziel erreicht werden, sich ein umfassenderes Bild vom Kind und seiner Lebenswelt, den involvierten Bezugspersonen und den aktuellen Kontextbedingungen zu machen (Hesse/Latzko 2017). Daneben spielen für bestimmte Bereiche und Störungsbilder Befragungen in Form von Interviews zur Diagnosestellung eine Rolle.
Zu Beginn des diagnostischen Prozesses werden im Rahmen des Anamnesegespräches retrospektive Informationen über die Entwicklungsgeschichte des Kindes als Grundlage der diagnostischen Arbeit erhoben. Auf ihrer Basis werden oft erst konkrete diagnostische Fragestellungen abgeleitet und Hypothesen aufgestellt, die es dann zu überprüfen gilt (Hesse/Latzko 2017). Neben diesen wichtigen anamnestischen Informationen (siehe auch unten) können im weiteren Verlauf der Diagnostik gezielt Bezugspersonen des Kindes unter einer entsprechenden Zielstellung befragt werden. Dies kann das (sprachliche) Verhalten in unterschiedlichen Situationen und Kontexten betreffen. So ist es beispielsweise wichtig, das Interaktionsverhalten eines Kindes auch bezüglich der Peer-Interaktion einzuschätzen, was in der therapeutischen Praxis nicht immer über Beobachtung (z.B. in Kita oder Schule) erfasst werden kann. Die zu untersuchenden Kinder selbst werden zum einen je nach Alter im Hinblick auf ihre eigene Sicht auf die Symptomatik befragt, zum anderen steht die Exploration der Lebenswelt und Lebenssituation des Kindes im Fokus.
Befragungsformen
Je nach Strukturierungsgrad lassen sich verschiedene diagnostische Gesprächsformen unterscheiden:
■ freie Explorationsgespräche
■ Befragungen anhand von Leitfäden
■ Interviews
Insgesamt gilt es Regeln der Gesprächsführung zu beachten und für eine Atmosphäre zu sorgen, in der die Gesprächspartner (Kind oder Bezugspersonen) bereit sind, über sich und das Kind Auskunft zu geben. Da im Rahmen von Befragungen oft viele und ganz spezifische Informationen zu verschiedenen Punkten eingeholt werden müssen, gilt es insbesondere angepasst an den Inhaltsbereich unterschiedliche Fragetechniken zu beachten. Offene Fragen sind oft sinnvoller als geschlossene und führen zu einem größeren Informationsgewinn, Auswahlfragen/ Alternativfragen können für bestimmte Kontexte sehr sinnvoll sein, etc. Generell vermieden werden sollten beispielsweise Suggestivfragen (Walther et al. 2010).
Um nicht wichtige Informationen zu vergessen und Befragungen zu strukturieren, bietet sich der Einsatz von Leitfäden an. Gerade im anamnestischen Bereich liegen dafür Bögen mit unterschiedlichen Zielsetzungen vor (siehe unten).
Eine eigenständige Befragungsform stellen Interviews dar. Diese können entweder halb oder voll strukturiert sein und dazu dienen, sehr systematisch z.B. Symptome oder Einschränkungen im Alltag des Kindes abzufragen und in den Blick zu nehmen. Dies ist v.a. bei Störungsbildern sinnvoll, bei denen entsprechende Verhaltensweisen nicht immer direkt im Untersuchungskontext zu beobachten sind:
■ Das Pragmatische Profil: Analyse kommunikativer Fähigkeiten über ein strukturiertes Interview (Dohmen et al. 2009)
■ Kinder-DIPS Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen, Unterkapitel zu selektivem Mutismus (Schneider et al. 2008)
■ ADI-R, Diagnostisches Interview für Autismus (Bölte et al. 2006)
Bei allen Formen der Befragung verbleibt das Problem, dass sich die Befragten oft nicht mehr genau an weiter zurückliegende Ereignisse erinnern (z. B. „Wann hat das Kind begonnen, Zweiwortsätze zu produzieren?“) und dass Untersucher meist nur etwas über die Dinge erfahren, die explizit erfragt werden, während andere Aspekte vergessen werden können (Kany/Schöler 2009).
Anamnese als Basis diagnostischen Vorgehens
Am Beginn eines diagnostischen Prozesses steht i.d.R. die Erfassung anamnestischer Daten. Die Anamnese als Datensammlung der Vorgeschichte/Biographie (griech. anamnesis = Erinnerung) beinhaltet dabei aber auch die aktuelle Situation und Symptomatik des Kindes und seines Lebensumfelds.
Von Suchodoletz (2013) benennt wichtige Bereiche der Anamnese, beispielsweise die bestehenden Sprachauffälligkeiten und die störungsspezifische Entwicklungsgeschichte, begleitende Auffälligkeiten und Störungen, Stärken und Schwächen in anderen Entwicklungsbereichen, familiäre Vorbelastungen, ätiologische Faktoren (Hörstörungen oder andere Entwicklungsauffälligkeiten) sowie familiäre Entwicklungsbedingungen. Die Berücksichtigung der individuellen Umweltfaktoren (Analyse von extrinsischen Möglichkeiten und Beschränkungen in den Bereichen Kommunikation, Interaktion und Sozialkontakten) bzw. die
Analyse von Aspekten der Partizipation/Teilhabe (in Familie, Kita, Schule, Verein, etc.), wie sie die ICF fordert, macht deutlich, dass die alleinige Erfassung sprachlicher Kompetenzen im sprachdiagnostischen Prozess und für die Interventionsplanung nicht ausreichend sein kann. Im Rahmen bestimmter Fragestellungen sind anamnestische Informationen elementarer Bestandteil der Beantwortung, beispielsweise bei der Abklärung einer evtl. bestehenden Sprachentwicklungsstörung bei mehrsprachigen Kindern (s. Kap. 11.2.1).
Anamnesebögen zur Strukturierung von Vorinformationen
Viele dieser Informationen werden häufig über Anamnesebögen von den Bezugspersonen und/oder dem betroffenen Kind selbst im Vorfeld des ersten Treffens oder direkt beim ersten persönlichen Kontakt erfragt.
Für die Anamnese bei kindlichen Sprachstörungen liegt eine Vielzahl von vorgefertigten Bögen vor, die für die Strukturierung von Anamnesegesprächen oder die schriftliche Anamneseerhebung genutzt werden können.
Allgemeine Anamnesebögen (i. d. R. mit Fokus auf Sprachentwicklungsstörungen):
■ Elternfragebogen; IDIS: Soziale und familiäre Situation sowie Entwicklung und Auffälligkeiten; IDIS: Biographische und anamnestische Informationen zur sprachlichen Entwicklung (Schöler 1999)
■ Zusammenstellung zu Fragen der Anamnese (Schrey-Dern 2006)
■ Explorationsleitfaden für Sprech- und Sprachstörungen (von Suchodoletz 2013)
■ Dokumentationsbogen Sprachtherapeutische Anamnese bei Kindern (Korntheuer et al. 2014)
Anamnesebögen liegen auch ausgerichtet für ausgewählte Personengruppen vor, z.B.
■ sprachliche Fähigkeiten im Kontext von Mehrsprachigkeit (vgl. Kap. 11.2.1), u.a.:
– Anamnesebogen für zweisprachige Kinder (Jedik 2006a; 2006b)
– Mehrsprachen-Kontexte 2.0. Erfassung der Inputbedingungen von mehrsprachig aufwachsenden Kindern (Ritterfeld/Lüke 2013)
– bei Asbrock et al. (2011a)
– bei Korntheuer et al. (2014)
Daneben sind Bögen erhältlich, die für die Spezifika einzelner Störungsformen erweitert wurden, z. B.
■ Aussprachestörungen: Anamnesefragen bei Aussprachestörungen (Weinrich/Zehner 2017)
■ Stottern (Sandrieser/Schneider 2015; Korntheuer et al. 2014)
■ Poltern (Sick 2014)
■ Hörstörungen (Korntheuer et al. 2014; AUDIVA 2005)
■ LRS (Korntheuer et al. 2014)
Nähere Angaben dazu finden Sie in den jeweiligen Kapiteln dieses Bandes.
3.4 Beobachtung
Die professionelle Beobachtung