Markus Spreer

Diagnostik von Sprach- und Kommunikationsstörungen im Kindesalter


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dem Test wirklich Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen identifizieren?

      Validität ist das am schwersten nachzuweisende Gütekriterium. Voraussetzung für ein valides Verfahren sind die beiden schon beschriebenen Gütekriterien Objektivität und Reliabilität.

      Für die Überprüfung bzw. den Nachweis der Validität eines Verfahrens stehen verschiedene Zugänge zur Verfügung.

      Über die Inhaltsvalidität wird begründet, warum davon ausgegangen wird, dass die verwendeten Aufgaben auch wirklich das zu messende Konstrukt erfassen. Dies kann beispielsweise über Expertenbefragungen erfolgen.

      Für die Übereinstimmungs- oder Kriteriumsvalidität wird die Übereinstimmung mit einem sog. „Außenkriterium“ überprüft, wobei ein solches Kriterium (auch als „Goldstandard“ bezeichnet) im sprachlichen Bereich nur schwer zu finden ist. Es könnte z.B. überprüft werden, ob die Einteilung von Kindern anhand eines Testergebnisses in sprachgestört vs. nicht sprachgestört valide gelingt, indem man die Testeinteilung mit einem gleichzeitig erhobenen Expertenurteil oder auch mit Ergebnissen anderer Testverfahren vergleicht.

      Die Konstruktvalidität soll verdeutlichen, inwiefern es gelingt, das zu erfassende Merkmal in Übereinstimmung mit bestehenden theoretischen Konstrukten zu erfassen. Dafür wird beispielsweise die Übereinstimmung mit ähnlichen (z.B. anderen sprachlichen Ebenen) und Nichtübereinstimmung mit divergenten Konstrukten (z. B. Aufmerksamkeit) überprüft.

      Nebengütekriterien

      Neben den Hauptgütekriterien existieren weitere (Neben-)Gütekriterien, welche die Qualität und die Einsatzmöglichkeiten eines Testverfahrens beschreiben.

      Die Testfairness bezieht sich auf mögliche Benachteiligungen von bestimmten Personengruppen: Werden z. B. Kinder aus einem unteren sozialen Milieu benachteiligt, weil sie mit bestimmten Materialien/Themen weniger vertraut sind?

      Die Kulturfairness sollte explizit darauf eingehen, ob Personen aufgrund ihrer ethnischen oder soziokulturellen Zugehörigkeit durch die Auswahl und Gestaltung von Items benachteiligt sind.

      Auch die Ökonomie eines Testverfahrens sollte beachtet werden: Steht die Anwendung eines Testverfahrens in einer angemessenen Relation zur Aussagekraft des Ergebnisses?

      Die Normierung eines Testverfahrens (Wurden ausreichend große und repräsentative Stichproben herangezogen?) wird ebenfalls als ein wichtiges Nebengütekriterium beschrieben.

      Bewertung der Gütekriterien

      Die Testmanuale der Diagnostikverfahren müssen über die Gütekriterien eines Testverfahrens Auskunft geben. In Bezug auf die Reliabilität gilt, dass die Koeffizienten über .80 liegen sollten. Für gut überprüfte Intelligenztestverfahren liegen sie oftmals deutlich über .90. In Bezug auf Sprachentwicklungstests sind die Bereiche, die aktive Sprache überprüfen, meist deutlich reliabler als Tests bzw. Untertests, die sich auf das Sprachverständnis beziehen. Das Sprachverständnis ist insgesamt schwerer erfassbar – entweder werden Bildauswahlverfahren benutzt, bei denen die Ratewahrscheinlichkeit relativ hoch ist, oder es werden Manipulationsaufgaben benutzt, deren Bewertung beispielsweise nicht immer eindeutig gelingt.

      Zur Abschätzung der Validität werden entweder bestimmte Vorannahmen geprüft (Schneiden z.B. Sprachheilschüler in entsprechenden Untertests schlechter ab? Gibt es erwartbare Entwicklungseffekte?) oder die Übereinstimmungsvalidität wird über Vergleiche zu anderen Sprachtests berichtet. Derzeit finden sich aber weder für einzelne Testverfahren noch für Kombinationen verschiedener Untertests oder Testverfahren Angaben dazu, in welchem Ausmaß das bzw. die Verfahren in der Lage sind, Kinder mit (umschriebenen) Sprachentwicklungsstörungen zu identifizieren (z. B. IQWIG-Bericht; IQWiG 2009).

      In vielen aktuellen Sprachtests sind die Normierungsstichproben pro Altersgruppe leider sehr klein. Es ist außerdem nicht immer nachvollziehbar, wie die Stichproben rekrutiert wurden und ob sie als annähernd repräsentativ angesehen werden können.

      Anwender von psychometrischen Testverfahren sollten sich mit den Grundprinzipien der Testkonstruktion auskennen, um Normwerte angemessen interpretieren zu können, Testverfahren korrekt durchzuführen (und z.B. nicht zu denken, dass man Kindern bei der Lösungssuche helfen müsste) oder verschiedene Testwerte zueinander in Relation setzen zu können.

      Die diagnostische Arbeit mit Kindern erfordert in einigen Bereichen ein spezifisches Herangehen und Gestalten von Rahmenbedingungen, um zu zuverlässigen Ergebnissen und Aussagen zu kommen (Buschmann/Sachse 2017).

      Motivationale Faktoren

      Übergreifend ist es entscheidend, Kinder so zu motivieren, dass sie bereit sind, an der diagnostischen Untersuchung, sei es im freien Gespräch, Spiel oder bei Testverfahren, mitzuwirken. Eine generelle Bereitschaft kann insbesondere bei jüngeren Kindern nicht vorausgesetzt werden. Je jünger die Kinder sind, umso mehr wird es generell und v.a. bei der Bearbeitung von Testverfahren notwendig sein, konkrete Aufgaben zwar streng gemäß der Instruktion durchzuführen, diese aber sehr spielerisch einzubetten. Kleine Belohnungen sind oftmals angebracht und können verwendet werden, um zwischenzeitliche Motivationsabfälle aufzufangen und der mangelnden Frustrationstoleranz von Kindern zu begegnen. Es bleibt eine schwierige Entscheidung von Diagnostikern, die mit viel Fingerspitzengefühl verbunden ist, wann ein Kind bereit ist, sein sprachliches Vermögen zu zeigen und vor allem produktive Teile von Sprachtests zu bearbeiten. Die Arbeit mit Kindern setzt unbedingt Erfahrungen mit der jeweiligen Altersgruppe, mit den unterschiedlichen Störungsbildern und damit assoziierten Phänomenen (z.B. in Bezug auf das Störungsbewusstsein etc.) sowie eine absolute Vertrautheit mit dem diagnostischen Material und dem eigenen Vorgehen voraus.

      Rahmenbedingungen

      Die diagnostische Arbeit mit Kindern erfordert neben einem hohen fachlichen Wissen und der absolut sicheren Anwendung der eingesetzten Methoden und Verfahren auch spezifische Kenntnisse und Vorerfahrungen mit Kindern der entsprechenden Altersgruppe, um zuverlässige Informationen innerhalb des diagnostischen Prozesses zu erhalten. Einige spezifische Rahmenbedingungen, die zu beachten sind, werden im Folgenden beschrieben:

      ■ Kindgerechte Information über die diagnostische Situation mit kindgerechten Erklärungen: Auch Kindern ist in ausreichendem Ausmaß altersentsprechend zu erklären, warum die diagnostische Untersuchung stattfindet und was diese beinhalten wird.

      ■ Raumgestaltung: Besonders bei jungen Kindern ist darauf zu achten, dass der Untersuchungsraum ansprechend, aber wenig ablenkend gestaltet ist. Störquellen wie Telefone, laute Geräusche vor dem Untersuchungsraum etc. sind unbedingt zu vermeiden.

      ■ Zeitpunkt der Untersuchung: Die diagnostische Untersuchung sollte zu einem Zeitpunkt stattfinden, an dem sich das Kind wohlfühlt und zu dem es ausgeruht und nicht hungrig ist. In vielen Fällen ist ein Zeitpunkt am Vormittag deutlich günstiger als z. B. nach einem langen Schultag am Nachmittag. Pausen sollten dann eingelegt werden, wenn das Kind diese braucht.

      ■ Rückmeldungen über Aufgabenkorrektheit bei Testverfahren: Bei den meisten Testverfahren sind Rückmeldungen so zu gestalten, dass nicht klar erkennbar ist, ob es sich um eine richtige oder falsche Lösung handelt. Es ist oft notwendig und angebracht, unabhängig von einer konkreten Aufgabe und deren Korrektheit zwischendurch zu motivieren und zu loben, z.B. „Du machst super mit“, „Das klappt prima“.

      ■ Ab- bzw. Anwesenheit von Bezugspersonen: Bei kleineren Kindern (unter drei Jahren) kann es notwendig sein, dass eine Bezugsperson mit im Raum ist. In diesen Fällen muss die Bezugsperson gut über den Ablauf und die Vorgehensweise informiert werden. Sie sollte sich passiv und ruhig verhalten, möglichst nicht eingreifen und keine Instruktionen umformulieren. Es ist sinnvoll, die Bezugspersonen darüber aufzuklären, dass es völlig normal ist, dass ein Kind nicht alle Aufgaben lösen kann.

      ■ Sitzposition: Eine standardisierte Testsituation lässt sich am besten herstellen, indem eine Sitzposition über Eck an einem Tisch eingenommen wird. Bei kleinen Kindern ist auf eine angemessene Sitzhöhe zu achten, gegebenenfalls ist ein Kinderstuhl notwendig. Nicht benötigtes Untersuchungsmaterial sollte außerhalb der