Charakter eines politisch-philosophischen Epochendokuments.
Staatenverfassungen, Grundrechteerklärungen und Articles of ConfederationArticles of Confederation
Parallel zur Entstehung der UnabhängigkeitserklärungUnabhängigkeitserklärung vollzog sich in den einzelnen Kolonien die Neuordnung des politischen und konstitutionellen Lebens. Angesichts der leidenschaftlichen Auseinandersetzungen, bei denen schon sozial egalitäre, „gleichmacherische“ Forderungen aufkamen, fürchteten viele Gemäßigte und Besitzende um den inneren Frieden und wollten ein Weitertreiben der Revolution verhindern. Aber auch radikale Befürworter der Unabhängigkeit hielten es für dringend geboten, nach dem Zusammenbruch der britischenGroßbritannien Regierungsautorität zu stabilen Verhältnissen zurückzukehren und die gefährliche Phase des Nebeneinanders von alten und neuen Institutionen so rasch wie möglich zu beenden. In diesem Prozess der Loslösung von Monarchie und Empire nahm die aufklärerische Idee, das Volk sei der Souverän und könne sich selbst regieren, erstmals konkrete Gestalt an. Die VolkssouveränitätVolkssouveränität wurde schon deshalb zur neuen Legitimationsgrundlage, weil es in der amerikanischen Wirklichkeit des Jahres 1776 gar keine Alternative zur republikanischen Staatsform gab. Zentrale Bedeutung erlangten die geschriebenen Verfassungen: Eine constitution legte nicht mehr nur die Staatsform und die Kompetenzverteilung der Regierungsorgane fest, sondern errichtete überdies, wie das Town Meeting von Concord in MassachusettsMassachusetts schon im Oktober 1776 feststellte, „ein System von Prinzipien, das die Rechte und Freiheiten der Regierten gegen alle Übergriffe der Regierenden schützt“.
Auf Anfrage aus mehreren Hauptstädten hin hatte der Kongress Mitte Mai 1776 empfohlen, jede Kolonie solle „solch ein RegierungssystemRegierungssystem einrichten, das nach Meinung der Volksvertreter am besten geeignet ist, das Glück und die Sicherheit ihrer Wählerschaft im Besonderen und Amerikas im Allgemeinen zu gewährleisten“. New HampshireNew Hampshire und South CarolinaSouth Carolina waren dieser Empfehlung bereits zuvorgekommen und hatten im Januar bzw. März 1776 Verfassungen schriftlich niedergelegt, die ursprünglich als provisorisch angesehen wurden und nur bis zum Ende des Konflikts mit EnglandGroßbritannien in Kraft bleiben sollten. Zwischen Juni 1776 (VirginiaVirginia) und Oktober 1780 (MassachusettsMassachusetts) gaben sich neun weitere Kolonien bzw. Staaten Verfassungen, wobei einige zwei oder sogar drei Anläufe benötigten, bevor die Dokumente in Kraft treten konnten. ConnecticutConnecticut und Rhode IslandRhode Island beschränkten sich darauf, ihre Charter-Urkunden aus dem 17. Jahrhundert von Erwähnungen des Königs und der Monarchie zu „reinigen“. Einen anderen Sonderfall stellte Vermont dar, dessen Bürger sich weder New YorkNew York noch New Hampshire angliedern lassen wollten und die deshalb im Juli 1777 eine eigene, dem radikal-republikanischen Beispiel Pennsylvanias folgende VerfassungVerfassung annahmen. Ihren Antrag, als 14. Staat der Union beizutreten, lehnte der Kongress jedoch vorerst ab.
Obwohl den Siedlern die Unterscheidung zwischen Verfassungs- und Gesetzesrecht keineswegs fremd war, wichen die Prozeduren der Verfassungsgebung noch beträchtlich voneinander ab. Einige revolutionäre Körperschaften schrieben ohne speziellen Wählerauftrag Verfassungen und setzten sie ebenso eigenmächtig in Kraft. Diese Praxis wurde aber in der Öffentlichkeit bald als unvereinbar mit dem Prinzip der VolkssouveränitätVolkssouveränität kritisiert. PennsylvaniaPennsylvania berief deshalb einen speziellen Konvent ein, der sich auf die Ausarbeitung und Verabschiedung von VerfassungVerfassung und Grundrechteerklärung beschränkte. In MassachusettsMassachusetts einigte man sich schließlich auf ein Verfahren, das in seinen Grundzügen zum Vorbild für die ganze spätere konstitutionelle Entwicklung wurde: Ein nur zu diesem Zweck gewählter Konvent arbeitete die Verfassung aus und legte sie den Bürgern zur Stellungnahme vor; rechtskräftig wurde sie erst nach der Ratifizierung durch das Volk in den Town Meetings. Auf diese Weise erhielt die Verfassung eine „höhere Weihe“ als das Gesetzesrecht und konnte nicht mehr eigenmächtig vom Parlament, sondern nur unter Mitwirkung des souveränen Volkes geändert werden.
Inhaltlich stellten die neuen Verfassungen Kompromisse zwischen den beiden Flügeln der patriotischen Bewegung dar: dem radikal-republikanischen, der besonderen Wert auf die Bürgerbeteiligung und die Kontrolle der Regierenden legte, und dem konservativ-aufklärerischen, der im Sinne von MontesquieusMontesquieu, Charles de Secondat, Baron de De l’esprit des loisDe l’esprit des lois
Abgesehen von PennsylvaniaPennsylvania und GeorgiaGeorgia, die nach dem Prinzip des simple government das Einkammer-SystemGewaltenteilungStaaten einführten, behielten die Staaten Senate bei, die im konservativen Verständnis das Eigentum repräsentieren und dem Schutz der besitzenden Schichten dienen sollten. In der Praxis büßten diese Oberhäuser aber bald viel von ihrer Exklusivität ein, weil sich die meisten Senatoren – ungeachtet höherer Besitzqualifikationen und längerer Amtszeiten im Vergleich zu den Unterhausabgeordneten – weniger als Sprecher von Klasseninteressen denn als Vertreter der territorialen Einheiten verstanden, in denen sie gewählt wurden. Von Funktion und Arbeitsweise her näherten sich Senate und Unterhäuser deshalb recht schnell einander an.
Aus der noch frischen Erinnerung an die Konflikte mit den königlichen Gouverneuren und Richtern heraus wurden die Befugnisse von Exekutive und JudikativeGewaltenteilungOberste GerichteGewaltenteilungStaaten in der Regel stark eingeschränkt. Ins Zentrum des RegierungssystemsRegierungssystem (frame of government) rückte die Legislative, das Parlament, das häufig sowohl die Gouverneure als auch die Richter wählen konnte. Meist ordnete man den Gouverneuren noch einen Exekutivrat bei, der sie kontrollieren und Machtmissbrauch verhindern sollte. Nur New YorkNew York und MassachusettsMassachusetts ließen die Gouverneure direkt vom Volk wählen und gaben ihnen das Recht, mit einem suspensiven Veto in die Gesetzgebung einzugreifen. Die Parlamentarier selbst unterlagen einer strengen Kontrolle durch ihre Wähler: Dafür sorgten der Grundsatz der jährlichen Wahlen (annual elections), die vielfach noch geübte Praxis des imperativen Mandats, die Ämterrotation sowie die Möglichkeit des Rückrufs von Abgeordneten während der Legislaturperiode. Die Judikative schließlich galt zwar noch nicht als „dritter Regierungszweig“, aber in einigen Staaten besaßen die Obersten Gerichte doch schon genügend Autorität, um in Form der judicial reviewJudicial Review
Die Diskussion über GrundrechteGewaltenteilungStaaten, natural and fundamental rights, war ein wesentlicher Teil dieser konstitutionellen Neuordnung. In einigen Staaten gingen die Verfassungsgeber von der Fortgeltung der alten Rechtsgarantien aus; in anderen formulierten sie separate Grundrechtskataloge