Pfund Sterling getrieben hatte. Mit dieser Schuldenlast hinterließ er allerdings ein Erbe, das, wie sich bald zeigen sollte, die größte Sprengkraft für die Empire-Beziehungen barg. Um nämlich die finanzielle Belastung der unruhigen englischenGroßbritannien Bevölkerung in Grenzen zu halten – allein für Zinsen mussten jährlich 5 Millionen Pfund aufgebracht werden, für die Truppen auf den KaribikinselnKaribik und in den Festlandskolonien 200.000 Pfund –, suchten George III.George III. und seine Berater nach neuen Einnahmequellen. Amerika bot sich an, denn man hatte, so wurde am Hof und im Parlament argumentiert, den Krieg doch nicht zuletzt zum Schutz der Siedler geführt, die ohnehin viel weniger Steuern zahlten als die Bürger im Mutterland. Von diesem Entschluss nahm die „imperiale Debatte“ über Besteuerung, Repräsentation und Souveränität ihren Ausgang, die innerhalb weniger Jahre die Bindungen löste, die über mehr als ein Jahrhundert entstanden waren.
Kapitel 2: Revolution, Verfassungsgebung und Anfänge des Bundesstaates, 1763–1814
1 Die imperiale Debatte, 1763–1774
Am Ende des Siebenjährigen KriegesFrankreichSiebenjähriger KriegSiebenjähriger Krieg (French and Indian War) verstanden sich die meisten Siedler durchaus noch als treue Untertanen der KroneGroßbritannien und betrachteten ihre Kolonien als feste Bestandteile des britischenGroßbritannien Empire. Allerdings hatte die Erkenntnis zugenommen, dass „Amerika“ in diesem Weltreich einen besonderen, hervorgehobenen Platz einnahm und dass die „Amerikaner“ eine Reihe von Belangen und Überzeugungen teilten, die von denen der Engländer abwichen. Handfeste Interessen gerieten zuerst im WestenWesten in Gefahr, wo sich die IndianerNative AmericansKolonialzeit als die eigentlichen Leidtragenden der französischen Niederlage – sie machte die Fortsetzung ihrer bisherigen Neutralitäts- und „Schaukelpolitik“ zwischen den Kolonialmächten unmöglich – nun dem weiteren Vordringen weißer Siedler gewaltsam widersetzten. 1763 schlossen sich im OhioOhio-Tal und im Gebiet der Großen Seen mehrere Stämme unter dem OttawaOttawa Indianer-Häuptling PontiacPontiac zusammen und begannen einen Aufstand, der bis 1766 andauerte. Um den Konflikt einzudämmen, entschloss sich die KroneGroßbritannien, der weiteren Ausdehnung des Siedlungsgebiets und der Landspekulation einen Riegel vorzuschieben. Durch königliche Proklamation wurde im Oktober 1763 die Wasserscheide des AppalachenAppalachen-Gebirges als temporäre Grenze festgesetzt und den weißen Untertanen Seiner Majestät verboten, westlich dieser Linie zu siedeln. Die permanente Stationierung von ca. 10.000 britischenGroßbritannien Soldaten in Nordamerika konnte unter diesen Umständen ohne weiteres auch als eine Vorsichtsmaßnahme gegen koloniale Expansions- und Unabhängigkeitsbestrebungen verstanden werden.
Die Reformen, mit denen die Regierung Grenville die Politik des salutary neglect beendete, um die Empire-Verwaltung zu straffen und die StaatsfinanzenFinanzwesen zu verbessern, fielen ungünstigerweise in eine Rezessionsphase, die den Kriegsboom in den Kolonien abgelöst hatte. Als erste Maßnahme im Rahmen der neuen Strategie traten 1764 der Sugar ActSugar Act (1764) und der Currency ActCurrency Act (1764) in Kraft, die dazu gedacht waren, wenigstens 50 Prozent des schon seit langem offiziell erhobenen Importzolls für Zucker von den französischenFrankreichKolonien KaribikinselnKaribik auch tatsächlich einzutreiben und die unkontrollierte, inflationsfördernde Papiergeldausgabe einzelner Kolonialparlamente zu unterbinden. Bereits zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich aber ab, dass in den Kolonien nicht so sehr die zusätzliche finanzielle Belastung als die den Gesetzen innewohnende generelle Tendenz zur verstärkten imperialen Kontrolle den Stein des Anstoßes bildete. So behaupteten die Kritiker, das englische Parlament dürfe zwar im Sinne der Navigation ActsNavigation Acts den kolonialen Handel regulieren, nicht jedoch, wie mit dem Sugar ActSugar Act (1764) geschehen, Zollgesetze zur Steigerung der Staatseinkünfte verabschieden. Der Bostoner Anwalt James OtisOtis, James vertrat in einer Flugschrift sogar die Auffassung, das Parlament sei überhaupt nicht befugt, die Kolonien ohne deren Zustimmung zu besteuern. Damit wandte er sich gegen Grenvilles Theorie der „virtuellen Repräsentationvirtuelle Repräsentation“, derzufolge das Parlament (verstanden als Gesamtheit von King, Lords und Commons) sämtliche englischenGroßbritannien Untertanen, also auch die Kolonisten, vertrat und deren Zustimmung zu Parlamentsbeschlüssen einfach voraussetzen konnte. Hier offenbarte sich eine folgenreiche Auseinanderentwicklung der englischenGroßbritannien und der kolonialen Repräsentationspraxis: Während man in EnglandGroßbritannien inzwischen davon ausging, dass der Parlamentsabgeordnete nicht seinen Wählern, sondern der Gesamtheit gegenüber verantwortlich war, also ein „freies Mandat“ besaß, tendierten die Kolonien zum „imperativen Mandat“: Die Abgeordneten in den Assemblies vertraten unmittelbar ihre Wähler bzw. die Gemeinden, von denen sie entsandt und gelegentlich sogar mit bindenden Instruktionen ausgestattet wurden. Die Siedler wollten sich deshalb weder mit einer virtuellen Repräsentation noch mit einer Scheinrepräsentation in Form einiger Alibi-Delegierter abfinden, die – wie Benjamin FranklinFranklin, Benjamin – das Westminster-Parlament in kolonialen Angelegenheiten berieten. Da sie kaum Hoffnung hatten, jemals „tatsächlich“ und gerecht in LondonLondon vertreten sein zu können, lief ihr Argument „no taxation without representation“ nicht auf eine Reform des Parlaments, sondern auf die Rückkehr zum Status quo der Vorkriegszeit hinaus.
Die Stamp Act-KriseStamp Act-Krise
Vor diesem Hintergrund traf das 1765 verabschiedete Steuermarken-Gesetz (Stamp Act) den Nerv der Beziehungen zwischen Kolonien und Mutterland und trieb den Konflikt auf einen ersten Höhepunkt. Von dieser Steuer, die nicht nur für alle Schriftstücke mit rechtlicher Bedeutung, sondern auch für Kalender, Zeitungen, Druckschriften und sogar für Karten- und Würfelspiele erhoben wurde, erhoffte sich die englische Regierung Einkünfte in Höhe von 60.000 Pfund Sterling (umgerechnet auf heutige Preise 5 Millionen Dollar). Es handelte sich um die erste direkte Steuer, die LondonLondon den Kolonien auferlegte, und sie diente noch dazu explizit der Verbesserung der Haushaltslage. Ominös aus amerikanischer Sicht war auch der Umstand, dass zur Eintreibung der Steuer in den Kolonien eine eigene königliche BürokratieRegierungssystemBürokratie aufgebaut werden sollte, dass die Vizeadmirals-Gerichte, die ohne Geschworene urteilten, Verstöße gegen das Gesetz ahnden sollten und dass – gewissermaßen als „flankierende Maßnahme“ – ein Quartering ActQuartering Act (1765) erlassen wurde, der die Assemblies verpflichtete, für die Unterbringung der britischenGroßbritannien Truppen Sorge zu tragen. Die Regierung Grenville suchte also bewusst die Kraftprobe mit den Kolonien, um sie zur Anerkennung der Autorität und Souveränität des Parlaments zu zwingen.
Nach kurzem Zögern nahmen die Siedler den hingeworfenen Fehdehandschuh auf, wobei ihre Führer – die sich WhigsWhig-Partei oder patriots nannten – aber eine Kompromissformel suchten, die es den Kolonien erlaubte, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu regeln, ohne aus dem Verbund des Empire ausscheiden zu müssen. Die Opposition manifestierte sich in dreifacher Weise: Auf der politischen Ebene erhoben die Assemblies, allen voran das Unterhaus von VirginiaVirginia, Protest gegen das „verfassungswidrige“ Steuermarkengesetz und betonten den Grundsatz, dass nur sie selbst befugt seien, in den Kolonien Steuern zu erheben. Das MassachusettsMassachusetts-Parlament ergriff überdies die Initiative zu einem interkolonialen Stamp Act CongressStamp Act Congress (1765), an dem im Oktober 1765 in New York CityNew York City 28 Delegierte aus neun Kolonien teilnahmen. Sie verabschiedeten Resolutionen, die den kolonialen Rechtsstandpunkt bekräftigten und Angriffe auf ihre „Rechte und Freiheiten“ zurückwiesen, und sie baten das Westminster-Parlament in einer ausgesucht höflichen Petition um die Annullierung des Stamp Act. Im Unterschied zu diesem maßvollen Vorgehen machte sich der Unmut der Bevölkerung in einer Welle von Protesten Luft, die teils auf symbolische Weise Widerstand ankündigten, etwa durch die Errichtung von Freiheitsbäumen (liberty poles) und die Verbrennung von Puppen, die Steuerbeamte oder englische Politiker darstellten (burning in effigy), teils aber auch schon gewaltsame Formen annahmen und von handgreiflichen Attacken gegen Steuerbeamte bis hin zur Zerstörung ihrer Häuser und zur Praxis des „Teerens und Federns“ reichten. Zumeist wurden diese Massendemonstrationen gut vorbereitet und gelenkt von „patriotischen“ Organisationen, insbesondere den Sons of Liberty, die sich aus Kreisen der Handwerkerschaft in allen bedeutenden Orten