Anke Ortlepp

Geschichte der USA


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niedrigen Preisen verkaufte. Das Farmland gelangte jedoch in den meisten Fällen nicht direkt an die Siedler, sondern auf dem Umweg über Landgesellschaften, die große Spekulationsgewinne machten und sich noch größere erhofften. Die Bundesregierung hatte den Mindestpreis für Verkäufe aus der public domain auf 2 Dollar pro acre festgesetzt. Bei den öffentlichen Versteigerungen boten die Agenten der Landgesellschaften wesentlich höher, weil sie wussten, dass sie das Land, aufgeteilt in lots von 40 bis 160 acres, für über 50 Dollar pro acre an landhungrige Farmer weiterverkaufen konnten. Die Farmer wiederum waren bereit, sich bei den Banken zu verschulden, weil die Preise für Agrarprodukte, nicht zuletzt wegen einer starken Nachfrage aus dem kriegsverwüsteten Europa, stetig nach oben kletterten. Die Orgie der LandspekulationFinanzwesenAntebellum erreichte 1819 ihren Höhepunkt, als zehnmal so viel Bundesland verkauft wurde wie im Schnitt der Vorkriegsjahre. Um diese Zeit ließen jedoch Rekordernten in Europa die Nachfrage nach amerikanischem Getreide sinken, und gleichzeitig gerieten die während des Krieges aufgebauten Manufakturbetriebe in NeuenglandNeuengland (s.a. Nordosten, Regionen) durch billige englische Importe in Schwierigkeiten. Als die Banken daraufhin die Kreditvergabe einschränkten, platzte der spekulative Luftballon, und die Preise für Land und Agrarprodukte stürzten ab. Es dauerte bis 1823, bevor sich die Lage stabilisierte und die Wachstumskräfte wieder die Oberhand gewannen.

      Die KriseFinanzwesenAntebellum hatte weitreichende Folgen, denn sie intensivierte das Nachdenken über eine zeitgerechte WirtschaftspolitikWirtschaft und beschleunigte damit die Umformung der amerikanischen Parteienlandschaft. In der ökonomischen Diskussion kristallisierten sich zwei unterschiedliche Ansätze heraus: Auf der einen Seite gewann das von Henry ClayClay, Henry propagierte American SystemFinanzwesenAntebellumAmerican System (Henry Clay) an Attraktivität, das ein aktives Eingreifen der Bundesregierung mit dem Ziel vorsah, die Vereinigten Staaten durch hohe Zölle zum Schutz der heimischen Industrie und durch eine Verbesserung der Infrastruktur so weit wie möglich selbstgenügsam und unabhängig von Europa zu machen. Dieses nationale Programm stieß auf den Widerstand derjenigen, die wirtschaftspolitische Entscheidungsbefugnisse am besten bei den Staatenparlamenten aufgehoben sahen und eine eher noch stärkere Dezentralisierung befürworteten. Der Zorn vieler Farmer und Landspekulanten richtete sich vor allem gegen die Second Bank of the United StatesFinanzwesenAntebellumBank of the United StatesSecond Bank of the United States, die mit ihren Rückzahlungsforderungen an die Staatenbanken das Signal zu der allgemeinen Kreditkontraktion gegeben hatte. Zu diesen beiden PolenPolen hin begannen nun die politischen Kräfte zu gravitieren, die bei Beginn von Monroes Amtszeit noch einträchtig das Ende der Parteienherrschaft verkündet hatten.

      Die Illusion eines „parteilosen“ Zustandes ergab sich daraus, dass die FederalistsFederalists nach 1815 praktisch von der nationalen Bühne verschwunden waren. Nun zerfiel auch das Lager der Republicans in Fraktionen, aus denen dann in einem längeren Prozess ein neues Zweiparteien-System hervorging. Bei den Wahlen von 1824 konkurrierten nicht weniger als fünf Kandidaten, die sich alle als Republicans bezeichneten. Da keiner von ihnen die absolute Mehrheit der Wahlmännerstimmen erreichte, fiel die Entscheidung im Repräsentantenhaus, das den führenden Bewerber, General Andrew JacksonJackson, Andrew, überging und den Zweitplatzierten, John Quincy AdamsAdams, John Quincy, zum Präsidenten kürte. Adams verdankte den Sieg vor allem Henry ClayClay, Henry, der nach der Enttäuschung über sein eigenes schlechtes Abschneiden alles darangesetzt hatte, JacksonsJackson, Andrew Einzug ins Weiße Haus zu verhindern. AdamsAdams, John Quincy ernannte ClayClay, Henry zum Außenminister und nahm damit den Vorwurf der JacksonJackson, Andrew-Anhänger in Kauf, die Wahl durch eine geheime Absprache (corrupt bargain) manipuliert zu haben. Wichtiger als taktische Schachzüge war aber die programmatische Übereinstimmung zwischen ClayClay, Henry und AdamsAdams, John Quincy, die alle national gesinnten Republikaner sammeln und das American SystemFinanzwesenAntebellumAmerican System (Henry Clay) auf der Grundlage eines Bündnisses zwischen den Neuenglandstaaten und dem WestenWesten in die Tat umsetzen wollten. Der strenge und moralisch integre, nach außen oft mürrisch und steif wirkende AdamsAdams, John Quincy ging dabei noch über ClaysClay, Henry Vorstellungen hinaus, indem er neben Zollschutz und Verbesserungen der Verkehrswege auch Gesetze zur Förderung von Künsten und Wissenschaften einschließlich des Baus einer nationalen UniversitätUniversitäten und eines Observatoriums vorschlug. Gegen diesen Kurs der nationalen Republikaner formierte sich aber sowohl im Kongress als auch in den Einzelstaaten, hauptsächlich im SüdenSüden und SüdwestenSüdwesten, wachsender Widerstand unter dem Banner von Demokratie und Staatensouveränität (states’ rights). Zur Integrationsfigur dieser Bewegung, die sich zunächst „the Democracy“ und später dann Demokratische ParteiDemokratische ParteiEntstehung (Democratic Party) nannte, stieg bis 1828 der populäre Sieger von New OrleansNew Orleans, Andrew JacksonJackson, Andrew, auf.

      Bevor der neue Parteiengegensatz seine volle Schärfe erreichte, nahmen die Amerikaner auf symbolträchtige Weise endgültig Abschied von der Revolutionsepoche. In einer erstaunlichen Koinzidenz starben am 4. Juli 1826, auf den Tag genau fünfzig Jahre nach der UnabhängigkeitserklärungUnabhängigkeitserklärung, sowohl John AdamsAdams, John als auch Thomas JeffersonJefferson, Thomas. Viele Zeitgenossen schrieben dieses Ereignis der göttlichen Vorsehung zu und verstanden es als Bestätigung dafür, dass dem „amerikanischen Experiment“ ein tieferer, transzendenter Sinn innewohnte.

      2 Die „MarktrevolutionWirtschaftMarktrevolution“

      Der komplexe Vorgang, der in der neueren Forschung als „market revolutionMarktrevolution“ bezeichnet wird, ergab sich aus dem Ineinandergreifen von vier Faktoren: dem raschen BevölkerungswachstumBevölkerungsentwicklung, dem Ausbau des VerkehrswesensEisenbahnAntebellum, der Kommerzialisierung der LandwirtschaftLandwirtschaftKommerzialisierung (1. Hälfte 19.Jh.) und dem Beginn der IndustrialisierungIndustrialisierung. Dabei bedingten sich der Ausbau marktwirtschaftlicher Strukturen und das Voranschieben der FrontierFrontier nach WestenWesten gegenseitig und erzeugten eine immer stärkere Eigendynamik. Ökonomisches Wachstum und technische Neuerungen gingen mit tiefgreifenden Änderungen im Denken und in den sozialen Beziehungen einher, und sie vergrößerten zudem die wirtschaftlichen und kulturellen Unterschiede zwischen den Nord- und Südstaaten. Die paradoxe Folge war, dass die Einbindung immer weiterer Bevölkerungskreise in eine nationale MarktwirtschaftWirtschaft die sozialen und regionalen Gegensätze verschärfte und damit die Gefahr des Zerfalls der Union heraufbeschwor.

      BevölkerungswachstumBevölkerungsentwicklung und BinnenwanderungBinnenwanderung

      Zwischen 1790 und 1820 war die Bevölkerung der Vereinigten Staaten von 4 auf 10 Millionen gestiegen, 1840 betrug sie 17 Millionen, und 1860 lebten mit 31,5 Millionen (davon 3,9 Millionen Sklaven und ca. 500.000 freie Schwarze) bereits mehr Menschen in den USA als in EnglandGroßbritannien und fast ebenso viele wie in Frankreich oder in den deutschen Staaten. Dieses Wachstum resultierte zunächst ganz überwiegend aus der „natürlichen“ Vermehrung, d. h. einer hohen Geburten- und einer relativ niedrigen Sterberate. Im 19. Jahrhundert begann allerdings ein säkularer Trend zu niedrigeren Geburtenraten: Während eine amerikanische Frau 1810 im Durchschnitt noch sieben Kinder zur Welt brachte, waren es um die Jahrhundertmitte nur noch fünf. Bis 1860 wurde das Sinken der Geburtenrate jedoch durch verstärkte EinwanderungEinwanderung wettgemacht, so dass sich die BevölkerungBevölkerungsentwicklung auch weiterhin, wie schon zur Kolonialzeit, etwa alle 23 Jahre verdoppelte. Da das Durchschnittsalter der Einwanderer recht niedrig war, blieben die Amerikaner im internationalen Vergleich ein „junges“ Volk, was sicher zu ihrer Beweglichkeit und ihrem robusten Tatendrang beitrug.

      Wegen der napoleonischen Kriege waren von 1790 bis 1820 nur 250.000 Europäer in die USA eingewandert. Auch im Zeitraum von 1820 bis 1840 hielt sich der Zustrom mit 750.000 in Grenzen. Ab 1820 übernahm die Bundesregierung die „Buchführung“ und ließ sich die Zahlen aus den wichtigsten Einwanderungshäfen BostonBoston, New YorkNew York City, PhiladelphiaPhiladelphia, BaltimoreBaltimore und New OrleansNew Orleans melden. Die gesetzlichen Bestimmungen waren sehr günstig, denn der Naturalization ActEinwanderungsgesetzeNaturalization Act (1802) von 1802 sah lediglich eine Residenzpflicht von fünf Jahren vor, nach deren Ablauf NeuankömmlingeEinwanderungJunge Republik eingebürgert werden