Michael Benesch

Der Dialog in Beratung und Coaching


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Thema …

      So haben für mich die klassischen Rahmenbedingungen, unter denen Dialoge meist stattfinden und wie sie von vielen Autoren – nicht nur von David Bohm – kommuniziert werden, mittlerweile an Bedeutung eingebüßt. An ihre Stelle ist eine bestimmte „dialogische Grundhaltung“ gerückt, die von diesen Rahmenbedingungen nahezu unberührt bleibt. Dies ist sicher zu einem erheblichen Teil meinem gewachsenen Interesse an der Arbeit mit Hypnose sowie der psychologischen PSI-Theorie (Persönlichkeits-System-Interaktionen) von Julius Kuhl geschuldet, dessen Ansatz zur Erklärung der menschlichen Persönlichkeit ich aus zwei Gründen für enorm wichtig halte: Zum einen ist sie wissenschaftlich hochseriös, philosophisch sowie erkenntnistheoretisch außerordentlich spannend und zudem in vielen Bereichen empirisch fundiert. Zum anderen hat Kuhl aus vielen bekannten Theorien und Modellen das Beste genommen, in die PSI-Theorie integriert und daraus (v. a. in Zusammenarbeit mit Maja Storch) praktisch umsetzbare Prozesse abgeleitet. Ich halte es für bedauerlich, dass die PSI-Theorie in der universitären Lehre, zumindest in Österreich, noch nicht wirklich angekommen ist. Jedenfalls bildet sie die Grundlage (und viel mehr) für die Vernetzungen mit meinen eigenen beraterischen Erfahrungen und hypnosystemischen Zugängen, was bei der Lektüre des Kapitels über das DI•ARS-Modell für jeden sofort ersichtlich sein wird, der schon Bekanntschaft mit der PSI-Theorie gemacht hat. Ebenso hat mich die Arbeit von Manfred Prior sehr positiv beeinflusst, was sich wohl bei der Lektüre über die „Erleichterer“ in diesem Buch und in Kenntnis von Priors Werken und Seminaren unmittelbar erschließt.

      Das DI•ARS-Modell hilft mir dabei, meine Beratungs- und Coachingprozesse zu strukturieren und gleichzeitig wichtige dialogische Prinzipien in der Arbeit mit meinen Klienten nie außer Acht zu lassen. Aus diesem Grund nimmt es einen breiten Raum im Buch ein. Das ist das Schöne am Beraterberuf: Letztlich lernt man bei der Arbeit mit Menschen ständig dazu und durchlebt kontinuierlich Entwicklungsprozesse, was gerade aus dialogischer Sicht wesentlich ist für die Qualität der Arbeit. Wenn in der Literatur von der „Haltung des Lernenden“ die Rede ist, zielt dies genau darauf ab.

      Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle bei meinem alten Studienfreund Rudi Adamcyk für die kritische Durchsicht einiger Kapitel und wertvolle Anregungen, die mein Denken stets sehr bereichern, und bei Mag. Attila Amon, der bereit war, zwei Fallbeispiele zu Papier zu bringen, die darstellen, wie er das DI•ARS-Modell im Rahmen der Mitarbeiterführung praktisch einsetzt. Mein Dank gilt auch MMag. Dr. Sigrid Mannsberger-Nindl vom Facultas Verlag, die als verlässliche Ansprechpartnerin nun schon bei meinem vierten Buch den Entstehungsprozess im bestmöglichen Sinn unterstützt hat.

Waidhofen an der Thaya, im Mai 2020 Dr. Michael Benesch

       Anmerkung:

       Auf geschlechtergerechte Formulierungen wird im Text zur besseren Lesbarkeit verzichtet, personenbezogene Begriffe beziehen sich stets auf alle Geschlechter.

      Das Wort Dialog steht praktisch synonym für Unterredung, für mündliche oder schriftliche Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Personen, mit abgeleiteten Begriffen wie Monolog, Trialog oder Polylog. Bekannt ist der sogenannte Sokratische Dialog, dessen Ziel es ist, durch geschicktes Fragen dem Gegenüber dabei zu helfen, verborgene Erkenntnisse zu gewinnen, Verschüttetes an die Oberfläche zu befördern und so einer Problemlösung zugänglich zu machen. Man spricht von der Mäeutik, der Hebammenkunst, weil man – einer Hebamme gleich – neuen Gedanken zur Geburt verhilft.

      Zum Dialog, meist verbunden mit dem Namen David Bohm (und Martin Buber als Quelle für philosophische Grundlagen des Dialogs, wenngleich der US-amerikanische Physiker Bohm den Namen des jüdischen Religionsphilosophen Buber höchstwahrscheinlich gar nicht kannte), gibt es mittlerweile eine Reihe von Büchern, es werden Seminare und Ausbildungen angeboten, Dialog-Runden im öffentlichen wie privaten Raum und vieles mehr veranstaltet. Ein allgemein akzeptierter, einheitlicher Rahmen für den „Dialog“ ist nicht vorhanden, es gibt keine kongruente oder gar empirisch fundierte Theorie dahinter, sondern eben viele Zugänge aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Deshalb muss, möchte man sicherstellen, vom Gleichen zu sprechen, der Begriff Dialog definiert werden: Was versteht man darunter? Gibt es Rahmenbedingungen, unter welchen dialogisiert wird? Orientieren wir uns an dem sehr offenen Zugang von David Bohm oder blicken wir zu William Isaacs, der (am Massachusetts Institute of Technology in Boston) einen an den Begriff der Lernenden Organisation angelehnten Dialog-Zugang entwickelt hat?

      Hat man für sich eine Idee, eine einigermaßen konsistente Definition von „Dialog“ entwickelt, kann man nach Wegen suchen, diese Idee in eigenen Beratungsprozessen so umzusetzen, dass man – und dies ist besonders wichtig – zum einen authentisch mit der eigenen Persönlichkeit und zum anderen mit klaren, überlegten Zielen vor Augen willensstark den eigenen Weg als „dialogischer Berater“ zu gehen vermag.

      Dass es keine empirische „Dialog-Theorie“ gibt und somit auch jeder vollkommen frei ist, den Dialog in seinem Sinne zu verwenden, ist einerseits eine Chance, andererseits aber eben auch mit der Notwendigkeit verbunden, zunächst klarzustellen, was man unter Dialog versteht. Wer ein Dialog-Seminar bucht, kann sich in der Situation wiederfinden, unter freiem Himmel, bei Lagerfeuer und Tänzen der germanischen Muttergöttin Frigg zu huldigen oder auch in einem neutralen Besprechungsraum mit Flip-Chart und Beamer zu sitzen und sachlich dialogische Ideen, Ansätze, Prinzipien und Abläufe zu besprechen und einzuüben, mit dem Ziel, die Gesprächskultur im Unternehmen zu verbessern. Es kann sein, dass die Vertreter ersteren Zugangs das, was sich im Besprechungsraum abspielt, gar nicht als dialogisch in ihrem Sinn verstehen und vice versa. Oft liegen dem persönlichen Dialog-Begriff (auch implizite) Annahmen zugrunde, die – gar nicht dialogisch – verteidigt werden. Alles ist möglich, was auch gut ist, denn jeder Topf soll die Chance haben, seinen Deckel zu finden, und jeder kann sich frei entscheiden, in welche Richtung er gehen möchte. Die Welt ist vielfältig.

      Wie immer man den Dialog definieren möchte, es gibt wohl eine Reihe von Charakteristika, welche von den meisten Anwendern als zentral aufgefasst werden. Exemplarisch seien erwähnt: nicht durcheinander sprechen (egal, ob man ein Redesymbol verwendet oder nicht), alle Ansichten sind bedeutsam, man begegnet den anderen mit einem gewissen Respekt (auch wenn es manchmal schwerfällt), Buber’sche Gedanken vom Ich und Du werden zumindest gestreift und es sollen Denkprozesse sichtbar gemacht und nicht nur Meinungen verteidigt werden (was wiederum bedingt, dass man sich an gewisse Grundsätze in der Gesprächsführung hält).

      Dabei ist es überhaupt nicht von Bedeutung, ob zwei Individuen versuchen, miteinander „dialogisch“ umzugehen, oder ob es sich um eine Gruppe von 40 Personen handelt – oder ob man daran geht, dialogische Prinzipien auf sich selbst anzuwenden. Wesentlich ist das kreative, offene Kommunikationsfeld, das bis zu einem gewissen Maß das Unbestimmte, Unvorhersehbare, man kann sagen: das Chaotische, zulässt – natürlich innerhalb gewisser Grenzen.

      Der Mensch, so auch der Rat- oder Hilfesuchende, hat oft Angst vor dem unerforschten Gebiet, aber bringt (hoffentlich) die Neugier mit, es zu betreten, ebenso wie der Berater. In einem derartigen sozialen Interaktionsprozess muss eine Balance gefunden werden zwischen kreativem Chaos und geregelten Bedingungen. Wenn man glaubt, alles kontrollieren zu müssen, ist dies das Ende jedweder Kreativität. Der dialogische Zugang bedeutet auch die Suche nach dieser Balance zwischen dem angstmachenden, unerforschten, wilden Gebiet und der ordnenden, vertrauten, ritualgeprägten kulturellen Welt des Vorhersehbaren und Vertrauten.

      Im vorliegenden Buch werden zwei Ansätze verfolgt. Zum einen geht es um die „Psychologie des Dialogs“: um Denkprozesse, verzerrte Wahrnehmungen, soziale Einflüsse auf die Kommunikation, die Rolle von Intuition und Emotionen und dergleichen. Es ist wichtig, sich als Berater damit zu beschäftigen, welche Strukturen und Muster unserem Denken zugrunde liegen. Zum anderen werden Wege aufgezeigt, die einen Berater, der seine Tätigkeit dialogischer gestalten möchte, dabei unterstützen können. Das DI•ARS-Beratungsmodell liefert dafür eine Struktur, weil es den Berater immer wieder daran erinnert, sich Hypothesen zu bilden, die auch wieder verworfen werden können (und sollen, alleine schon deshalb, weil sich Menschen und Situationen verändern),