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Die Bilder Hyacinthe Rigauds, des Hofporträtisten Ludwigs XIV. von Frankreich (1643–1715), zeigen den König stets in Herrscherpose, ob mit Herrschermantel oder wie hier als Feldherr. Dabei wird das Bild eines heldenhaften Heerführers konstruiert, das rein der Repräsentation des Sonnenkönigs dient, ihn gleichsam von den kämpfenden Massen im Hintergrund abhebt. Er allein steht im Zentrum. Bedenkt man, dass Ludwig XIV. gerade in seiner zweiten Regierungshälfte nicht mehr selbst in den Krieg zog, so wird deutlich, dass es hier nich um eine reale Szenerie gehen kann. Das Bild entspricht aber auch aufgrund des Wissens über seine um diese Zeit schon weit fortgeschrittene Entstellung durch eine Syphilis-Erkrankung mit Sicherheit nicht der Realität.
Abb 5 Johann Wilhelm Völker: Politischer Damenclub – Karikatur (1848), Federzeichnung
Die Revolutionen von 1789 und 1848 wurden in erster Linie von Männern getragen; die geforderten Bürgerrechte bezogen sich ebenfalls in erster Linie auf Männer. Nichtsdestotrotz regten sich sowohl während der Französischen Revolution als auch im Jahr 1848 immer mehr weibliche Stimmen, die politische Mitsprache für Frauen forderten. Die gegen eine politische Partizipation von Frauen gerichtete Zeichnung [<<33] arbeitet mit den typischen Mitteln der Karikatur. Stereotype Zuschreibungen an Personen(gruppen), in diesem Fall die politisch aktiven Frauen, werden überzeichnet dargestellt: Frauen seien zu keiner konstruktiven politischen Debatte fähig, sie verletzen ihre mütterlichen Pflichten, Wollknäuel und ein Buch mit dem Titel „Stunden der Andacht“ liegen achtlos am Boden, einige sehen die Veranstaltung als Kaffeekränzchen, Flugblätter mit Parolen wie „Kein Mann darf ohne die Frau ausgehen“, „Keine Schläge mehr“ oder „Jeder Man(n) muß heyratten“ werden in die Höhe gehalten.
Literatur
Brocks, Christine: Bildquellen der Neuzeit. Historische Quellen interpretieren (UTB 3716 M), Paderborn 2012.
Burke, Peter: Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen, Berlin 2003.
Gräf, Holger Th.: Historische Bildkunde. Eine Hilfswissenschaft zwischen Kunstgeschichte und Bildwissenschaft?, in: Archiv für Diplomatik 54 (2008), 379–398.
Jäger, Jens: Photographie. Bilder der Neuzeit. Einführung in die Historische Bildforschung (Historische Einführungen 7), Tübingen 2000.
Jäger, Jens; Knauer, Martin (Hg.): Bilder als historische Quellen, Paderborn 2009.
Langemeyer, Gerhard u. a. (Hg.): Bild als Waffe. Mittel und Motive der Karikatur in fünf Jahrhunderten. Katalog der Ausstellung im Wilhelm-Busch-Museum Hannover vom 7. Oktober 1984 bis 2. Januar 1985, München 1984.
Pandel, Hans-Jürgen: Bildinterpretation. Die Bildquelle im Geschichtsunterricht. Bildinterpretation I (Methoden Historischen Lernens), Schwalbach 2008.
Panofsky, Erwin: Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung in die Kunst der Renaissance, in: Panofsky, Erwin (Hg.), Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, 2. Aufl., Köln 1996 (Erstveröffentlichung 1939), 36–67.
Roeck, Bernd: Das historische Auge. Kunstwerke als Zeugen ihrer Zeit. Von der Renaissance zur Revolution, Göttingen 2004.
Sauer, Michael: Bilder im Geschichtsunterricht, Seelze-Velber 2000.
Talkenberger, Heike: Von der Illustration zur Interpretation. Das Bild als historische Quelle. Methodische Überlegungen zur Historischen Bildkunde, in: Zeitschrift für historische Forschung 21 (1994), 289–313.
Wohlfeil, Rainer: Methodische Reflexionen zur Historischen Bildkunde, in: Tolkemitt, Brigitte; Wohlfeil, Rainer (Hg.): Historische Bildkunde. Probleme – Wege – Beispiele (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 12), Berlin 1991, 17–35. [<<34]
3.6 Dingliche Quellen
Ein Überblick über die große Bandbreite von gegenständlichen Quellen, die als mögliche historische Quellen infrage kommen, kann und soll hier nicht geboten werden. Grundsätzlich kann je nach Fragestellung praktisch alles Dingliche, jede Realie, zur Quelle werden. Grundsätzlich lassen sich aber folgende Großgruppen unterscheiden:
Bauwerke und Reste davon geben Auskunft über frühere Wohnverhältnisse, über Formen der Repräsentation, etwa in Form von prunkvollen Schlössern, oder aber auch über die jeweiligen Geisteshaltungen der Zeit. Romanische Kirchen aus dem Hochmittelalter sind häufig in der Form von trutzigen Gottesburgen erbaut, während die grazilen gotischen Kichen aus dem Spätmittelalter mit ihren in der Regel meist sehr hohen Kirchtürmen den Blick in Richtung Himmel lenken, im Inneren aber mit ihren Lichtdurchstrahlten bunten Glasfenstern einen Vorgeschmack auf das himmlische Jerusalem geben sollen. Die katholischen Barockkirchen des 17. und 18. Jahrhunderts wiederum betonen mit ihrer Verspieltheit und dem umfassenden Kirchenschmuck ein Lebensgefühl, das von dem Bestreben geprägt war, in einem nicht nur religiösen Sinne das Jetzt zu feiern, gerade in Anbetracht von Kriegen und Seuchen. Die Kirchen der reformierten Kirchen hingegen weisen eine betonte Schlichtheit auf: Kirchenschmuck fehlt fast völlig, mit Ausnahme der Orgel. Die historische Bauforschung wird in erster Linie von kunst- und architekturgeschichtlichen Fragestellungen geprägt, die sich vermehrt auch naturwissenschaftlicher Methoden bedient, etwa bei der Verwendung der Radiokarbonmethode zur Datierung des verwendeten Bauholzes.
Menschliche und tierische Überreste bilden eine zweite Gruppe der „dinglichen“ Quellen. Besonders die Archäologie und die Anthropologie beschäftigen sich mit den Knochenfunden, doch sind die Ergebnisse auch aus historischer Sicht interessant: Sie geben Auskunft über die Besiedlungsgeschichte einer Region, besonders wenn schriftliche Quellen dazu weitgehend fehlen (etwa für das Frühmittelalter), sie lassen aber auch Rückschlüsse auf die Körpergröße der Menschen zu, ebenso auf deren Krankheiten und Verletzungen. Massengräber von Pesttoten lassen auf die Dimensionen der Seuche schließen, solche von Kriegstoten auf Gräueltaten, die mitunter in den schriftlichen Quellen verschwiegen oder verschleiert wurden. Tierknochen von (Haus-)Tieren deuten auf die entsprechenden Ernährungsgewohnheiten hin, zeigen aber auch, dass besonders die Großhaustiere wie Rinder, Pferde oder Schweine bis in die Frühe Neuzeit in der Regel deutlich kleiner waren als heute.
Dinge des täglichen Gebrauchs können noch in situ (an Ort und Stelle) oder an anderen Orten (z. B. Museen) in vollständig erhaltener oder fragmentarischer Form vorliegen. Dazu gehören etwa Mobiliar, Schmuck, Geschirr, liturgisches Gerät, Textilien, [<<35] Werkzeuge, technische Geräte etc. Da all diese Gegenstände bestimmten Stilen und Moden unterliegen, können sie in der Regel auch zeitlich näher eingegrenzt werden. Häufig stehen nicht allein der tägliche Gebrauch und der praktische Nutzen im Vordergrund, sondern es geht auch um die Konstitution der sozialen Klasse oder den Ausdruck eines bestimmten Lebensgefühls.
Auch die natürliche Umwelt kann im weitesten Sinne als „dingliche“ Quelle aufgefasst werden: Reste von Altstraßen oder einstigen Kanalprojekten wie der Fossa Carolina, einem Projekt Karls des Großen, das Flusssystem der Donau mit dem des Rheins zu verbinden, finden sich ebenso im Landschaftsprofil wie solche früherer Naturkatastrophen. Gerade innerhalb der Umweltgeschichte geht es darum, die Landschaft „zu lesen“. Damit ist gemeint, dass sich z. B. frühere landwirtschaftliche Nutzungsformen, etwa die Aufteilung von Feldern, mitunter noch heute ablesen lassen, insbesondere aus der Luft.
Der Bereich der dinglichen Quellen macht in besonderem Maße deutlich, dass der Begriff der „Historischen Hilfswissenschaften“ fließend und fachlich übergreifend ist. Im konkreten Fall bedürfen die zeitliche, räumliche und stilistische Einordnung sowie die Interpretation der Zusammenarbeit vieler Disziplinen, neben der Geschichtswissenschaft auch der Archäologie und ihrer naturwissenschaftlichen Nachbarwissenschaften, der Ethnologie, der Anthropologie, der Kunstgeschichte und anderer Disziplinen. Jede Einzeldisziplin fungiert dabei auch gleichzeitig als „Hilfswissenschaft“ für die Nachbardisziplinen, ohne dass damit irgendeine Wertigkeit ausgedrückt wird. In interdisziplinären