über sich selbst aus? Aus dem Beispieltext ist etwa zu erfahren, dass der Autor Italiener ist, weil er von Italienisch als „unserer Sprache“ spricht. Er hat zudem deutliche Ressentiments gegenüber den „barbarischen“ Burgbewohnern im heutigen Südtirol, ein häufiges Merkmal humanistischer Autoren gegenüber Nicht-Italienern, analog zur Einschätzung der Nichtrömer durch die antiken Römer. Am Latein des Originaltextes ließe sich auch erkennen, dass der Mann hoch gebildet ist.
3. Beziehung: Zwischen dem Sender und dem Empfänger bzw. den Empfängern herrscht in der Regel eine Beziehung, die übergeordnet, untergeordnet, gleichrangig, belehrend, etc. sein kann. Im Beispielstext ist von einer Gleichrangigkeit von Sender und Empfänger auszugehen, doch sind belehrende Elemente durchaus enthalten.
Deutlicher wird eine Über- bzw. Unterordnung in Urkunden sowie allgemein im Verwaltungsbereich. Wenn ein Kaiser seine Urkunden mit der Nennung seines vollen Titels beginnt, der sich über viele Zeilen ziehen kann, dann drückt er damit seine ganze Machtentfaltung gegenüber seinen Untertanen oder anderen Herrschern aus (siehe im Kapitel 4.3.1 das Beispiel mit dem Titel Kaiser Josephs II.). Derselbe Herrscher schreibt hingegen an seine Familienmitglieder auf gleicher Ebene und beginnt daher seine Schreiben nicht mit dem Titel, sondern etwa mit „Mein lieber Bruder“. Umgekehrt machen sich Bittsteller noch kleiner gegenüber dem Herrscher, um damit auf mehr Gunst und Gnade hoffen zu können. Sie reden den Herrscher mit „Großmächtigster Kaiser“ etc. an und schreiben von sich als „Euer alleruntertänigster Diener“. Selbst die Unterschrift unter ein Bittgesuch wird häufig [<<18] nicht direkt unter den Text gesetzt, sondern klein am unteren Seitenrand, der freie Platz auf der letzten Seite vom Textende bis zur Unterschrift wird mit einem langen, sogenannten Devotionsstrich ausgefüllt. Damit wird die Unterordnung auch optisch deutlich erkennbar.
4. Appell: Je nach Quellengattung ist der Appell eines Textes deutlicher oder weniger deutlich erkennbar. Was soll der Empfänger an Informationen erhalten? Wie soll er sein weiteres Handeln darauf abstimmen? Leonardo Bruni warnt jedenfalls in seinem Reisebericht vor den schreckenerregenden Barbaren nördlich von Trient, die ihm das Gefühl vermitteln, durch Feindesland zu reisen. Am klarsten ist der Appell etwa in politischen Manifesten oder agitatorischen Flugblättern zu erkennen.
Schriftliche Quellen bilden somit nicht die Vergangenheit ab, sondern sie konstruieren ein Bild von der Vergangenheit, das durch zahlreiche Faktoren geprägt ist. Jede Quelleninterpretation – und die Intentionsanalyse ist nur ein Zugang von mehreren – muss daher danach trachten, diese Konstruktion zu hinterfragen und, wenn nötig, zu dekonstruieren. Es ist gerade bei Schriftquellen, in denen der Autor seine eigene Zeit oder seine eigene Umgebung auf eine andere projiziert, zu unterscheiden, was damit konkret über die beschriebenen Ereignisse und Menschen ausgesagt wird und was eher über die Zeit und das Umfeld des Autors. Wenn also Gaius Julius Caesar in seinem berühmten Bericht „De bello Gallico“ (Über den gallischen Krieg) von den Sitten und Göttern der Gallier und Germanen schreibt, dann sind darin mitunter mehr Vorstellungen seiner eigenen Welt repräsentiert als aus der der beschriebenen Völker.
Literatur
Brauer, Michael: Quellen des Mittelalters. Historische Quellen Interpretieren (UTB 3894 M), Paderborn u. a. 2013.
Rohr, Christian: Zur Wahrnehmung von Grenzen im 15. Jahrhundert. Leonardo Brunis Bericht über seine Reise von Verona nach Konstanz 1414 (Epist. 4,3), in: Aichhorn, Ulrike; Rinnerthaler, Alfred (Hg.): Scientia Iuris et Historia. Festschrift für Peter Putzer zum 65. Geburtstag, 2 Bände, München 2004, Band 2, 869–901.
Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden, Band 1: Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation, 48. Aufl. (Rowohlt Sachbuch 61151), Reinbek bei Hamburg 2010. [<<19]
3.3 Das Problem der Quellensprachen:
Mittel- und Neulatein, Volkssprachen
Das Latein des Mittelalters und der Frühen Neuzeit unterscheidet sich in vielen Punkten vom klassischen Latein. Es sollen daher im Folgenden kurz einige Unterschiede aufgezeigt werden, die für die Lektüre mittelalterlicher Schriften vonnöten sind.
Schon in der Spätantike vollzog sich unter dem Einfluss der lateinischen Bibelübersetzungen, v. a. der sogenannten Vulgata, einer Übersetzung des Kirchenlehrers Hieronymus aus dem späten 4. Jahrhundert, und der Literatur der Kirchenväter eine Reihe von Weiterentwicklungen im lexikalischen und grammatikalischen Bereich. Dieses christlich geprägte Spätlatein ist die Basis des „Mittellateins“. Unter diesem Begriff ist die Gesamtheit der durchaus unterschiedlichen Ausprägungen der lateinischen Sprache im Mittelalter subsumiert. „Das Mittellatein“ gibt es also nicht – ein Umstand, aus dem auch das langjährige Fehlen einer umfassenden mittellateinischen Grammatik resultiert. Erst die neuen Publikationen von Mantello und Rigg bzw. von Stotz können diese Lücke auf Dauer befriedigend füllen.
Das Latein der Spätantike verfiel in der unruhigen Zeit der Merowingerherrschaft im Frankenreich zusehends. Allein der irisch-angelsächsische Bereich und einige Klöster am Kontinent bildeten „Bildungsinseln“. Erst Karl der Große ging daran, die lateinische Sprache auf der Basis des spätantiken Lateins zu restituieren, und rief deswegen die bedeutendsten Gelehrten der damaligen Zeit (Alkuin, Paulus Diaconus, Petrus von Pisa, Theodulf von Orléans und andere) an seinen Hof. Dabei wurde nicht nur eine neue Schrift, die Karolingische Minuskel, geschaffen, sondern auch eine „mittellateinische“ Kirchen- und Verwaltungssprache, die allerdings vom gemeinen Volk oft nicht mehr verstanden wurde. In dieser Zeit entwickelten sich in der Bevölkerung das Althochdeutsche und das Altfranzösische als eigenständige Sprachen heraus, während das Mittellatein vor allem in den Klöstern gesprochen wurde. Diese Mittelstellung zwischen gesprochener Sprache und vorwiegend schriftlich verwendeter Bildungssprache wurde durchaus treffend vom Mittellateiner Karl Langosch umschrieben, der das Mittellatein als „die Vatersprache des Mittelalters“ bezeichnete.
Ein erstes Problem bildet der Wortschatz des Mittellateins: Schon in der Bibelübersetzung des Hieronymus und bei den Kirchenvätern der Spätantike finden sich zahlreiche Neuschöpfungen von Wörtern. Sie werden im Mittelalter durch viele weitere Wörter ergänzt, die ihre Wurzel in den germanischen oder romanischen Sprachen haben: So stammt z. B. feudum = Lehen, aus dem Germanischen; faltstuol = althochdeutsch für Klappsessel, wird latinisiert zu faldistolium, das wiederum ins Französische aufgenommen und zum fauteuil wurde. Im Spätmittelalter, besonders durch die philosophische [<<20] Strömung der Scholastik, kamen zusätzlich Neuschöpfungen hinzu. Außerdem waren viele Wörter einem Bedeutungswandel unterworfen, z. B. comes, klassisch „Begleiter“, mittellateinisch „Graf“ u. v. a. m.
Aus der „Explosion“ mittellateinischer Wortschöpfungen resultiert das Problem eines Lexikons des Mittellateins: Das einzige ausführliche Lexikon von Du Cange stammt ursprünglich aus dem 17. Jahrhundert und liegt heute in der Überarbeitung aus dem späten 19. Jahrhundert vor. Die Begriffe werden dabei nur lateinisch umschrieben. Das einzige modernere Handwörterbuch von Niermeyer führt jeweils eine englische und französische Übersetzung an, in der neuesten Ausgabe zusätzlich auch eine deutsche. Das „Mittellateinische Glossar“ von Habel und Gröbel taugt lediglich für einen ersten Einstieg; die gängigen lateinisch-deutschen Schulwörterbücher (Stowasser, Langenscheidt) berücksichtigen in ihren letzten Überarbeitungen erstmals einige wenige mittellateinische Texte. Die großen Unternehmungen zur Erstellung von mittellateinischen Lexika zeichnen sich vornehmlich dadurch aus, unvollständig zu sein, wobei die Fertigstellung – gerechnet nach dem derzeitigen Fortschreiten der Arbeiten – noch viele Jahrzehnte dauern könnte. Das von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegebene Mittellateinische Wörterbuch hat nach knapp 50 Jahren immerhin die Buchstaben A bis H bewältigt.
Ein weiteres Problem bildet die uneinheitliche Orthographie des Mittellateins: Buchstaben wurden besonders in merowingischer Zeit häufig vertauscht (e/i, o/u, b/v); ae wurde seit dem Hochmittelalter immer häufiger als e-caudata (ę – e mit einem Schwänzchen), ab dem 12. Jahrhundert fast ausschließlich