Kontext ist auch von Bedeutung, wer das Bild überhaupt zu Gesicht bekam, wie es zur Zeit seiner Herstellung gesehen wurde und wie in späteren Zeiten. Ähnlich wie viele schriftliche Quellen hat auch das Bild eine Funktion als Kommunikationsmittel und war in liturgischer, didaktischer, sozialer, rechtlicher oder propagandistischer Funktion an bestimmte Adressaten gerichtet.
Bei der Ikonologie geht es um eine tiefer reichende Interpretation vor dem historischen, kunsthistorischen und geistigen Hintergrund. Was wissen wir über das Umfeld, d. h. was bedeutet es etwa, wenn in einer Zeit, in der es nur geistliche Themen in der Kunst gab, plötzlich ein Herrscher oder bäuerliche Szenen dargestellt werden? So ist es etwa kein Zufall, dass die Fotographie gerade im „bürgerlichen Zeitalter“, also in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ihren Aufstieg nahm, zumal das Fotoporträt gleichsam zu einem konstituierenden Faktor des Bürgertums wurde.
Warum werden bestimmte Themen in bestimmten Zeiten modern? So erfreute sich die Nibelungensage im Zeitalter des aufkommenden Deutschnationalismus großer Popularität, von der Oper bis hin zur Historienmalerei, die ein für alle Mal das Bild der blonden, blauäugigen Hünen in die Köpfe der Menschen brachte und schließlich vom Nationalsozialismus begeistert aufgenommen wurde.
Ein relativ neuer Ansatz ist die serielle Ikonologie, die eine größere Anzahl an Bildern auf bestimmte Motive hin untersucht. Welche Elemente dürfen etwa in der Abbildung einer Naturkatastrophe unter keinen Umständen fehlen? Auch die Analyse der Bilder auf Briefmarken fällt in diese Kategorie: Briefmarken in totalitären Regimes, z. B. im Nationalsozialismus oder im italienischen Faschismus, enthalten [<<27] sehr eindeutige politische Botschaften, aber auch in Demokratien spiegelt sich die offizielle Politik wider: Anhand der österreichischen Briefmarken zwischen 1945 und 2000 ist der Proporz der beiden Großparteien ÖVP und SPÖ leicht ablesbar. Themen wie der Widerstand gegen das NS-Regime oder Frauenfragen wurden lange Zeit nicht thematisiert. In Deutschland waren nach dem Zweiten Weltkrieg die Bundespräsidenten auf Dauermarken zunächst omnipräsent, später waren es berühmte Frauen aus der deutschen Geschichte, jetzt sind es unverfängliche Blumen. Das Thema Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime tauchte mehr als 30 Jahre früher auf als in Österreich.
Die Tendenz oder Funktion eines Bildes ist heute oft nur mehr sehr schwer nachvollziehbar. So las man die berühmten Höhlenmalereien in Lascaux, Frankreich (ca. 15.000 v. Chr.) lange Zeit als Jagdbeschwörungen, als Dank für eine erfolgreiche Jagd oder eine Bitte um ebendiese. Man weiß heute aber aus archäologischen Funden aus dieser Zeit, dass die dargestellten Tiere, v. a. Rinder und Pferde, nicht oder nur am Rande gejagt wurden, die Jagdtiere der damaligen Zeit, v. a. Rentiere, aber fast nie dargestellt wurden. Wie sich die Malereien heute deuten lassen, muss somit weitgehend unklar bleiben.
Das Thema Repräsentation spielte zu allen Zeiten eine wichtige Rolle. Renaissance- und Barock-Paläste sind mit der Apotheose (Vergöttlichung) der Herrscher geschmückt. Kaiser Karl VI. befindet sich im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien ebenso im Himmel wie George Washington in der Kuppel des Kapitols in Washington. Häufig wird zu diesem Zweck auch an ältere Traditionen angeknüpft: So sind die Fußbodenmosaike vor dem Stadio Olimpico in Rom den schwarz-weißen Mosaiken der antik-römischen Hafenstadt Ostia nachempfunden, nur ließ Mussolini keine kämpfenden Gladiatoren, sondern moderne Soldaten mit Maschinengewehren, Kampfflugzeugen etc. darstellen. Dies gilt analog auch für gegenständliche Quellen. Das Mausoleum des Mustafa Kemal Pascha, genannt Atatürk, weist eine Promenade auf, die mit Löwen im Stil der antik-hethitischen Hochkultur geschmückt sind; damit rückte er den neuen türkischen Staat bewusst von den islamisch-osmanischen Kulturen davor ab. Auch Details können Repräsentation veranschaulichen. In der Kirche Santi Quattro Coronati in Rom sind der spätantike Kaiser Konstantin der Große und Papst Silvester dargestellt, wobei der Kaiser als Steigbügelhalter des Papstes fungiert. Im hochmittelalterlichen Streit, ob der Papst oder der Kaiser eine höhere Stellung innehabe, sollte der Hilfsdienst des Kaisers dessen Unterordnung unter den Papst deutlich machen.
Bilder dienten in vielen Epochen auch dazu, Kritik an den herrschenden Zuständen auszudrücken. Dies kann entweder (weitgehend) realistisch geschehen, etwa durch die [<<28] Darstellung des Grauens im Krieg, oder auch in überzeichneter Form als Karikatur. Dabei werden typische Merkmale einer Person, stereotype Zuschreibungen zu einer Personengruppe oder Zustände übertrieben, aber für den Betrachter klar verständlich dargestellt. Die Kritik einer Karikatur kann zu einem reflektierten Nachdenken über einen Sachverhalt anregen oder aber auch nur den/die Kritisierten in ein negatives Licht rücken.
Bildliche Darstellungen können aber auch als Abschreckung bzw. Sozialdisziplinierung fungieren. So wurde gerade im Hoch- und Spätmittelalter an vielen Kirchenportalen das Jüngste Gericht abgebildet: Christus ist dabei als Weltenrichter in der Mitte abgebildet, während zu seiner Rechten (aus der Sicht des Betrachters links) die Rechtschaffenen, Auserwählten den himmlischen Freuden entgegenblicken, während auf der anderen Seite drastische Höllendarstellungen zu sehen sind.
Beispiele:
Abb 1 Teppich von Bayeux (2. Hälfte 11. Jahrhundert), Ausschnitt, gewebter und bestickter Teppich
Beim Wandteppich von Bayeux handelt es sich um eine Stickerei auf Leinwand mit verschiedenfarbigem Wollgarn. Dieses Werk wurde sehr wahrscheinlich von einem angelsächsischen Atelier ausgeführt und zwar auf Wunsch von Odon de Conteville, Bischof von Bayeux sowie Halbbruder von Wilhelm dem Eroberer. Der über 70 Meter lange und 50 cm hohe Wandteppich schildert die Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer, beginnend im Jahr 1064 bis zur Entscheidungsschlacht von Hastings 1066. Der Ausschnitt zeigt in Comicstrip-artiger Form die Zubereitung eines Mahls sowie das Festmahl selbst. Von besonderem historischem Interesse sind die abgebildeten Kleidungsstücke, aber auch die zubereiteten Speisen. Besonders in den adeligen Schichten gehörte der Verzehr gebratenen Fleisches zu einem konstituierenden Element. Das Mahl selbst stiftete Solidarität und nahm daher bei jedem Fest oder bei Vertragsabschlüssen eine wichtige Funktion ein. [<<29]
Abb 2 Derick Baegert: Der Evangelist Lukas als Maler, im Hintergrund Darstellung einer Bürgerstube und einer Stadt (1485/1490), Tafelbild
Der Evangelist Lukas wurde von den Malern als Patron verehrt, war er doch der Legende nach der Erste, der ein Marienbild gemalt hatte. Darstellungen dieser Legende geben dem Künstler nicht nur die Möglichkeit, den Bereich gehobenen bürgerlichen Wohnens zu schildern, sondern auch Gelegenheit, Maler bei der Arbeit zu zeigen. Sowohl die Kleidung als auch das Interieur des Raumes entsprechen dem großbürgerlichen Milieu des ausgehenden 15. Jahrhunderts und nicht der biblischen Zeit. Auch die städtische Straßenszene, die durch das geöffnete Fenster sichtbar ist, weist vom Baustil in diese Zeit. Bilder wie dieses können daher in erster Linie als Quellen für das Leben in einer spätmittelalterlichen Stadt gelesen werden. [<<30]
Abb 3 Karikatur „Ego sum Papa“ – Ich bin der Papst (um 1500), Holzschnitt [<<31]
Die Karikatur zeigt den Papst Alexander VI. Er trägt die Tiara als das Zeichen des Hauptes der Christenheit. Über das grinsende, mit scharfen Hauern besetzte Maul ragt ein spitzer, gebogener Doppelschnabel. Seitlich vom Kopf stehen Schweinsohren ab. Darüber wachsen gebogene Widderhörner. Auf dem Oberkörper befindet sich ebenfalls eine Fratze mit scharfem Schnabel. Die Hände sind Klauen, an denen sich Krallen befinden. Statt des Krummstabes hält der Papst einen gebogenen Zweizack in der Hand, an dem eine Henkerschlinge befestigt ist. Die Karikatur stellt den Papst als Antichrist dar. Sie will den Papst als eine Person vor Augen führen, die Hass und Verachtung verdient. Deckt man die obere Hälfte des Bildes ab, ist der Papst ein frommer Kirchenmann, betrachtet man nur die obere Hälfte, ist er der Teufel in Person. Bilder wie dieses spiegeln deutlich den Hass wider, der am Vorabend der Reformation dem Papsttum bzw. den höchsten Kirchenvertretern entgegengebracht wurde.