Reinhilde Stöppler

Einführung in die Pädagogik bei geistiger Behinderung


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href="#ulink_b225dd2d-2fce-5047-840d-4d194d39d2ff">Kap.1.3).

      Vielfältige Sichtweisen und Beschreibungen von schwerster Behinderung

      „Schwerstbehindert nennen wir ein Kind, wenn es absehbar nicht in der Lage sein wird, die vergleichbaren Leistungen eines gesunden Säuglings von 6 Monaten zu erreichen“ (Fröhlich 1978, 43).

      „Menschen mit schwerster geistiger Behinderung benötigen bei der Selbstversorgung und im Alltag immer fremde Hilfe, obwohl sie einige Teilfähigkeiten besitzen können. Sie können i. d. R. nicht sprechen und verstehen nur Aufforderungen und Anweisungen. Problematische Verhaltensweisen, wie z. B. Selbst- / Fremdverletzung, Schreien, Stereotypien treten gehäuft auf. Soziale Kontakte zu anderen Menschen und das Mitteilen von Gefühlen und Bedürfnissen können nur aufgrund individueller Zuwendung und dauerhafter Beziehung erfolgen. Es besteht erhöhter Versorgungsbedarf“ (Holtz / Nassal 1999, 92).

      1. „ Menschen mit schwersten Entwicklungsbeeinträchtigungen benötigen eine besondere Pflege und eine spezielle Förderung. Diese sollen ihnen erlauben, möglichst wenig Schmerzen zu erleiden, Angst zu vermeiden und Zufriedenheit zu empfinden.

      2. Unmittelbarer Kontakt zu beruflichen und persönlichen Bezugspersonen soll aufgebaut und ermöglicht werden.

      3. Sie sind in ihrer Männlichkeit oder Weiblichkeit als Individuen zu berücksichtigen.

      4. Die eigene Geschichte, die Berücksichtigung von Vorleben und Abneigungen fördern den Respekt der Bezugspersonen; ihr Bedürfnis nach Intimität und Rückzug verlangt Anerkennung.

      5. Sie müssen in ihrer eigenen ‚Sprache‘ angesprochen werden, d. h. Nähe und Berührung finden Eingang in den Pflege- und Förderprozeß.

      6. Krankheitsbilder und Behinderungsarten stehen nicht mehr im Vordergrund; ebenso wenig darf eine Orientierung am Durchschnitt bzw. an festgelegten Normen das Handeln der Pflegenden und Fördernden primär bestimmen“ (Fröhlich et al. 1997, 12f.)

      „Von Menschen mit Komplexer Behinderung spricht man, wenn deren Lebenswirklichkeit durch einen Großteil der folgenden Kriterien bestimmt ist: Sie

      • bringen ihre eigenen Vorstellungen, Wünsche und Bedürfnisse wie ihre Ansprüche unzureichend zum Ausdruck.

      • verfügen meist über keine Verbalsprache.

      • sind in besonderem Maße von der Zuwendung der Bezugsperson abhängig.

      • sind in der Einrichtung häufig mit unqualifiziertem Personal und unprofessionellem Verhalten konfrontiert.

      • zeigen abweichendes, aggressives oder selbstverletzendes Verhalten, was zum Ausschlusskriterium wird.

      • werden der Rolle des Störers zugewiesen, die die eigene Identität beeinflusst.

      • machen im Laufe ihres Lebens verstärkt Erfahrungen des ‚Scheiterns‘ sowie des Abbruchs sozialer Beziehungen.

      • sind häufig wechselnden und nicht koordinierten medizinischtherapeutischen und pädagogisch-psychologischen Interventionen ausgesetzt.

      • sind in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt, als Pflegefälle abgestempelt und aus der Behindertenhilfe (Eingliederungshilfe) ausgeschlossen zu werden.

      • sind in Einrichtungen häufig Gewalterfahrungen ausgesetzt.

      • bilden eine heterogene Gruppe mit gleichen Exklusionserfahrungen“ (Fornefeld 2008, 58).

      Zusammenfassung

      Zusammenfassend kann gesagt werden: Menschen mit schwersten Behinderungen unterscheiden sich von Menschen mit geistiger Behinderung dadurch, dass sie – neben der geistigen Beeinträchtigung – weitere Beeinträchtigungen in Bereichen wie Motorik, Kommunikation etc. aufweisen. Diese Komplexität der Beeinträchtigung lässt langfristige umfassende Begleitung und Unterstützung notwendig werden und erschwert die gesellschaftliche Partizipation erheblich.

      3.2.2 Aktuelle Förderkonzepte

Basale Stimulation
Entstehung:Andreas Fröhlich (1977) / Sonderpädagoge; erstes Konzept zur Arbeit im Unterricht mit schwersten Behinderungen
Zielgruppe:ursprünglich: SchülerInnen mit schwersten Behinderungenheute: Personen, die in den Bereichen Eigenerfahrung, Eigenbewegung und Auseinandersetzung mit der Umwelt auf Hilfe angewiesen sind; wird in Frühförderung, Schulen, Altenund Krankenpflege eingesetzt(Burkhart 2004, 121)
Ziele:Vermittlung primärer Körper-, Bewegungs- und Alltagserfahrungen; Aufbau von sozialen Beziehungen; Förderung der Kommunikation in Alltagssituationen
Theoretische Grundlagen:3 P-Modell: Neurophysiologie Pechstein; Physiotherapie nach Bobath; Piagets Entwicklungstheorie(Fröhlich 2004, 149)
Praktische Anwendung:Stimulation als Aktivität des / der PädagogIn / TherapeutIn, die dem Kind Anreize geben soll, sich mit sich und der Umwelt zu beschäftigen(Fröhlich 2004, 149);Anwendung zunächst in drei Grundbereichen, die an pränatale Erfahrungen anknüpft:
somatische Stimulation: Wahrnehmung der Haut als Begrenzung des Körpers zur Umwelt
vibratorische Stimulation: Wahrnehmung von Schwingungen
vestibuläre Stimulation: Wahrnehmung von Gleichgewichtdarauf aufbauend:
visuelle Stimulation
auditive Stimulation
gustatorische Stimulation
olfaktorische Stimulation
Kommunikation und Selbstorganisation – mimisch-stimmliche Zuwendung, Lautimitation etc.
Basale Kommunikation
Entstehung:Winfried Mall (1978) / Heilpädagoge
Zielgruppe:Menschen mit schwersten Behinderungen, autistischem Verhalten, Demenz, Wachkoma
Ziele:Herstellung einer kommunikativen Situation bei Personen mit eingeschränkter Kommunikation
Theoretische Grundlagen:Kommunikationstheorie Watzlawick; Funktionelle Entspannung nach Fuchs; Integrative Gestalttherapie nach van Vugt / Beesens
Praktische Anwendung:Aufbau eines gemeinsamen Atemrhythmus, indem PädagogIn hinter dem Kind sitzt, sich in Atemrhythmus einfühlt, nachahmt und variiert (Mall 2008)
Basale Aktivierung
Entstehung:Manfred Breitinger / Dieter Fischer (1980) / Pädagogen
Zielgruppe:SchülerInnen mit schwersten Behinderungen, die sich „noch in einem Vorfeld, sowohl zur funktionalen Ertüchtigung als auch zur Umwelterschließung“ befinden(Breitinger / Fischer 1993, 285)
Ziele:Herstellung einer Basis, von der aus für jede / n SchülerIn individuelle, weiterführende Ziele umgesetzt werden können(Breitinger / Fischer 1993, 160f.);Verbesserung der individuellen Lebenssituation und Identitätsstiftung durch Aktivierung
Theoretische Grundlagen:Lerntheorie: Aktivität als Voraussetzung für Lernen
Praktische Anwendung:Orientierung des Unterrichtsgeschehens an lebensbedeutsamen Inhalten und Zielen; Berücksichtigung der Prinzipien: Komplexität und Mehrschichtigkeit der Ziele, Wiederholung und Stetigkeit des Lernangebots, Offenheit der Lernwege, Vielfalt der Interaktionsmöglichkeiten
Sensorische Integration
Entstehung:Jean