Jörg Reinhardt

Grundkurs Sozialverwaltungsrecht für die Soziale Arbeit


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Bundes- als auch auf der Landesebene.

      Übersicht 3

      Unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung

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      Körperschaften des öffentlichen Rechts

      Im Bereich des Sozialrechts kommt den Körperschaften eine besonders wichtige Rolle zu. Letztlich wird fast das gesamte Sozialversicherungsrecht durch Körperschaften des öffentlichen Rechts verwaltet. Hierzu gehören

      • die gesetzlichen Krankenkassen, welche die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V) erbringen (§ 21 Abs. 2 SGB I),

      • die bei den Krankenkassen errichteten Pflegekassen für die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach dem SGB XI (§ 21a Abs. 2 SGB I),

      • die Unfallkassen für die gesetzliche Unfallversicherung nach dem SGB VII (§ 22 Abs. 2 SGB I) sowie

      • die Rentenversicherung Bund (und weitere Stellen, vgl. § 23 Abs. 2 SGB I) für die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung (SGB VI).

      Körperschaften sind dadurch gekennzeichnet, dass sie mitgliedschaftlich strukturiert sind (Merksatz: „Körperschaften haben Mitglieder“). Sie sind rechtlich unabhängig vom Staat und verwalten sich selbst (z. B. haben die gesetzlichen Krankenkassen die individuelle Möglichkeit, ihren Mitgliedern Beitragsrückerstattungen, Wahltarife oder Bonusprogramme zu gewähren). Sie können eigenes Personal beschäftigen und haben das Recht zur Verbeamtung von Mitarbeitern. Den Mitgliedern (z. B. den gesetzlich Kranken- oder Rentenversicherten) stehen über die Sozialwahlen (§ 45 SGB IV) Mitbestimmungs- und Kontrollbefugnisse zu.

      Beispiel

      Weitere Beispiele für Körperschaften sind die Rechtsanwalts-, Ärzte-, Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammer, die Hochschulen sowie die Bundesagentur für Arbeit (§ 367 Abs. 1 SGB III).

      Neben diesen sogenannten Mitgliedskörperschaften spielen gerade im sozialen Bereich auch die sogenannten Gebietskörperschaften eine wichtige Rolle. Dies ist eine andere Bezeichnung für die Kommunen, also die kreisangehörigen Gemeinden, die Landkreise und die kreisfreien Städte. Bei diesen ergibt sich die Mitgliedschaft aus dem Wohnsitz. Die Einwohner der jeweiligen Gebietskörperschaft sind demnach deren Mitglieder. Sie üben ihre Mitgestaltungsrechte durch Kommunalwahlen aus (z. B. die Gemeinderats-, die Kreistags- oder die Bürgermeisterwahlen). Auch die Kommunen sind rechtlich unabhängig vom Staat und können ihre örtlichen Angelegenheiten durch Satzungen selbstständig regeln (Art. 28 Abs. 2 GG, sog. kommunales Selbstverwaltungsrecht).

      Im Rahmen ihrer örtlichen Zuständigkeit haben die Kommunen grundsätzlich den Auftrag der Daseinsvorsorge, d. h. sie sind verantwortlich für die Versorgung der Bevölkerung mit sozialen Angeboten und Einrichtungen auf der lokalen Ebene. Im Einzelnen erfüllen die unterschiedlichen kommunalen Ebenen ihre sozialen Aufgaben entsprechend dem örtlichen Bedarf und ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten.

      Beispiel

      Beispiele für soziale Aufgaben der kreisangehörigen Gemeinden und Städte:

      In Bayern sind die Versorgung mit Kindertagesstätten und die Jugendarbeit den kreisangehörigen Gemeinden zugewiesen, da insoweit auch in den kleinen Gemeinden und Städten ein großer Bedarf vor Ort besteht. Viele kreisangehörige Kommunen halten darüber hinaus Angebote der Behinderten- und Seniorenarbeit vor, die v.a. durch ehrenamtliches Engagement („Nachbarschaftshilfe“; „Ehrenamtsbörse“) geprägt sind.

      Die Landkreise und kreisfreien Städte nehmen dagegen vor allem die Aufgaben des örtlichen Trägers der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Sozialhilfe wahr. Sie werden aber auch als örtliche Krankenhaus- und Schulträger tätig.

      Den Landratsämtern bzw. der Verwaltung der kreisfreien Städte kommt also eine Doppelfunktion zu: Einerseits sind sie als untere Staatsbehörde Teil der unmittelbaren Landesverwaltung. Zugleich sind sie aber auch die zuständige Stelle des Landkreises bzw. der Stadt als Gebietskörperschaft für deren kommunale Aufgaben. Das Landratsamt bzw. die Verwaltung der kreisfreien Stadt vereint rechtlich gesehen somit je zwei Behörden mit völlig unterschiedlichen Aufgaben unter einem Dach. Nach außen wird dies dadurch sichtbar, dass die Landratsämter je nach Aufgabenbereich das Briefpapier mit dem Wappen des jeweiligen Bundeslandes oder eben dem Landkreiswappen verwenden. Die Staatsaufgaben werden durch vom Land bezahltes Personal erledigt, die kommunalen Aufgaben durch Beschäftigte des Landkreises bzw. der Stadt.

      In Bayern gibt es mit den Bezirken eine weitere Ebene kommunaler Gebietskörperschaften. Diesen ist im sozialen Bereich vor allem die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung sowie die Versorgung mit Kliniken für psychisch kranke Menschen zugewiesen. Die Bundesländer Baden-Württemberg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen haben eine ganze Reihe sozialer Aufgaben von der unmittelbaren Staatsverwaltung auf die kommunale Ebene delegiert. Zu diesem Zweck wurden der Kommunalverband für Jugend und Soziales (Baden-Württemberg), der Landeswohlfahrtsverband (Hessen), der Kommunale Sozialverbund (Mecklenburg-Vorpommern) und die Landschaftsverbände (Nordrhein-Westfalen) eingerichtet, die bspw. als überörtliche Jugendhilfe- und Sozialhilfeträger agieren, die Aufgaben des Integrationsamts übernehmen oder das soziale Entschädigungsrecht (z. B. nach dem Opferentschädigungsgesetz) vollziehen. Diese Option der „Kommunalisierung“ staatlicher Aufgaben ist durch die Länderhoheit im Bereich der Verwaltung gedeckt.

      Anstalten des öffentlichen Rechts

      Auch die Anstalten des öffentlichen Rechts sind vom Staat rechtlich unabhängige Organisationen, die öffentliche Aufgaben erledigen. Anders als bei den Körperschaften steht bei den Anstalten jedoch nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe (Mitgliedschaft in der Krankenkasse; Einwohner einer Kommune) im Vordergrund. Vielmehr haben Anstalten den Auftrag, der Bevölkerung bestimmte öffentliche Leistungen zur Nutzung zur Verfügung zu stellen (Merksatz: „Anstalten haben Nutzer“). Zu denken ist hier etwa an die früher weitverbreiteten öffentlichen Badeanstalten, die früheren Bildungsanstalten (Schulen, Hochschulen), die frühere „Bundesanstalt für Arbeit“ etc. Die Bedeutung der rechtlich selbstständigen Anstalten ist in den letzten Jahren allerdings zurückgegangen.

      Beispiele

      Klassische Beispiele sind weiterhin die öffentlichen (!) Rundfunkanstalten, die Studentenwerke, die Kreis- und Stadtsparkassen sowie das Technische Hilfswerk. Die Hochschulen sind dagegen inzwischen mitgliedschaftlich organisiert und daher zu Körperschaften geworden; die Bundesagentur für Arbeit hat sich trotz Umbenennung ihren Charakter als Anstalt bewahrt, obwohl sie rein rechtlich eine Körperschaft ist (§ 367 Abs. 1 SGB III).

      Stiftungen des öffentlichen Rechts

      Schließlich kann der Staat öffentliche Leistungen auch über Stiftungen des öffentlichen Rechts ausreichen (Merksatz: „Stiftungen haben Begünstigte“). Auch die Stiftungen des öffentlichen Rechts sind rechtlich und fachlich vom Staat unabhängig.

      Beispiel

      Beispiele sind etwa die Bundesstiftung „Mutter und Kind“, die Bayerische Landesstiftung, welche u. a. Projekte im sozialen Bereich bezuschusst, oder die von der Bayerischen Staatsregierung aus Privatisierungserlösen gegründete Stiftung „Bündnis für Kinder“, die gewaltpräventive Projekte unterstützt.

      Auch Privatpersonen oder privatrechtliche Vereinigungen können hoheitliche Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen. Auch diese gehören damit zur mittelbaren Staatsverwaltung.

      Das „prominenteste“ Beispiel für hoheitliche Aufgaben in privater Hand ist der TÜV, der als juristische Person des Privatrechts (Aktiengesellschaft) hoheitlich entscheiden kann, ob ein Kraftfahrzeug die erforderliche Prüfplakette nach § 29 StVZO erhält und damit weiter am Straßenverkehr teilnehmen darf oder nicht. Wenn privaten Organisationen oder Einzelpersonen durch das Gesetz oder auf der Grundlage eines Gesetzes hoheitliche Rechte übertragen („verliehen“) werden, spricht man von einer „Beleihung“.