Jörg Reinhardt

Grundkurs Sozialverwaltungsrecht für die Soziale Arbeit


Скачать книгу

Beispiele für hoheitlich tätige Privatpersonen sind die Notare oder die Schornsteinfeger nach § 8 Abs. 2 des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes. Im psychosozialen Bereich ist die Befugnis der Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen der freien Träger zur Ausstellung oder Verweigerung der Beratungsbescheinigung nach § 7 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG) als hoheitliche Beleihung anzusehen.

      Privatpersonen können auch als sogenannte Verwaltungshelfer in die hoheitliche Tätigkeit der Verwaltung einbezogen werden. Im Unterschied zum Beliehenen trifft der Verwaltungshelfer aber keine eigenen Entscheidungen, sondern er hilft lediglich ehrenamtlich bei der Umsetzung öffentlicher Aufgaben durch die Behörden. Er wirkt nach außen wie ein Teil der Verwaltung und ist quasi als deren „Werkzeug“ tätig.

      Beispiele

      • Die klassischen Beispiele hierfür sind die in Bayern und Sachsen zur Unterstützung der Polizei eingerichtete ehrenamtliche Sicherheitswacht oder die Schulweghelfer. Im Bereich des SGB sind die Versicherungsältesten und Vertrauensleute nach § 40 SGB IV zu nennen.

      • Bringt die Mitarbeiterin einer Kinderkrippe ein vom Jugendamt in Obhut genommenes Kind auf Bitte des Jugendamts zu einer Inobhutnahmestelle, so wird sie ebenfalls als Verwaltungshelferin tätig.

      In der Literatur werden auch die im Auftrag der Polizei tätigen Abschleppunternehmen oder von der Bauverwaltung zur Durchsetzung einer Abrissverfügung eingesetzte Abrissunternehmen als Beispiele für Verwaltungshelfer genannt. Dies ist allerdings nicht unumstritten, weil diese regelmäßig eigene (Verdienst-)Interessen verfolgen und nach außen nicht wie ein Teil der Verwaltung wirken.

      Häufig erbringen freie Träger die an sich von den nach §§ 18 ff. SGB I verantwortlichen Leistungsträgen geschuldeten Sozialleistungen. Der nach dem Gesetz für die entsprechenden Leistungen eigentlich zuständige Leistungsträger koordiniert, finanziert und überwacht oftmals nur die Leistung, die durch den freien Träger als Leistungserbringer gewährt wird.

      Beispiel

      Im Bereich der Jugendhilfe werden die Jugendarbeit, Ehe-, Familien- und Erziehungsberatung, Heimerziehung und viele weitere Leitungen fast ausschließlich durch freie Träger erbracht (vgl. insoweit auch den „Subsidiaritätsgrundsatz“ in § 4 Abs. 2 SGB VIII). Zuständiger Leistungsträger sind gemäß §§ 27 Abs. 2 SGB I und 85 Abs. 1 SGB VIII die örtlichen Jugendhilfeträger, d. h. die Landkreise und kreisfreien Städte. Diese haben aber als verantwortliche Stellen lediglich sicherzustellen, dass die Leistungen tatsächlich bedarfsgerecht vorgehalten werden und ein etwaiger Leistungsanspruch betroffener Bürger erfüllt wird. Sie müssen die Leistung aber nicht zwingend selbst und durch eigenes Personal erbringen.

      Ähnlich liegt es bei den Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung: Für die entsprechenden Qualifizierungsangebote sind die Agenturen für Arbeit verantwortlich (§ 19 SGB I); oftmals erbringen aber freie Weiterbildungsträger die entsprechenden Leistungen.

      In dieser Situation sind die freien Träger nicht als Beliehene anzusehen, denn sie entscheiden nicht, ob dem Einzelnen eine Leistung zusteht oder nicht. Sie haben keine entsprechenden Hoheitsrechte. Auch als Verwaltungshelfer können sie nicht bezeichnet werden, denn sie unterstützen die Verwaltung nicht bei deren Leistungserbringung, sondern sie handeln rechtlich unabhängig, selbstständig und aus einem wirtschaftlichen Eigeninteresse bzw. karitativem Selbstverständnis heraus; sie sind also nicht als reines „Werkzeug“ der Verwaltung anzusehen. In der Regel erfolgt die Leistungserbringung der freien Träger aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Vertrages mit dem zuständigen Leistungsträger (Kap. 10.2.1).

      Werden die hoheitlichen Aufgaben der Leistungsträger auf freie Träger als Leistungserbringer übertragen, entsteht gegenüber dem Bürger das sogenannte „sozialrechtliche Leistungsdreieck“ (Übersicht 4): Der Bürger hat einen Rechtsanspruch auf Sozialleistungen nur gegenüber dem gesetzlich bestimmten Leistungsträger. Dieser tritt jedoch häufig nicht selbst als Leistungserbringer in Erscheinung. Gleichwohl hat er die Letztverantwortung, dass die jeweils geschuldete Sozialleistung ordnungsgemäß und rechtmäßig durch den „zwischengeschalteten“ Leistungserbringer erbracht wird.

      Beispiel

      Kinder haben gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII ab dem ersten Lebensjahr bis zum Schuleintritt einen Rechtsanspruch gegen den örtlichen Jugendhilfeträger auf einen Platz in der Kindertagesbetreuung. Der nach §§ 27 Abs. 2 SGB I und 85 Abs. 1 SGB VIII zuständige Leistungsträger (Landkreis oder kreisfreie Stadt) ist rechtlich verantwortlich dafür, dass dieser Anspruch erfüllt wird. Er muss die erforderliche Zahl an Betreuungsplätzen vorhalten, diese aber nicht selbst einrichten. Er kann insoweit auf kommunale Träger (z. B. kreisangehörige Gemeinden), freie Träger (z. B. Diakonie, Caritas, Arbeiterwohlfahrt usw.) oder Privatpersonen (Tagesmütter) zurückgreifen. Diese kann er für die entsprechenden Leistungen bezahlen oder bezuschussen. Entscheidend ist lediglich, dass das erforderliche Platzangebot tatsächlich vorhanden ist.

      Übersicht 4

      Das Leistungsdreieck im Sozialrecht

images

      Um die ordnungsgemäße Erfüllung aller Verwaltungsaufgaben sicherzustellen, hat es sich bewährt, nicht nur die Gerichte über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns im Einzelfall entscheiden zu lassen. Vielmehr hat die Verwaltung eigene Mechanismen zur Steuerung und Planung von Aufgaben, zur Bereitstellung von (sachlichen und personellen) Ressourcen sowie zur internen Kontrolle von Behörden entwickelt. Diese werden mit dem Überbegriff der Aufsicht bezeichnet. Konkret lassen sich drei Bereiche der verwaltungsinternen Aufsicht unterscheiden (Übersicht 5).

      Übersicht 5

      Das System der Aufsicht

      Dienstaufsicht (Weisungsrecht in Organisations- und Personalfragen): Nur in der unmittelbaren Staatsverwaltung

      Rechtsaufsicht

       (Rechtliche Kontrolle des Verwaltungshandelns):

       Auch gegenüber mittelbaren

       Verwaltungsträgern/Kommunen

      Fachaufsicht

       (Fachlich-inhaltliche Kontrolle des Verwaltungshandelns):

       Nur in der unmittelbaren Staatsverwaltung

      Die Dienstaufsicht bezieht sich auf die Steuerung und Überwachung der Aufgabenerfüllung in struktureller und personeller Hinsicht. Sie betrifft die Frage, wie die einzelnen Behörden organisatorisch gegliedert sind und soll sicherstellen, dass in den Dienststellen eine ordnungsgemäße Sach- und Personalausstattung vorgehalten wird. Ziel ist, dass die Behörden ihre Aufgaben zeitlich sowie organisatorisch ordnungsgemäß erledigen. Zu diesem Zweck dürfen die übergeordneten Staatsbehörden in der unmittelbaren Staatsverwaltung dem nachgeordneten Bereich bspw. Weisungen erteilen, Prioritäten vorgeben und Personalmehrungen (aber auch Reduzierungen!) beschließen.

      Beispiel

      Wird eine neue Sozialleistung eingeführt (etwa im August 2013 das inzwischen wieder aufgegebene Betreuungsgeld), so hat die zuständige Behörde die Bearbeitung dieser Leistung sicherzustellen. Das übergeordnete Ministerium darf der zuständigen Stelle insoweit vorgeben, dass sie für die neue Aufgabe eine bestimmte Zahl von Mitarbeitern einzuteilen hat und dass diese aus weniger prioritären Bereichen abgezogen werden. Diese Vorgabe des Ministeriums betrifft die Behördenstruktur und ist daher durch die Möglichkeit der Dienstaufsicht abgedeckt.

      Die mittelbare Staatsverwaltung (d. h. die Anstalten, Stiftungen und Körperschaften einschließlich der Kommunen) unterliegt nicht der staatlichen Dienstaufsicht, denn sie ist rechtlich vom Staat unabhängig und daher selbst für die Organisation ihrer Aufgaben sowie der entsprechenden Prioritäten zuständig. Die Dienstaufsicht obliegt hier deshalb der Leitung der jeweiligen Körperschaft, Anstalt oder Stiftung selbst.