Literaturzeitung, Leipzig
Es gibt gewiß keinen Mangel an Literatur zur Seelsorge. Da mag es riskant erscheinen, sich mit einer neuen Seelsorgelehre herauszuwagen. Gibt es in diesen Fragen etwas mitzuteilen, das nicht schon geschrieben wurde? Und falls doch: was und wem wird es nützen? Die pastoralpsychologische Herangehensweise in Seelsorge und Seelsorgeausbildung hat uns Skepsis gegenüber theoretischen Gesamtentwürfen gelehrt. Die Gefahr eines Verlustes an Wirklichkeit und Dynamik ist unübersehbar, und seelsorgliche Kompetenz, das ist unbestreitbar richtig, erlernt niemand durch die Lektüre von Lehrbüchern. Diese können jedenfalls das notwendige Erfahrungslernen nicht ersetzen.
Gleichwohl kann, wie ich zuversichtlich hoffe, seelsorgetheoretische Literatur doch auch im Blick auf die Praxis von Wert sein: propädeutisch als Vorbereitung auf seelsorgliches Handeln und seelsorgliches Lernen und praxisbegleitend als Hilfe zur kritischen theologischen und humanwissenschaftlichen Reflexion von Seelsorgeerfahrungen.
Auch aus Bedürfnissen heraus, die sich im Rahmen akademischen Lehrens ergeben, erschien es mir naheliegend, die relevanten Stoffe einer Seelsorgelehre einmal aus meiner eigenen Sicht im Zusammenhang darzustellen. Die vorliegende Einführung wendet sich an Studierende und darüber hinaus an diejenigen, die in der seelsorglichen Praxis tätig sind. Es geht dabei bewußt um eine „Einführung“; das bedeutet, dass bei der Behandlung einzelner Themen eine Auswahl getroffen werden mußte und dass dem Elementaren zu Ungunsten des Spezielleren ein Vorrang einzuräumen war. Vielleicht findet das Buch so auch bei denen Interesse, die in säkularen Bereichen als Therapeutinnen, als Sozialarbeiter oder wie auch immer für die „Seelen“ von Menschen zu sorgen haben.
Die Grundausrichtung der vorliegenden Einführung ist pastoralpsychologischer Natur.
Gleichzeitig will ich jedoch versuchen, Anregungen aus der neu in Gang gekommenen poimenischen Diskussion aufzunehmen.
Erfahrungen in und mit der pastoralpsychologischen Seelsorgeausbildung hatten für mich selbst entscheidende Bedeutung. Hans-Joachim Wachsmuth zuerst und dann später Wybe Zijlstra (†) und Hans-Christoph Piper, sowie Hermann Andriessen und Reinhard Miethner waren mir unschätzbare Anreger und Begleiter. Die eigene Seelsorgelehre erwuchs weiter aus dem, was ich Studierende zu lehren hatte und was ich mit ihnen lernte. Einen wichtigen Hintergrund für die Darstellung der Seelsorge bilden die eigenen Besuche auf Krankenstationen und seelsorgliche Gespräche bei vielen verschiedenen sich bietenden Gelegenheiten. Ob aus solchen Erfahrungen heraus ein auch für die Praxis brauchbarer Entwurf entstanden ist, müssen die Leserinnen und Leser selbst entscheiden.
Während der Ausarbeitung des Buches habe ich viele Hilfe erfahren. Beim Schreiben des Manuskripts haben mich Renate Jurisch und Dorothea Schliebe unterstützt, bei dessen Durcharbeit halfen Astrid Kühme und Kathrin Jell mit wichtigen Hinweisen und Korrekturen. Letztere hat sich zudem bei der Herstellung der Register und bei den Korrekturarbeiten verdient gemacht. Werner Biskupski hat das Manuskript kritisch gegengelesen, und Friedrich-Wilhelm Lindemann gab mir sehr wichtige Hinweise zur Gestaltung des Psychologiekapitels. Ihnen allen sei ganz herzlich gedankt. Ein ganz besonderer Dank gebührt Michael Böhme, der nicht nur für ein verlagsgerechtes Typoskript gesorgt hat, sondern mir auch darüber hinaus jederzeit ein hilfreicher und freundschaftlicher Gesprächspartner war.
Ich danke dem Verlag dafür, dass er in einer Zeit nicht gerade boomenden Seelsorgeinteresses dieses Buch in sein Programm aufgenommen, sowie Frau Renate Hübsch für die entgegenkommende Weise, mit der sie das Manuskript betreut hat.
Nicht zuletzt danke ich meiner Frau. Sie hat mit ihrem Verständnis für die behandelten Gegenstände wie für den Autor mehr Anteil am Werden dieses Buches, als sich in Worten sagen läßt. Ihr sei es gewidmet.
Vorwort zur 4. Auflage
Seit dem Erscheinen der ersten Auflage dieser Seelsorgelehre sind 15 Jahre vergangen. Inzwischen hat sich in unserem Land, im gesellschaftlichen und religiösen Leben der Menschen vieles verändert. Die Arbeit der Kirchen und insbesondere das Verständnis und die Praxis ihrer Seelsorge sind davon nicht unberührt geblieben. Wenn dieses Buch noch einmal in neuer Auflage erscheinen sollte, bedurfte es dazu intensiver Überarbeitung des gesamten Textes. Dazu haben mich dann eine überwiegend positive Resonanz der Leser wie auch konstruktive Hinweise kollegialer Kritik ermutigt.
Auf ein paar der größeren Veränderungen sei hingewiesen:
–In der Einleitung waren Präzisierungen zur genaueren Bestimmung von „Seele“ und „Seelsorge“ notwendig.
–Die Beschreibung der kontextuellen Situation heutiger Seelsorge musste naheliegender Weise an vielen Stellen aktualisiert werden (1).
–Auch die Darstellung der „Seelsorgelandschaft“ in der Gegenwart war neu zu überdenken und zu erweitern (3.3. und 3.4).
–Das theologische Kapitel ist fast völlig neu geschrieben worden (4).
–In anderen Abschnitten waren Ergänzungen einzufügen: z.B. über die Sprache der Seelsorge und Kurzzeitseelsorge (6), über Taufe, Schulseelsorge (9.1.1), Seelsorge mit Demenzkranken (9.1.5), Seelsorge und Trauma (9.4.2)), über Spiritual Care und Internetseelsorge (10).
–Bei den „Lebensthemen“ wurde ein Unterkapitel über Angst neu hinzugefügt (8.4).
–Aktuelle Literatur ist in allen Kapiteln eingearbeitet worden, allerdings ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Unvermeidlich war, dass auf diese Weise der Umfang des Buches wuchs und die Seitenzahlen sich verschoben. Das ist vor allem für den wissenschaftlichen Gebrauch ärgerlich. Trotz aller Änderungen ist aber diese Seelsorgelehre in ihrer Gesamtanlage und weithin auch in ihrem Textbestand die gleiche geblieben. Mein poimenischer Grundansatz hat sich nicht wesentlich verändert und ebenso wenig die feste Überzeugung, dass geübter und gelebter Seelsorge auf dem Zukunftsweg unserer Kirchen und Gemeinden unbedingt eine Priorität gebührt.
Bei der manchmal doch recht aufwändigen Erarbeitung dieser Neuauflage war es gut, gelegentlich auf fachlich-freundschaftlichen Rat zurückgreifen zu können. Ich danke dafür Werner Biskupski und Friedrich-Wilhelm Lindemann und ebenso meiner Frau, die auch die mühevolle Registerarbeit mit mir teilte. Herrn Moritz Reissing schließlich sei herzlich gedankt für Unterstützung und Hilfe bei der Herstellung des neuen Drucksatzes.
Leipzig, im Sommer 2015 | Jürgen Ziemer |
Eine Zeit nach seinem Tode sagte ein Freund:
„Hätte er zu wem zu reden gehabt, er lebte noch.“1
Einleitung: Seelsorge – erste Verständigungen
1. Seelsorge ist vielen heute ein fremdes Wort geworden
Natürlich hat man von Seelsorge schon einmal