Jürgen Ziemer

Seelsorgelehre


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als intendierte Praxis solidarischer Gemeinschaft im kirchlichen Kontext. (s. Kap.1)

      –Ekklesiologisch betrachtet ist Seelsorge Wesensmerkmal der christlichen Kirche als Gemeinschaft des Glaubens, konkret erlebbar durch die Gemeinde und in ihr. (s. Kap.4,4);

      –Pastoraltheologisch gesehen ist Seelsorge geistlicher Auftrag und berufliche Aufgabe kirchlicher Mitarbeiter in den „Verkündigungsdiensten“, besonders im Pfarrberuf, aber auch ein wichtiges Engagement von Ehrenamtlichen in spezifischen Arbeitsfeldern. (s. Kap.7).

      Alles dies sind Bestimmungen von Seelsorge, wie sie sich von unterschiedlichen Standorten her ergeben. Sie sind zutreffend und erweitern unser Bild von Seelsorge. Sie sollten aber andere Sichtweisen nicht ausschließen – die der Leiblichkeit etwa oder die einer ethischen Orientierung (s. Kap.4.3 und 4.5). Es ist wichtig, die Dynamik seelsorglichen Engagements in unserer Welt und Kirche nicht unnötig einzugrenzen. In unterschiedlichen Kontexten und unter unterschiedlichen Bedingungen hat Seelsorge jeweils eine andere Ausdrucksgestalt. Das gehört zu ihrem Wesen.20

      Ist Seelsorge auch „missionarisch“? So wird gelegentlich gefragt. Seelsorge ist keine Missionsmethode, und sie will nicht Mitglieder werben. Aber wenn Seelsorge ist, was sie ist und soll, dann wirkt sie „missionarisch“21, weil sie Menschen an der Kraft des Evangeliums Anteil gibt, ohne dieses kirchlich zu etikettieren und ohne Gegenleistung zu erwarten.

      In diesem Zusammenhang ist noch ein Wort notwendig zum unterschiedlichen Sprachgebrauch in der katholischen und in der evangelischen Kirche, Katholischerseits hat man bei „Seelsorge“ meist das mit im Blick, was traditionell die cura animarum generalis genannt wird, also den gesamten Bereich der Zuwendung zu den Menschen in der Gemeindearbeit (der Pastoral).22 Evangelischerweise ist dabei immer die cura animarum specialis gemeint, also ein besonderer Sektor der Gemeindearbeit, konkret die persönliche Begegnung mit dem Einzelnen, in der Regel das seelsorgliche Gespräch. So auch in diesem Buch. Wenn man den Unterschied beachtet, lässt sich über Seelsorge in Praxis und Theorie problemlos ökumenisch kommunizieren.

      Was die Literatur zu Seelsorge und Seelsorgelehre anlangt, herrscht heute (2014) ein Wohlstand ohnegleichen. Es ist angesichts dessen nicht ganz leicht, den Überblick zu behalten. In den letzten Jahren sind kaum noch Forschungsberichte zur Seelsorge erschienen. Dafür ist jetzt an Lehrbüchern kein Mangel. Zuerst hatte Klaus Winkler 1997 mit seiner Seelsorge (22000), Jahrzehnte nach Thurneysen, wieder ein Lehrbuch vorgelegt, in dem er authentisch und eigene Weise eine psychoanalytisch fundierte Seelsorgelehre dargelegt hatte. Souveräne Kenntnis von Theorie und Praxis gegenwärtiger Seelsorge zeichnet Michael Klessmanns Seelsorge (2008) aus. Auch Klessmanns Sichtweise ist pastoralpsychologischer Natur, freilich mit großer Offenheit für die inzwischen vielfältig gewordene Seelsorgelandschaft. Das gilt in gleicher Weise für Christoph Morgenthalers Seelsorge (2009), einem überzeugend gegliederten und originell durchgeführten Werk. Die jüngste Seelsorglehre stammt von Michael Herbst (2012). Herbst bemüht sich in seinem monumentalen Werk um eine integrative Sichtweise von Seelsorge, die dann durch exemplarische Darstellung seelsorglicher Praxissituationen (Eheseelsorge, Kinderkrankenhaus) demonstriert wird. Zu diesen Lehrbüchern gesellt sich das von Wilfried Engemann herausgegebene Handbuch der Seelsorge (2007, 32015). Darin werden schulübergreifend von verschiedenen Autoren grundlegende Themen der Seelsorge und Seelsorgetheorie behandelt. Für eine grundlegende Orientierung im Fachgebiet Seelsorge muss auch unbedingt das Buch der katholischen Theologin und Medizinerin Doris Nauer, Seelsorge. Sorge um die Seele (2007) genannt werden. Dies Buch ist eine Art Fundamentalpoimenik, interdisziplinär und ökumenisch. Zu den wichtigen Werken der Seelsorgelehre gehören nach wie vor das von Isidor Baumgartner herausgegebene Handbuch der Pastoralpsychologie (1990) sowie dessen eigene Pastoralpsychologie (1990). Im Grunde sind dies auch Seelsorgelehren, einer eher katholischen Begriffstradition folgend.

      Wer eine fundierte und anregende Orientierung für die Praxis des seelsorglichen Gesprächs sucht, dem sei Unter vier Augen von Hans van der Geest (62002) empfohlen. In dem Buch werden wichtige Themen der Seelsorge an Hand von ausführlichen Praxisdokumentationen behandelt. Praktische Hilfen für Haupt- und Ehrenamtliche bietet Wolfgang Wiedemann in seinem, ganz aus der tiefenpsychologischen Tradition kommenden Buch Keine Angst vor der Seelsorge (2009) und jüngst auch Anfreas von Heyl mit einem Leitfaden zur Seelsorge (2014).

      Ein erster Zugang zu der für die Entwicklung der pastoralpsychologisch orientierten Seelsorge so bedeutsamen nordamerikanischen Literatur kann über einzelne Artikel des profunden DPCC (1990) gefunden werden. Eine knappe, übersichtliche Einführung bietet Charles V. Gerkin (1997).

      Eine unschätzbare Hilfe für alle theoretische Beschäftigung mit Seelsorge und Pastoralpsychologie stellt die Bibliographie zur evangelischen Seelsorgelehre von Martin Jochheim (1997) dar. Diese wertvolle Arbeit hat bisher leider keine Fortsetzung gefunden.

      Überblicksartikel zu wichtigen poimenischen Neuerscheinungen sind zuletzt u.a. von Jochen Cornelius-Bundschuh (2002) und von Michael Klessmann (1999, 2001, 2003) erschienen.

       Wörterbücher, bibliographische Hilfsmittel und Überblicke:

      Cornelius-Bundschuh, Jochen: Aufbruch, Differenzierung und Konsolidierung. Tendenzen in der neueren Seelsorgeliteratur, in: Verkündigung und Forschung 47, 2002, 48–70

      Dieterich, Michael u.a. (Hg.): Wörterbuch Psychologie und Seelsorge, Wuppertal 1996

      Gastager, Heimo u.a. (Hg.): Praktisches Wörterbuch der Pastoralanthropologie, Göttingen 1975

      Hunter, Rodney J. (Hg.): Dictionary of Pastoral Care and Counseling. Nashville 1990 (DPCC)

      Jochheim, Martin: Bibliographie zur evangelischen Seelsorgelehre und Pastoralpsychologie, Bochum 1997

      Klessmann, Michael: Seelsorge zwischen Energetik und Hermeneutik, in: PTh 90, 2001, 39–5

      – Integration und Differenzierung, in: PTh 92, 2003, 127–143

      – Neue Akzente in der Seelsorge, in: PTh 97, 2008, 2–13

       Zeitschriften:

      International Journal of Practical Theology, Berlin/New York 1, 1997ff.

      Journal of Pastoral Care/ (seit 2002:) Journal of Pastoral Care and Counseling, Kutztown, N.Y. 1, 1947ff.

      Journal of Pastoral Counseling, New York 1, 1966ff.

      Lebendige Seelsorge, Freiburg i.Br. 1, 1950ff.

      Pastoral Psychology, Great Neck, N.Y. 1, 1950ff.

      Pastoraltheologie. Monatsschrift für Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft, Göttingen 1, 1911ff.

      Praktische Theologie. Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und Kirche, Gütersloh 1, 1966ff. (bis 1993 Theologia Practica)

      Psychotherapie und Seelsorge, Kassel 2005ff.

      Wege zum Menschen. Monatsschrift für Seelsorge und Beratung, heilendes und soziales Handeln, Göttingen 1948ff.

       Gesamtdarstellungen, Handbücher:

      Ahlskog, Gary/Sands, Harry (Hg.): The Guide to Pastoral Counseling and Care. Madison 2000

      Asmussen, Hans: Die Seelsorge. Ein praktisches Handbuch über Seelsorge und Seelenführung, München 1933, 41937

      Baumgarten, Otto: Protestantische Seelsorge, Tübingen 1931

      Baumgartner, Isidor (Hg.): Handbuch der Pastoralpsychologie,