Martin: Die Erzählungen der Chassidim, Zürich 1949, 646.
2Es erscheint durchaus sinnvoll, in der Nachfolge Sigmund Freuds auch von „weltlicher Seelsorge“ zu sprechen: vgl. etwa: Bernet, Walter: Weltliche Seelsorge. Elemente einer Theorie des Einzelnen, Zürich 1988. Über „philosophische Seelsorge“ vgl.: Schmid, Wilhelm: Was macht ein Philosoph im Krankenhaus, in: Kursbuch 175, Hamburg 2013, 90ff.
3Versuche, den Begriff „Seelsorge“ auch anderen Bereichen, etwa der Tätigkeit eines Arztes zuzuordnen, sind eher peripher geblieben: Frankl, Viktor: Ärztliche Seelsorge, Frankfurt a.M. 41995.
4Die großen Mitgliedschaftsuntersuchungen der EKD von 1974 und 1984 brachten die besondere Wertschätzung von Seelsorge und religiöser Kommunikation durch die Gemeindeglieder zum Ausdruck. Auch die Erhebungen von 1954 und 2004 weisen in diese Richtung: Engelhardt, Klaus u.a. (Hg.): Fremde Heimat Kirche, Gütersloh 1997, 357ff.; Huber, Wolfgang (Hg.): Kirche in der Vielfalt der Lebensbezüge. Gütersloh 2006, 355ff.
5Zerfaß, Rolf: Menschliche Seelsorge, Freiburg 31985, 28; vgl. dort auch den Gesamtzusammenhang 11–32; ferner: Baumann, Urs u.a.: Seelsorgerliche Gesprächsführung, Düsseldorf 1996, 61; Wagner-Rau, Ulrike: Auf der Schwelle, Stuttgart 2009, 97–118.
6Vgl. Horst Seebass in. Art. Seele II. 2 Alter Orient und Altes Testament, in RGG4 Bd. 7, Tübingen 2004, 1092.
7Ausführliche Darlegungen zum biblischen Seelenbegriff mit deutlich antidualistischer Ausrichtung bei: Naurath, Elisabeth: Seelsorge als Leibsorge, Stuttgart 2000, 20–43 und Nauer, Doris: Seelsorge, Stuttgart 2007, 23–43; vgl. auch Stock, Konrad. Art. Seele VI. Theologisch, in: TRE 30, Berlin 1999, 759–773, 771; Herbst, Seelsorge, 177–192; Eberhardt, Hermann: Praktische Seelsorge-Theologie, Bielefeld 21993, 19–53.
8Vgl. zu diesem Gedanken Schirrmacher, Freimut: Seelsorge als Beziehungsgeschehen, Neukirchen 2012, 94f.
9Augustin, Bekenntnisse, übertragen von Herman Hefele, Berlin 1959, Kap.13, 26f.
10Vgl. Naurath, Elisabeth: Art. Seele III.4. Praktisch-theologisch, in. RGG4 Bd. 7, Tübingen 2004, 1105.
11Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Berlin 51960, 449.
12Thurneysen, Eduard: Die Lehre von der Seelsorge, Zürich 21957, 9.
13Längst ist die Diagnose. die Dietrich Bonhoeffer schon 1944 dem traditionellen Christentum stellte, durch Erfahrungen erhärtet: Die großen Worte des Glaubens können den Menschen nicht mehr die Botschaft mitteilen, die hinter ihnen steht. Widerstand und Ergebung, Berlin 1972, 327ff.
14Musil, Robert: Der Mann ohne Eigenschaften, (10. Kapitel) Bd. 2, Berlin 1975, 99f.; vgl. a.a.O., 106. 456.
15In diesem Sinn darf dann durchaus auch von „Mission“ gesprochen werden: Seelsorge als Angebot ohne Erwartung von Gegenleistung.
16Von poimen (griech.) = Hirte, Pastor, also: Lehre vom Hirten- bzw. Pastorendienst.
17Die Vorsokratiker, übersetzt von Wilhelm Capelle, Berlin 1958, 144.
18Meyer-Blanck, Michael: Theologische Implikationen der Seelsorge, in: HbS, 19–33, 31.
19so Lammer, Kerstin: Beratung mit religiöser Kompetenz. Beiträge zu pastoralpsychologischer Seelsorge und Supervision, Neukirchen 2012, 22; vgl. auch Herms, Eilert: Pastorale Beratung als Vollzug theologischer Anthropologie, in. WzM 29, 1977, 202–223.
20Der katholische Theologe Wolfgang Reuter nennt diesen Sachverhalt heutiger Seelsorge „Relationalität“ und diesen entspricht eine „multiperspektivische Offenheit“ in der Seelsorgepraxis: Reuter, Wolfgang: Relationale Seelsorge, Stuttgart 2014, 224. 227.
21Vgl. Ziemer, Jürgen: Seelsorge und Mission. Zu Orientierung in einem schwierigen Feld, in: Seelsorge – Muttersprache der Kirche, epd-Dokumentation, Hannover 2010, 6–12.
22Zu den unterschiedlichen Begriffen von Seelsorge und zur „Pastoral“ vgl. die Darstellungen und Bestimmungen von Doris Nauer, Seelsorge. Sorge um die Seele, Stuttgart 2007, 55ff; 62f.
Zu den Kontexten heutiger Seelsorgepraxis
In der Seelsorge begegnet uns der Mensch als Einzelner mit seinen Fragen und Konflikten, mit seinen körperlichen, seelischen und geistlichen Leiden. Die Probleme, die in der Seelsorge zur Sprache kommen, können aktuell veranlasst und/oder lebensgeschichtlich verankert sein. Sie dürften in aller Regel auch ein Reflex auf die mikro- und makrosozialen Gegebenheiten sein, in denen sich das Individuum befindet. Die „Befindlichkeit“ des Einzelnen hat immer auch einen Außenaspekt. Seelsorgliche Arbeit muss darum verbunden sein mit wacher Aufmerksamkeit für die Verhältnisse, in denen das Individuum lebt. Anders als in der konkreten Situation einer seelsorglichen Begegnung, in der die primäre Aufmerksamkeit dem Individuum gilt, ist es in der Seelsorgelehre wenn auch nicht üblich, so doch sinnvoll, zunächst den Blick auf die Welt des Einzelnen zu richten, ehe der Einzelne in seiner Welt wahrgenommen wird. Das ist im Rahmen einer kurzen Einführung nicht einfach zu leisten – zumal wir von Welt- und Gesellschaftsdeutungen unterschiedlichster Provenienz geradezu überschwemmt werden. Die Flut soziologischer und sozialphilosophischer Deutungsliteratur weist ja offensichtlich auf eine erhöhte Deutungsbedürftigkeit des gesellschaftlichen Seins und Lebens in der Gegenwart hin. Die ambivalenten Welterfahrungen der Individuen in der Moderne und mit der Moderne rufen mehr denn je das Verlangen hervor, Zusammenhänge und Ursachen zu erkennen. Für die Seelsorgelehre sollen hier wichtige Einsichten und Klärungsversuche soziologischer und religionssoziologischer Natur festgehalten werden. Das kann nicht umfassend und systematisch geschehen, sondern nur entlang der eigenen Wahrnehmungen und im Hinblick auf eine mögliche Relevanz für die seelsorgliche Arbeit.
1.1Lebensbedrohlicher Sicherheitsverlust
Fragen wir nach einer Kernerfahrung, die das soziale und individuelle Leben in Deutschland (und darüber hinaus wohl auch in ganz Europa) zu charakterisieren vermag, ist wohl zuerst an den spürbaren Verlust an Sicherheit und Gewissheit zu denken. Der Begriff „Verlust“ legt dabei nahe, davon auszugehen, dass es vormals ein Mehr an Sicherheit und Orientierungsgewissheit gab. Ob das objektiv so war, können wir hier dahingestellt sein lassen. Nostalgische Verklärungseffekte sind nie auszuschließen. Subjektiv empfinden viele Menschen in unserer Gesellschaft jedenfalls einen Verlust. Und das ist mehr als nur ein verschwommenes Gefühl. Paradoxerweise muss diese Verlusterfahrung als die Kehrseite von gewachsenen Lebenschancen, neuen Daseinsmöglichkeiten und erhöhtem Freiheitsgewinn angesehen werden. Die „Risikogesellschaft“ (Ulrich Beck) schattet ihre Strukturen und Problemlagen auch in den familiären und privaten Beziehungen des Einzelnen ab. Davon wird noch en detail zu reden sein. Zunächst sei an die überindividuellen Erfahrungen eines Sicherheitsverlustes erinnert.
•Im Bereich der modernen Technologie und der industriellen Warenproduktion erleben wir seit Jahrzehnten einen phantastischen Zuwachs an Lebens- und Erlebensmöglichkeiten. Mit Hilfe der mehr und mehr automatisierten Großproduktion können in nahezu unbegrenzter Quantität Nahrungsmittel und andere Lebensgüter hergestellt werden; digitale Kommunikationsnetze weltumspannender Reichweite lassen räumliche Distanzen zwischen Menschen und Institutionen gegen Null zusammenschrumpfen; neue Forschungsmethoden und präzisere Untersuchungsinstrumentarien erschließen immer mehr die Geheimnisse der Mikro- und Makrowelt des Lebens. Aber zugleich geht diese „gesellschaftliche Produktion von Reichtum einher mit der Produktion von Risiken“. Wir bekommen es zunehmend zu tun mit ganz neuen „Problemen und Konflikten, die aus der Produktion, Definition und Verteilung wissenschaftlich-technisch produzierter Risiken entstehen.“1 Es sind vor allem die ökologischen Risiken, die uns unsicher werden lassen, ob die Luft, die wir atmen, nicht verpestet, ob der Boden, den wir bebauen, nicht verseucht, ob das Wasser, das wir trinken, nicht vergiftet ist. Aber es wächst darüber hinaus