selbstorganisierend weiterentwickeln und sich dabei gleichzeitig gegenseitig beeinflussen. Dieses lenkt den Blick darauf, dass Innovationen für den Weg zur Nachhaltigkeit nicht isoliert von einzelnen Unternehmen entwickelt werden können, sondern nur in und aus den jeweiligen Systemzusammenhängen heraus.
Neben den beiden naturwissenschaftlichen Weltanschauungen scheint in einigen deutschen Beiträgen ein weiteres philosophisch und ökonomietheoretisch geprägtes Weltbild durch, das sich zwischen Naturalismus und Humanismus bewegt und dementsprechend auch von einer anderen Begriffswelt geprägt ist. Begrifflich lässt sich dieses (noch) nicht präzise fassen, vereinfacht sei es im vorliegenden Beitrag als ‚naturorientiertes‘ Weltbild angesprochen, da es „um eine intelligente Orientierung an der Natur“ (Biesecker und Schmid 2001, S. 271; vgl. auch Isenmann 2003) geht und mit dem Leitbild der (Re-)Produktion theoretisch gefasst wird (Biesecker und Hofmeister 2010).
In diesen Beiträgen unterscheidet sich die Natur, die Wirtschaft und Gesellschaft umgibt, von dem naturwissenschaftlichen Ökologie- bzw. Ökosystemverständnis durch einen ganzheitlicheren Lebensbegriff, der auch den Menschen und das ‚gute Leben‘ umfasst. Das Nachhaltigkeitsprinzip wird hier als ein komplexes Lebensprinzip in seiner Funktion von Raum und Zeit verstanden, in dem alle Lebewesen miteinander in Beziehung verbunden sind und in dem die Produktivität des Lebendigen den Suchprozess der evolutionären Bewährung antreibt und steuert (s. Busch-Lüty 2000).
Philosophisch begründet ist der Mensch dabei einerseits Teil der Natur, andererseits kann er diese aber auch bewusst gestalten (dialektisches Verhältnis von natura naturans (Naturproduktivität) und natura naturata (Naturprodukt)) (s. Immler 1989). Hiermit sind zwei wesentliche Erkenntnisse verbunden:
Erstens lässt sich die Natur nicht schematisch in Quellen und Senken unterscheiden, wie es das (neo)klassische Input-Output-Denken impliziert, sondern die Prozesse stellen eine Einheit dar: So ist die „Produktion“ von natürlichen Ressourcen (Quellenfunktion) untrennbar mit der eigenen „Reproduktion“, d.h. den natürlichen Prozessen der Wiederherstellung und damit auch dem Abbau anthropogener Abfallprodukte (Senkenfunktion) verbunden. Hier findet sich also auch eine theoretische Begründung für das Prinzip der Kreislaufwirtschaft.
Zweitens bedingt jede ökonomische Handlung zugleich eine Veränderung der natürlichen Prozesse. Wirtschaftsakteure sind also gleichzeitig Gestaltende von Natur. Dieses wird über die physischen Dimensionen, d.h. die Stoff- und Energieströme, mit Hilfe eines (Re-)Produktionsmodells abgebildet (Immler und Hofmeister 1998; Biesecker und Hofmeister 2010).
Zur Gestaltung dieser Prozesse können Menschen und ihre Ökonomien zwar von Ökosystemen und ihren Organisationsprozessen lernen, was sie aus diesem Gelernten aber in welcher Art auf ihre eigenen ökonomischen und sozialen Organisationen übertragen, ist Sache sozialer Bewertungsprozesse. Eine Balance ist naturwissenschaftlich nicht vorgegeben, sondern diese ist vielmehr immer wieder durch neue gesellschaftliche Such- und Bewertungsprozesse herzustellen (Biesecker und Schmid 2001). Insgesamt ist die ökologische Dimension also untrennbar auch mit der sozialen verbunden.
Stark vereinfacht lassen sich aus den vorstehend blitzlichtartig skizzierten Theoriebausteinen zusammengefasst einige Schlüsselbotschaften zur Gestaltung nachhaltiger Entwicklungsprozesse extrahieren:
Die physischen Dimensionen des Wirtschaftens, d.h. die Stoff- und Energieströme, sind die Brücke zwischen Natur/Ökologie und Wirtschaft/Gesellschaft.
Ein unbegrenztes materielles Wachstum ist physikalisch begründet nicht möglich.
Ökonomie ist ohne die Funktions-/Reproduktionsfähigkeit der Natur nicht lebensfähig.
Das Verhältnis von Wirtschaft, Gesellschaft und Natur wird durch die ko-evolutionäre Entwicklung der Teilsysteme bestimmt, die sich jeweils selbstorganisierend weiterentwickeln und dabei gleichzeitig gegenseitig beeinflussen.
Natur kann nicht schematisch in Quellen (Input) und Senken (Output) unterschieden werden, Produktion und Reproduktion stellen eine Einheit dar.
Wirtschaftsakteure/Unternehmen sind auch Gestalter von Natur.
Weder sind die Reproduktionsleistungen der Natur naturwissenschaftlich vorgegeben, noch ist es die Balance zwischen ökologischen, sozialen und ökonomischen Prozessen. Letztere muss durch gesellschaftliche Bewertungs- und Verständigungsprozesse kontinuierlich raum- und zeitspezifisch ausgehandelt werden.
1.5Orientierungen zur Gestaltung nachhaltiger Entwicklungsprozesse
Die grundlegenden konzeptionellen Beiträge zum Nachhaltigkeitsleitbild sind im Wesentlichen in den 1990er Jahren erarbeitet worden und sollen in den folgenden Abschnitten skizziert werden.
1.5.1Nachhaltigkeitskonzepte
In den Wirtschaftswissenschaften sind sowohl im Rahmen der neoklassischen Umwelt- und Ressourcenökonomie als auch der vorstehend skizzierten Ökologischen Ökonomie populäre Nachhaltigkeitskonzepte entwickelt worden, die sich mit der Beziehung zwischen natürlichen Beständen (Naturkapital) und (künstlichem) Kapital befassen. Dabei bestehen insbesondere unterschiedliche Auffassungen darüber, inwieweit Naturkapital durch (künstliches) Kapital substituiert werden darf, so dass die Spannweite der Konzepte vom nachhaltigen Wirtschaftswachstum bis zu Nachhaltigkeitsvorstellungen reicht, die jedweden Eingriff in die globalen Ökosysteme ausschließen (zur Übersicht s. z. B. Gawel 1996; SRU 2002; Kanning 2005).
Ausgehend von der Unkenntnis über Bedürfnisse und Wünsche künftiger Generationen argumentiert die neoklassische Ressourcen- und Umweltökonomie, dass es unerheblich ist, in welcher Form – ob natürlich oder menschengemacht – das „Gesamtkapital“ weitergegeben wird, solange sein aggregierter Geldwert nicht abnimmt. Mit dieser Interpretation, die auch als schwache Nachhaltigkeit (Weak Sustainability) bezeichnet wird, kann z. B. ein unveränderter Verbrauch an fossilen Energieträgern mit dem Hinweis gerechtfertigt werden, dass der Energiebedarf zukünftiger Generationen mit Solarenergie gedeckt werden könne, obwohl die technischen Voraussetzungen dafür derzeit noch nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind (s. Nutzinger und Radke 1995).
Demgegenüber steht eine Interpretation des Begriffes, die keinerlei Substitution von natürlichem durch menschengemachtes Kapital zulässt. Dieses Konzept der sogenannten strikten oder starkenNachhaltigkeit (Strong Sustainability) bedeutet, keine nicht-regenerierbaren Ressourcen zu benutzen und regenerierbare Ressourcen nur unterhalb ihrer Assimilationskapazität einzusetzen (s. Nutzinger und Radke 1995).
Da beide Konzepte erhebliche Nachteile haben, wird von den Vertretern der Ökologischen Ökonomie ein weiterer Weg diskutiert, der auch als (kritische) ökologische Nachhaltigkeit bezeichnet wird. Diese Sichtweise erkennt die Notwendigkeit einer Substitution natürlicher Ressourcen kurz- bis mittelfristig an, jedoch darf dabei niemals ein kritischer natürlicher Ressourcenbestand unterschritten werden. Dieses zu beurteilen, erfordert eine differenzierte Betrachtung des Naturkapitals, getrennt nach erneuerbaren und nicht erneuerbaren Ressourcen sowie den Umweltmedien hinsichtlich ihrer Aufnahmefähigkeit für Schadstoffe (s. Nutzinger und Radke 1995).
In der Nachhaltigkeitsdiskussion dominiert der letztgenannte Ansatz der (kritischen) ökologischen Nachhaltigkeit und findet sich in den sogenannten Managementregeln wieder.
1.5.2Managementregeln der Nachhaltigkeit
Über die abstrakte Ebene der Brundtland-Definition hinaus lassen sich die aus dem Konzept der ökologischen Nachhaltigkeit abgeleiteten „Managementregeln der Nachhaltigkeit“ als konsensual herausstellen:
„Regeneration: Erneuerbare Naturgüter (z. B. Holz oder Fischbestände) dürfen auf Dauer nur im Rahmen ihrer Regenerationsfähigkeit genutzt werden, anderenfalls gingen sie zukünftigen Generationen verloren.
Substitution: Nicht-erneuerbare Naturgüter (z. B. Mineralien und fossile Energieträger) dürfen nur in dem Maße genutzt werden, wie ihre Funktionen durch andere Materialien oder durch andere Energieträger ersetzt werden können.