Begründung für „Nachhaltigkeit“ mit Blick auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sowie auf einige grundlegende Gedanken aus den Werken Kants und Rawls’ gesucht. Daran anknüpfend wird – erneut an der Menschenrechtserklärung sowie an weiteren Positionen Rawls’ und anderen ansetzend – eine ethisch-normative Begründung für ein betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement diskutiert. Das Kapitel schließt mit einer konzeptionellen Verknüpfung der gesamtgesellschaftlichen und der unternehmerischen Verantwortungsebene.
Lernziele
Den Zusammenhang zwischen betrieblichem Nachhaltigkeitsmanagement, nachhaltiger Entwicklung und Nachhaltigkeit erklären können.
Normativ-ethische Begründungen für das gesamtgesellschaftliche Ziel der Nachhaltigkeit reflektieren.
Normativ-ethische Begründungen für betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement reflektieren.
2.1Grundlagen zur Frage nach Ethik und Verantwortung von Unternehmen
Bereits seit einigen Jahren wächst in Wissenschaft, Unternehmenspraxis und Öffentlichkeit die Aufmerksamkeit für Fragen unternehmerischer Verantwortung und nachhaltiger Entwicklung (s. z. B. Scherer und Picot 2008). Abgesehen von allgemeinen Absichtserklärungen und zum Teil nur vage formulierten Forderungen der Zuwendung von Unternehmen zu diesen Themengebieten wird eine grundlegende normativ-ethische Begründung der Relevanz von Nachhaltigkeit oder speziell des betrieblichen Nachhaltigkeitsmanagements nur selten gegeben. Gerade im deutschsprachigen Raum erfolgt eine Auseinandersetzung mit ethisch-normativen Argumenten in den Wirtschaftswissenschaften bisher zumeist nur am Rande. Daher soll dieses Kapitel dazu beitragen, mögliche Begründungen für Nachhaltigkeit und betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement aus verschiedenen ethisch-philosophischen Grundlagenwerken herzuleiten und damit auch interdisziplinär die Relevanz der jeweiligen Konzepte und Ansätze in den Wirtschaftswissenschaften zu verdeutlichen. Um dies zu ermöglichen, muss zunächst das Verhältnis von Nachhaltigkeit, nachhaltiger Entwicklung und betrieblichem Nachhaltigkeitsmanagement geklärt werden.
In ihrem wegweisenden Bericht charakterisiert die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (World Commission on Environment and Development – WCED) im Vorfeld der United Nations Conference on Environment and Development (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro eine nachhaltige Entwicklung als „eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ (WCED 1987)1. Mit diesem Leitmotiv werden in dieser Charakterisierung zunächst noch keine spezifischen Akteure angesprochen, lediglich von einer allgemeinen Entwicklung ist die Rede. Nachhaltige Entwicklung bewegt sich daher zunächst auf einer übergeordneten gesamtgesellschaftlichen Ebene, ohne – zumindest in dieser kurzen Charakterisierung – bereits einen konkreten Bezug zu Unternehmen herzustellen. Jedoch zeigen sich in diesem Verständnis von nachhaltiger Entwicklung bereits einige starke normative Elemente. Während Nachhaltigkeit einen (idealisierten) Zustand darstellt, beschreibt eine „nachhaltige Entwicklung“ eher die notwendigen Verhaltensweisen zur Zielerreichung (s. Doppelt 2003). Als Leitprinzip basiert nachhaltige Entwicklung auf zwei grundlegenden Imperativen, welche beide unmittelbar der oben genannten Charakterisierung entnommen werden können. Erstens ist dies der Grundsatz intragenerativer Gerechtigkeit (vgl. hierzu ausführlich auch Kapitel 1). Dieser besagt, dass innerhalb der bestehenden Generation internationale und soziale Gerechtigkeit anzustreben sind („eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt“). Dazu stellt der Bericht der WCED insbesondere heraus, dass die „Grundbedürfnisse der Ärmsten der Welt, […] überwiegende Priorität haben sollten“ (WCED 1987). Hinzu kommt zweitens der Grundsatz intergenerativer Gerechtigkeit. Dieser besagt im Wesentlichen, dass die Umwelt für zukünftige Generationen bewahrt werden soll („ohne zu riskieren, daß zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“). Dementsprechend wäre Nachhaltigkeit dann erreicht, wenn sowohl intra- als auch intergenerative Gerechtigkeit erreicht ist. In dieser Weise charakterisiert, erweist sich nachhaltige Entwicklung als ein Dachkonzept, unter welchem eine Vielzahl von interdependenten Aspekten aus den Bereichen sozialer, ökologischer und ökonomischer Entwicklung integriert wird. Diese drei Kernbereiche „Ökonomie“, „Ökologie“ und „Soziales“ werden in den Debatten um eine nachhaltige Entwicklung häufig als „Triple-Bottom-Line“ (z. B. Elkington 1999) bezeichnet, weshalb sie im Mittelpunkt der Bemühungen zur Erreichung von Nachhaltigkeit stehen. Folglich werden vormals als voneinander unabhängig erachtete Problemstellungen wie Bevölkerungswachstum, weltweite Entwaldung und Desertifikation, Armut, Ressourcenverbrauch, Abfallproduktion oder Klimawandel nun zunehmend als zusammenhängend erkannt.
Schon im Bericht der WCED wurde „Die Rolle der Weltwirtschaft“ (WCED 1987) als zentrales Element zur Erreichung von Nachhaltigkeit umfassend diskutiert. So gilt es heute als unbestritten, dass Unternehmen zu den wesentlichen Akteuren einer nachhaltigen Entwicklung gehören. Hiermit offenbart sich direkt die Bedeutung des betrieblichen Nachhaltigkeitsmanagements: Unternehmen sind die primären Institutionen marktwirtschaftlicher Wirtschaftssysteme zur Transformation von Ressourcen in Güter und Dienstleistungen. Sie generieren Einkommensmöglichkeiten für ihre Arbeitnehmenden sowie für Zulieferbetriebe, sie ermöglichen die Ausbildung individueller Qualifikationen, sie produzieren Güter und Dienstleistungen und eröffnen ihrer Kundschaft damit Konsummöglichkeiten, sie bringen Innovationen hervor, von denen die Gesellschaft im Allgemeinen profitieren kann und sie zahlen Steuern und Abgaben. Zugleich ist jede unternehmerische Aktivität mit zum Teil erheblichen Ressourcenverbräuchen sowie dem Anfall von Abfallstoffen und Emissionen verbunden und der generierte Wohlstand ist zudem häufig ungleich verteilt. Dies verdeutlicht die Bedeutung des betrieblichen Nachhaltigkeitsmanagements als wesentliches Element zur Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung. Neben Nachhaltigkeitspolitik auf staatlicher oder auch trans-staatlicher Ebene (z. B. im Bereich von Umwelt- oder Sozialstandards) sowie einem nachhaltigen Konsum kann betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement als zentraler Bereich der gesamtgesellschaftlichen Nachhaltigkeitsbemühungen angesehen werden.
Abb. 2.1 Das Verhältnis von Nachhaltigkeit, nachhaltiger Entwicklung und betrieblichem Nachhaltigkeitsmanagement (Quelle: eigene Darstellung).
Auf Basis dieser Erörterungen sollen im Rahmen dieses Kapitels nun zwei wesentliche Fragen diskutiert werden:
Aus welchen (normativ-ethischen) Gründen sollte das Ziel der Nachhaltigkeit angestrebt und eine nachhaltige Entwicklung verfolgt werden?
Warum sollen speziell Unternehmen Verantwortung für das gesamtgesellschaftliche Ziel der Nachhaltigkeit übernehmen und welchen Beitrag können und/oder sollen einzelne Unternehmen neben ihrem ökonomischen Auftrag leisten?
Die Beantwortung dieser Fragen erfolgt in diesem Kapitel mit Rückgriff auf eine Reihe von relevanten, themenbezogenen philosophischen Grundlagenwerken. Mit dieser Verortung im Feld anerkannter philosophischer Positionen soll zugleich eine intersubjektiv (wie auch interdisziplinär) nachvollziehbare Legitimations- und Diskussionsgrundlage geschaffen werden, um auf diese Weise nicht der Gefahr einer dogmatischen Argumentation oder eines dogmatischen Werturteils zu unterliegen.
2.2Ethische Grundlagen und Begründungsansätze
Wie zuvor erwähnt, wird häufig die besondere Rolle von Unternehmen zur Erreichung von Nachhaltigkeit hervorgehoben. Daher werden im Folgenden normativ-ethische Fundierungen dieses Zielkonzepts diskutiert und dessen Bedeutung im unternehmerischen Kontext erörtert. Dazu sei zunächst noch einmal auf die allgemeine Charakterisierung von nachhaltiger Entwicklung verwiesen. Diese konzentriert sich im Wesentlichen auf eine langfristige Nutzung natürlicher Ressourcen (Forderung nach intergenerativer Gerechtigkeit) bei gleichzeitiger Berücksichtigung eines angemessenen Lebensstandards aktueller Generationen (Forderung nach intragenerativer Gerechtigkeit). Jedoch gibt kein Naturgesetz quasi automatisch eine nachhaltige Entwicklung vor. Es handelt sich vielmehr um eine anthropozentrische