Begründungen zur Nachhaltigkeit
Als erste ethisch-philosophische Grundlage kann die ebenfalls anthropozentrische Kantianische Pflichtenethik als Ausgangspunkt der Begründung dienen, warum überhaupt eine nachhaltige Entwicklung verfolgt werden sollte. Der Kategorische Imperativ formuliert: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“ (Kant 1945, S. 44). Ähnliche Handlungsmaximen finden sich als allgemeine Verhaltensnormen bereits in den Grundlagenwerken verschiedener Glaubensrichtungen, so z. B. bei Konfuzius „Was du selbst nicht wünschest, das tue auch nicht anderen“ (15, 24) sowie positiv formuliert in der jesuanischen Bergpredigt „Alles nun, was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!“ (Mt 7, 12) (beide zitiert nach Küng 2005) und als „Goldene Regel“ in weiteren theologisch motivierten Normwerken (Sand und Hunold 1995). Bezieht man diese Handlungsvorgabe speziell auf nachhaltige Entwicklung, so ergeben sich mit Blick auf den Aspekt der intergenerativen Gerechtigkeit für zukünftige Generationen folgende Implikationen: Zunächst ist es denkbar, dass vergangene Ressourcennutzung vorheriger Generationen unserer aktuellen Generation schadet, wenn sie auf eine Weise erfolgte, die nicht mit dem Postulat einer nachhaltigen Entwicklung vereinbar ist (also z. B. zu einem dauerhaften Rückgang natürlicher Ressourcen geführt hat). Zugleich werden durch den in den Industrieländern aktuell vorherrschenden Lebensstil die zur Verfügung stehenden ökologischen Ressourcen der Erde bei Weitem übernutzt (s. z. B. WWF 2010). Dieser Lebensstil ist daher weltweit nicht tragbar. Bei entsprechend kurzfristigen Umweltfolgen ist es dementsprechend denkbar, dass unsere aktuellen Handlungen bereits der aktuellen Generation schaden, wenn dieser Lebensstil z. B. zugleich die Entwicklungsmöglichkeiten anderer behindert. Diesem Gedankengang folgend dürfte sich ganz im Sinne des Kategorischen Imperativs demnach niemand wünschen können, dass ein anderes Prinzip als das der nachhaltigen Entwicklung ein universelles Gesetz werde, da dies dann eben dazu führen könnte, dass jeder aufgrund von Entscheidungen Anderer schlechter gestellt würde. Die Forderungen nach einer nachhaltigen Entwicklung erweisen sich entsprechend als konkretisierende Ausformulierungen des Kategorischen Imperativs. Jede Generation fungiert dabei als Zweck für vorhergehende Generationen und ist zugleich das einzige Mittel kommender Generationen zur Sicherstellung der menschlichen Lebensfähigkeit auf der Erde.
Auf diesen Überlegungen aufbauend kann – speziell im Zusammenhang mit Überlegungen zu den Postulaten intra- und intergenerativer Gerechtigkeit – die Gerechtigkeitstheorie von John Rawls (1975) zur ethisch-philosophischen Begründung nachhaltiger Entwicklung dienen. Im Folgenden werden daher eben jene aus dieser Theorie generierten ethisch-normativen Grundlagen der Entscheidung, gleiche Lebenschancen für künftige wie auch aktuelle Generationen zu befördern, näher beleuchtet. Rawls (1975) erarbeitet in seinem Werk eine umfassende Theorie der Gerechtigkeit, deren erster Grundsatz besagt: „Jedermann hat gleiches Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das für alle möglich ist“ (Rawls 1975). Hiermit spricht Rawls unmittelbar unter anderem Aspekte der Mobilität und Flexibilität an, welche sich indirekt auch im Grundsatz intragenerativer Gerechtigkeit wiederfinden. Rawls zweiter Gerechtigkeitsgrundsatz ist darauf aufbauend in jenen Fällen anzuwenden, in denen dieses Postulat nicht erfüllt ist. Mit direkter Relevanz für eine nachhaltige Entwicklung fordert dieser, dass „soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten […] den am wenigsten Begünstigten den größtmöglichen Vorteil bringen [müssen]“ (Rawls 1975, S. 336). Insbesondere der zweite Grundsatz postuliert somit einen Gerechtigkeitsaspekt im bewussten Gegensatz zur utilitaristischen Maximierung der gesamtökonomischen Wohlfahrt (plakativ häufig als „das größte Glück der größten Zahl“ formuliert) und expliziert deutlich die Förderung intragenerativer Gerechtigkeit. Dieser Grundsatz ist jedoch nicht unumstritten. Er sei, so z. B. Höffe (2006), nur haltbar bei „empirischer Annahme einer pessimistischen Welteinstellung, […] eher am Boden […] als an der Spitze der Gesellschaftshierarchie zu leben“ (Höffe 2006). Doch bereits ein Blick auf die Situation weiter Teile der Weltbevölkerung lässt diese Annahmen plausibel erscheinen (s. Hahn 2009b): Nimmt man exemplarisch die Armutsdefinition der Europäischen Union als Maßstab, so gelten jene Personen als arm, die gemessen am Einkommen weniger als die Hälfte des Durchschnitts eines Landes zur Verfügung haben (Radermacher 2004). Angewandt auf den gesamten Globus bedeutet dies bei einem weltweiten jährlichen BIP pro Kopf von ca. 10 357 US$ (gemessen in Kaufkraftparitäten, The World Bank 2010, S. 379), dass keinem Menschen weniger als 5 179 US$ pro Jahr oder ca. 14 US$ pro Tag zur Verfügung stehen sollten. Tatsächlich lebt jedoch die Mehrheit der Weltbevölkerung von weniger als 2,5 US$ pro Tag und kann häufig nicht einmal grundlegendste Bedürfnisse befriedigen (Hahn 2009a). Die Lücke in der weltweiten Einkommensverteilung zwischen reichen und armen Staaten hat sich zudem in den letzten Dekaden deutlich vergrößert (z. B. Sachs 2005). Doch Ungleichverteilungen zeigen sich nicht nur im monetären Bereich der Einkommensverteilung. So sind die Emissionen sowie der Ressourcenverbrauch der reichen Bevölkerungsregionen und -schichten um ein Vielfaches höher bei den Ärmsten der Welt, während die hieraus resultierenden ökologischen Folgeschäden oftmals gerade die armen Bevölkerungsteile und Länder treffen (Hahn 2009a). Diese hier lediglich exemplarisch dargestellten Aspekte zeigen den realen Abstand zu einer wirklichen intragenerativen Gerechtigkeit und verleihen diesem Postulat eine besondere Relevanz. Damit zeigt sich, dass auch die Gerechtigkeitstheorie von Rawls dazu geeignet ist, eine ethisch-normative Begründungsgrundlage für eine nachhaltige Entwicklung bzw. für das Streben nach Nachhaltigkeit zu liefern.
Die beiden philosophischen Grundlagenwerke von Kant und Rawls haben einen Einstieg in die Diskussion um eine intersubjektiv nachvollziehbare, allgemeine ethische Begründung für Nachhaltigkeit in den Wirtschaftswissenschaften, aber auch darüber hinaus, geliefert. Dass diese Position Eingang in weltweit verbreitetes und anerkanntes Denken gefunden hat, zeigt exemplarisch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (UN 1948). Sie kann als konkrete Ausformulierung solch ethischer Grundpositionen angesehen werden und baut ihrerseits auf einer Reihe ethischer Grundlagenwerke (zumeist aus der abendländischen Tradition stammend, jedoch durchaus einem Welt- und Wirtschaftsethos sehr nahe stehend; siehe dazu Stiftung Weltethos 2009) auf. In der Diskussion um eine nachhaltige Entwicklung wurde schließlich mehrfach die Verknüpfung mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte thematisiert. Die UN selbst erklärt, dass „eine nachhaltige menschliche Entwicklung die Wahlfreiheiten aller Menschen – Frauen, Männer und Kinder – erweitern soll und dabei zugleich die natürlichen Systeme als Grundlage allen Lebens zu schützen hat. Indem von einem engen, wirtschaftszentrierten Entwicklungskonzept abgerückt wird, rückt eine nachhaltige menschliche Entwicklung die Menschen ins Zentrum und erkennt diese als Zweck und Mittel der Entwicklung an.“ (UNDP 1998, S. 2, Übersetzung d. V.). Bereits in dieser kurzen Passage zeigt sich die unmittelbare Verknüpfung mit Elementen aus Kants Kategorischem Imperativ, indem der Mensch sowohl als Mittel als auch als Zweck der jeweiligen Entwicklung bezeichnet wird. Der zentrale Zweck nachhaltiger Entwicklung ist – wie bereits erwähnt – anthropozentrisch begründet und besteht darin, eine Umwelt zu schaffen, in der alle Menschen ein sicheres und würdiges Leben führen können, wie es auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gefordert wird (s. UN 1948, Präambel, Art. 1, 2, 3, 22 und 25). Trotz ihres nicht-verbindlichen Charakters im Rahmen des Völkerrechts wird die Erklärung weitgehend als Völkergewohnheitsrecht angesehen (Klein 1997; von der Wense 1999), so dass das Streben nach Nachhaltigkeit auch hierdurch seine weithin anerkannte und bindende Unterstützung erfährt.
Auf Basis dieser grundlegenden Begründungen für nachhaltige Entwicklung wird im folgenden Abschnitt nun die spezielle Rolle von Unternehmen beleuchtet.
2.2.2Ethische Begründungen zum betrieblichen Nachhaltigkeitsmanagement
Gerade im wirtschaftswissenschaftlichen Zusammenhang stellt sich unmittelbar die Frage, warum nun speziell Unternehmen zum soeben diskutierten Ziel der Nachhaltigkeit beitragen sollen. Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist zunächst erneut die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Mit ihrem Beitritt zu den Vereinten Nationen erkennen die jeweiligen Staaten die Menschenrechte an. Historisch betrachtet sind es so zunächst die jeweiligen Nationalstaaten (bzw. die relevanten Staatsorgane), die als primäre Institutionen zur Wahrung der Menschenrechte und zugleich als deren größte Bedrohung verstanden