kann somit als sprachübergreifende neuronale Signatur für eine Lese-Rechtschreibstörung angesehen werden (Shaywitz / Shaywitz 2005).
In Bezug auf die gefundenen Aktivierungsmuster des anterioren Lesesystems gibt es widersprüchliche Ergebnisse. Zum Teil werden bei Menschen mit einer Lese-Rechtschreibstörung höhere Aktivierungen im linken inferioren frontalen Kortex im Vergleich zu normallesenden Personen gefunden (Brunswick et al. 1999; Grünling et al. 2004; Shaywitz et al. 1998). Andere Studien allerdings finden solche Überaktivierungen nicht (Eden et al. 1996; Rumsey et al. 1994). Überraschenderweise wird in einigen Untersuchungen sogar von Unteraktivierungen berichtet, die beim Lesen beobachtet werden konnten (Georgiewa et al. 1999; Paulesu et al. 1996; Rumsey et al. 1997; Shaywitz et al. 2002).
Ergebnisse von Metaanalysen
Um übergreifende Aussagen treffen zu können, werden in der Wissenschaft häufig sogenannte Metaanalysen durchgeführt, die verschiedene Einzelstudien zusammenfassen und deren Aussagekraft mit speziellen statistischen Methoden bündeln. Bezüglich der Ergebnisse der verschiedenen Bildgebungsstudien zu Aktivierungsunterschieden zwischen Personen mit einer Lese-Rechtschreibstörung und solchen ohne Störung wurden in den 2000er Jahren zwei bedeutende Metaanalysen durchgeführt. Die erste Studie veranlasste eine Analyse von neun Studien, die mit gesunden, postpubertären Personen mit einer Lese-Rechtschreibstörung aus Ländern mit alphabetischen Schreibsystemen durchgeführt wurden, die mit dem Lesen von visuell präsentierten Wörtern, Pseudowörtern oder Buchstaben konfrontiert wurden (Maisog et al. 2008). Als zentrales Ergebnis konnte eine größere Wahrscheinlichkeit für eine Unteraktivierung bei Menschen mit einer Lese-Rechtschreibstörung für posterior ventrale, inferior parieto-temporale und inferior frontale Bereiche der linken und für den Gyrus fusiformis, Gyrus postcentralis und Gyrus temporalis superior der rechten Hemisphäre dokumentiert werden. Die stärksten Aktivierungswahrscheinlichkeiten und die größten Übereinstimmungen zwischen den einbezogenen Studien wurden für den extrastriaten Kortex der linken Hemisphäre gefunden. Höhere Wahrscheinlichkeiten für Überaktivierungen bei Menschen mit Dyslexie wurden für den rechtshemisphärischen Thalamus und, weniger übereinstimmend zwischen den Studien, für den anterioren Bereich der rechtshemisphärischen Insula berichtet. Allerdings konnten keine Anzeichen für eine Überaktivierung des linken frontalen Kortex oder für Aktivierungsunterschiede des Cerebellums gefunden werden. In der zweiten Metaanalyse wurden siebzehn Studien berücksichtigt, in denen Aufgaben mit Wörtern, Zeichenfolgen oder einzelnen Buchstaben von Personen mit einer Lese-Rechtschreibstörung bearbeitet werden mussten (Richlan et al. 2009). Hier wurde die höchste Wahrscheinlichkeit für Unteraktivierungen für inferior parietale, inferior, mittlere und superior temporale und fusiforme Regionen der linken Hemisphäre ermittelt. Unteraktivierungen hingegen fanden sich im Gyrus frontalis inferior bei gleichzeitigen Überaktivierungen im primären Motorkortex und der anterioren Insula. Es wurden keine Aktivitätsunterschiede zwischen Personen mit einer Lese-Rechtschreibstörung und Normallesenden in der rechten Hemisphäre oder im Cerebellum gefunden (Abb. 8).
auditive Aufgaben
Neben Studien, die sich mit der Bearbeitung von Lesematerial beschäftigen, gibt es auch einige Bildgebungsstudien, in denen Aktivierungsunterschiede zwischen Menschen mit einer Lese-Rechtschreibstörung und normallesenden Personen bei der Bearbeitung basaler auditiver Aufgaben gefunden wurden. So wurden in einer Studie beispielsweise 16 Sequenzen von drei bzw. vier Tönen pro Minute präsentiert, und es musste entschieden werden, ob die Töne innerhalb einer Sequenz identisch waren oder nicht (Rumsey et al. 1994). Neben höheren Fehlerraten zeigten Personen mit einer Lese-Rechtschreibstörung eine geringere Aktivierung in rechtshemisphärischen fronto-parietalen Regionen. In weiteren Studien mit Erwachsenen (Temple et al. 2000) und Kindern mit einer Lese-Rechtschreibstörung (Gaab et al. 2007) wurden nicht sprachliche auditive Stimuli dargeboten, und es musste zwischen Stimuli hoher und niedriger Frequenz unterschieden werden. Personen ohne Lesebeeinträchtigung zeigten bei Stimuli mit kurzen im Vergleich zu Stimuli mit langen Frequenzübergängen erhöhte Aktivität im präfrontalen Kortex. Bei den Personen mit einer Lese-Rechtschreibstörung konnten hingegen keine Aktivierungsunterschiede in diesem Areal beobachtet werden. Interessanterweise konnten durch ein Training zur Verbesserung schneller auditiver Verarbeitung sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern mit einer Lese-Rechtschreibstörung höhere Aktivierungen in präfrontalen Arealen bei der Verarbeitung von Stimuli mit kurzen Frequenzübergängen erzielt werden.
visuelle Aufgaben
Neben Studien zur phonologisch-sprachlichen Verarbeitung wurden Studien zur basalen visuellen Verarbeitung mit bildgebenden Verfahren durchgeführt. Es konnten Aktivierungsunterschiede zwischen Personen mit einer Lese-Rechtschreibstörung und unbeeinträchtigten Lesern ermittelt werden. In einer Studie wurde beispielsweise entweder ein sich gleichmäßig bewegender Stimulus mit niedrigem Kontrast (durch den vor allem das magnozelluläre System des visuellen Kortex stimuliert werden sollte), oder ein fixer Stimulus mit hohem Kontrast (der vor allem das parvozelluläre System ansprechen sollte), präsentiert. Personen ohne Leseschwierigkeiten zeigten bei der Präsentation des sich bewegenden Stimulus eine Aktivierung des Areals V5 / MT im visuellen Kortex, während bei Menschen mit einer Lese-Rechtschreibstörung keine Aktivierungen auszumachen waren. Hinsichtlich des fixen Stimulus wurden keine Aktivierungsunterschiede zwischen den beiden Gruppen gefunden. In zwei weiteren Studien wurden erwachsenen Personen mit einer Lese-Rechtschreibstörung und solchen ohne Lesebeeinträchtigung sich bewegende Gittermuster mit geringer und hoher Leuchtdichte präsentiert (Demb et al. 1998). Die Personen ohne Leseprobleme wiesen höhere Aktivierungen im primären visuellen Kortex und in extrastriaten Regionen bei der Darbietung der bewegten Stimuli mit geringer Leuchtdichte auf. Darüber hinaus zeigte eine Untersuchung mit Kindern unterschiedlicher Lesefähigkeit, denen sich bewegende Gittermuster in unterschiedlichen Kontrastauflösungen dargeboten wurden, Aktivierungen der Areale V1 und MT+ (Ben-Shachar et al. 2007). Ein stärkeres Ansprechen auf Kontraständerungen im Areal MT+, aber nicht in V1, zwei Bereiche des visuellen Kortex, stand zudem im Zusammenhang mit besseren Leistungen in verschiedenen Lesetests und der phonologischen Bewusstheit. Die Aktivierungsunterschiede werden daher als ein basaler neuronaler Marker für Leseleistung angesehen.
4.2.3 Übersicht und Ausblick
Die Übersicht über die verschiedenen Erklärungsansätze zu den neurobiologischen Grundlagen macht deutlich, dass die Lese-Rechtschreibstörung als multidimensionales Problem angesehen werden kann. Auf kognitiver Ebene tritt vor allem das phonologische Verarbeitungsdefizit in den Vordergrund, welches zudem teilweise auch gemeinsam mit sensorischen und / oder motorischen Defiziten vorkommen kann. Obwohl verschiedene sehr überzeugende Theorien zur Entstehung der Störung formuliert wurden, ist es bisher keiner Hypothese gelungen, alle Phänomene, die bei einer Lese-Rechtschreibstörung beobachtet wurden, befriedigend zu erklären. Möglicherweise kann dies als ein Indikator dafür gewertet werden, dass verschiedene Untertypen der Lese-Rechtschreibstörung existieren.
strukturelle und funktionelle Abnormitäten
Als neuronale Korrelate der Dyslexie werden relativ übereinstimmend strukturelle und funktionelle Abnormitäten der posterioren Lesesysteme in temporo-parietalen und okzipito-temporalen Arealen der linken Hemisphäre beschrieben. Dabei wird davon ausgegangen, dass Beeinträchtigungen im temporo-parietalen System sich wiederum auf die Entwicklung des okzipito-temporalen Systems auswirken können (McCandliss / Noble 2003). Demnach würden diese funktionellen Beeinträchtigungen die phonologische Informationsverarbeitung und damit die Rekodierfähigkeiten massiv beeinträchtigen. Infolgedessen können Graphem-Phonem-Zuordnungen weniger effektiv und stabil aufgebaut werden. Solche gespeicherten Informationen sind allerdings notwendig für eine graduelle Spezialisierung des okzipito-temporalen Systems zur schnellen und automatisierten Worterkennung.
Bislang konnte noch nicht eindeutig geklärt werden, ob Personen mit einer Lese-Rechtschreibstörung das inferior frontale System des Lesenetzwerks und rechtshemisphärische Systeme tatsächlich als kompensatorische Mechanismen einsetzen. Auch die Rolle des Cerebellums für die Entstehung der Störung ist weiterhin ungeklärt. Obwohl strukturelle Befunde eine geringere Dichte und / oder ein geringeres Volumen der grauen Masse erkennen lassen, wurden in funktionellen Studien keine Aktivierungsunterschiede zwischen Lesern mit einer Lese-Rechtschreibstörung