Reinhard Stauber

Der Wiener Kongress


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die Neugestaltung der Landkarte Europas in einer Gestalt, die neue Hegemonialversuche ausschloss.7 Die von den Briten verfolgte Eindämmung Frankreichs an seiner Ostgrenze durch eine Reihe verteidigungsbereiter Nachbarstaaten ist ein ebenso deutliches Indiz für diese geostrategischen Interessen wie Castlereaghs und Metternichs Bedenken gegen die Westverschiebung des Zarenreichs. Die Neubegründung Europas als politisches System 1814/15 beruhte stärker als bis dahin üblich auf kooperativen Strukturen und auf dem gemeinsamen politischen Ziel der Sicherung von Frieden und Ordnung. Die Methoden, die dazu während der knapp neun Verhandlungsmonate angewandt wurden, erinnerten allerdings eher an die Methoden des „Länderschacher[s]“ und die rein [<<13] auf Bevölkerungszahlen fixierte Ausgleichsarithmetik, nach denen im 18. Jahrhundert Friedensverträge gestaltet worden waren.8 Und durchaus häufig waren die Fälle, in denen die von Napoleon betriebene „Staatenzerstörung“ in Wien zugunsten jener Monarchen legitimiert wurde, die „dieses Zerstörungswerk als Profiteure überlebt“ und daraus für die Vergrößerung ihres Gebiets und die Zentralisierung ihrer Herrschaft Nutzen gezogen hatten.9

      Legitimität, Recht, Gleichgewicht, Ordnung

      Monarchie

      Das Europa des 19. Jahrhundert war und blieb vor allem ein monarchisches Europa. Die Monarchie überbrückte erfolgreich die Zäsur der Revolutionszeit: Sie hatte vom französischen Muster der Zentralisierung und Homogenisierung staatlicher Macht ebenso profitiert wie von einer weitgehenden Kooperation mit dem selbsternannten Kaiser der Franzosen, nun inszenierte sie sich als Garant von Frieden und Sicherheit. Die vom Kongress beschlossenen neuen Königskronen für Polen, die vergrößerten Niederlande und Hannover bezeugen die ungebrochene Attraktivität des monarchischen Grundmusters und den politischen Willen, die napoleonischen Rangerhöhungen für Bayern, Württemberg und Sachsen nachträglich zu kompensieren.

      Konstitution

      Im Modell der französischen Charte schloss die restaurierte Monarchie ein Bündnis begrenzter Reichweite mit dem Konstitutionalismus und akzeptierte die Bindung an ein Verfassungsdokument, betonte aber gleichzeitig den Vorrang der monarchischen Souveränität. Solche in der Regel durch einen einseitigen Willensakt des Herrschers erlassenen („oktroyierten“) Verfassungen frühkonstitutionellen Typs wurde zu einer wichtigen Signatur des vormärzlichen Europa.

      Auch auf dem Wiener Kongress spielten geschriebene Verfassungen eine Rolle, etwa in der Selbstverpflichtung des Zaren, für sein neues Königreich Polen eine solche zu erlassen, oder bei der Neukonstitution der Niederlande. Von politisch zunächst durchaus erwünschter Doppeldeutigkeit war Art. 13 der Deutschen Bundesakte, der den Erlass einer „landständische[n] Verfassung“ „in allen Bundesstaaten“ vorsah. Der Streit, ob damit die Konstitutionen neuen Typs nach dem Modell der „Charte“ oder die altständischen Modelle des Ancien Régime gemeint waren, gewann in den Jahren nach dem Kongress an Brisanz und wurde [<<16] im Zuge der konservativen Wende der Bundespolitik bis 1820 im Sinne des altständischen Typus entschieden. Vorher waren freilich 1818–1820 in Bayern, Baden, Württemberg und Hessen-Darmstadt Repräsentativverfassungen neuen Typs in Kraft gesetzt worden.

      Die beiden deutschen Großmächte Österreich und Preußen blieben allerdings ohne Verfassung, und der Versuch, auch Drittstaaten auf solche antikonstitutionelle Politikmodelle zu verpflichten, kam nicht erst während der europäischen Mächtekonferenzen ab 1820 auf: Schon im Juni 1815 schloss Metternich einen Vertrag mit Ferdinand I., König von Neapel und Sizilien, in dem er entsprechenden Einfluss auf die Ausgestaltung der Institutionen des neu zu gestaltenden Doppelkönigreichs beider Sizilien nahm.

      Intervention