allein geblieben ist Barth allerdings mit seinen bereits angedeuteten israeltheologischen Herausforderungen, vor die er die Kirche vor allem um Gottes willen gestellt sieht, nicht nur in ihrem Selbstverständnis als Volk Gottes, sondern auch hinsichtlich der über die Kirche hinausreichenden Treue Gottes zu seiner Erwählung. Wenn Barth die eine Gemeinde Jesu Christi als die aus Israel und Kirche bestehende Gemeinde versteht (KD II/2, § 34.1), bewegt er sich auf einer Ebene, von der aus alle bisherigen ökumenischen Orientierungen grundlegend neu zu orientieren wären.22
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Auch wenn sich mühelos weitere Akzente der Theologie Barths benennen ließen, mag es im Zusammenhang dieser Einführung zunächst mit diesen zwölf Blitzlichtern sein Bewenden haben. Sowohl der Entdeckungshorizont als auch der Begründungshorizont für eine gründliche und selbstkritische Revision der gesamten Theologie sind ebenso erkennbar geworden wie die spezifischen erkenntnistheoretischen Prämissen, denen Barth eine die Selbstreferenz ihres Gegenstandes respektierende Theologie unterworfen sah. Theologie ist alles andere als eine selbstverständliche und routinisierbare Angelegenheit zur Reinerhaltung der christlichen Tradition. Vielmehr steht sie in der Verantwortung, immer wieder neu darüber Rechenschaft abzulegen, wie angemessenen zu antworten ist auf die heute ergehende Anrede Gottes, wie sie sich im je gegenwärtigen Hören auf das vom Zeugnis der Bibel bezeugte Wort Gottes vernehmbar macht. Wenn Barths Theologie als eine Theologie des Wortes Gottes bezeichnet wird, gilt die Aufmerksamkeit weder einem als besonders wichtig erkannten Bedarf des Menschen noch einer für den Erhalt der Kirche als förderlich oder gar rettend ausgewiesenen Perspektive, sondern sie verweist alle begründbaren Hoffnungen des Menschen und die zu lebenden Perspektiven der Kirche auf das lebendige Wort Gottes, in dem, wenn es ernsthaft als solches vernommen wird, auch für die Bedarfe des Menschen und die Perspektiven der Kirche ausreichend gesorgt ist.
Da sich die Theologie grundsätzlich mit ihren Einsichten weder am Ziel noch auch nur im vorläufigen Besitz der Wahrheit wissen kann, geht nichts mehr an Barth vorbei als der Vorwurf einer von ihm angestoßenen Neo-Orthodoxie. Vielmehr lässt sich umgekehrt die Wahrnehmung gut begründen, dass seine Theologie den meisten Problemwahrnehmungen der gegenwärtigen theologischen Diskurse durchaus noch voraus ist. Zweifellos ist uns der unmittelbare Zugang inzwischen erschwert, so dass wir ohne eine gewisse Historisierung nicht mehr auskommen. Das sind wir schon der von Barth selbst betonten Kontextualität seiner Theologie schuldig. Eine nähere Beschäftigung mit Barth wird dann aber auch schnell zeigen, dass das theologische Potenzial, das in dieser Theologie steckt, sich nicht in seiner historischen Bedeutung erschöpft, sondern in vielen der gegenwärtigen Problemkonstellationen immer noch eine erschließende und dann auch weiterführende sachliche Anregung bereitstellen könnte.23 Es ist bemerkenswerterweise vor allem die neuere theologische Diskussion in den Vereinigten Staaten von Amerika, die uns in dieser Entdeckung heute voranzugehen scheint.24
1Vgl. Pressel, Die Kriegspredigt 1914–1918; Missalla, „Gott mit uns“.
2Barth, Der Christ in der Gesellschaft, 565.
3Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie [1922], 158.
4Diese Formulierung ist charakteristisch für Barth, Römerbrief (Zweite Fassung), 47, 59, 66, 76, 223, 435, 498, 522.
5Barth, Die neue Welt in der Bibel [1917], 335.
6Vgl. ebd., 322.
7Barth, Die Kirchliche Dogmatik [KD], Bd. I/1, 311 (Im Folgenden erscheinen die Belege aus der KD mit Band- und Seitenangabe im Text).
8Barth, Abschied, 497.
9Vgl. dazu seine Ausführungen über den dialektischen Weg in: Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, 166–172.
10Diese nur teilweise berechtigte Unterscheidung wurde einführt von v. Balthasar, Karl Barth, 93 ff.
11Vgl. dazu auch kompakt Weinrich, Bund.
12Vgl. dazu Link, Theodizee.
13Vgl. dazu Wüthrich, Gott und das Nichtige.
14Vgl. dazu klassisch Pico della Mirandola, De hominis dignitate.
15Vgl. dazu Barth, Das christliche Leben, 56 f.
16Barth, Das Geschenk der Freiheit.
17Zu den Postulaten der reinen praktischen Vernunft vgl. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 140– 153 (= Originalausgabe 1797, 223–241).
18Vgl. dazu Weinrich, (Ver-) Bindungen der Freiheit.
19Vgl. Barth, Evangelium und Gesetz.
20Vgl. Barth, Offene Briefe (drei Bände).
21Vgl. Weinrich, Karl Barth und die Ökumene.
22Vgl. dazu Weinrich, Ökumene am Ende?, 149 ff.
23Vgl. dazu u. a. Fazakas/Árpád (Hg.), Ist die Theologie Karl Barths noch aktuell?
24Vgl. dazu Gockel, Jede Stunde neu anfangen.
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