Michael Weinrich

Karl Barth


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Barths wäre also zutiefst missverstanden, wenn nicht auch das in ihm liegende dialektische Moment essentiell gewürdigt wird, weil bei aller erreichbaren Entsprechung niemals die auch bleibende Differenz aus dem Blickfeld verschwinden darf.

      Entgegen aller Entschiedenheit, die seine Theologie gewiss ausstrahlen mag, ist Barth ein Theologe geblieben, der sich auch immer wieder selbst ins Wort fallen konnte. Barth wusste um die mit der Theologie auf der einen Seite unausweichlich verbundene Überforderung, die mit dem auf der anderen Seite nicht zu vermeidenden Anspruch verbunden bleibt, in der Theologie die Angemessenheit unseres menschlichen Redens von Gott am Maßstab des biblischen Zeugnisses einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Zwar wird Gott auch im biblischen Zeugnis nicht greifbar, aber es steht unter der Verheißung, ihn doch immerhin so distinkt erkennbar machen zu können, dass dem Orientierungsbedürfnis des Glaubens ausreichend Genüge getan werden kann.

      Für Barth steht die Anerkennung der Selbstmitteilung Gottes im Zentrum. Sie erschließt sich in seinem in Jesus Christus Mensch gewordenen Wort, d. h. in seinem sich im Christusgeschehen vollziehenden Handeln. Sie ermöglicht es dem Menschen, in bestimmter Weise von Gott zu reden. Auch wenn diese Ermöglichung über sein Fassungsvermögen und somit auch über seine Sprach- und Verstehensmöglichkeiten hinausgeht, wie sich besonders an dem entscheidenden Schlüssel des Geschehens, nämlich der Auferweckung Jesu zeigt, ist damit eine unerschöpfliche Ermöglichung menschlicher Gottesrede gegeben. Es ist also nach Barth die Offenbarung selbst, die aus der Unmöglichkeit menschlicher Gottesrede eine mögliche macht, ohne dass sie irgendwann zu einem Gegenstand seiner Möglichkeiten werden könnte.

      In diesem Gefälle wird die Theologie zu einer von Gott ermöglichten Möglichkeit, die als solche immer wieder auf die Ermöglichung durch Gott angewiesen bleibt. Wenn Gott keine Möglichkeit des Menschen ist, kann es nur Gott selbst sein, der ein Reden über ihn ermöglichen und diesem Reden dann auch die nötige Erschließungskraft verleihen kann. Von den Möglichkeiten des Menschen aus gesehen bleibt dies eine Unmöglichkeit. Indem aber dem Menschen genau das ermöglicht wird, was ihm von sich aus unmöglich bleibt, soll hier im Blick auf Barths Verständnis der Theologie als von einer möglichen Unmöglichkeit gesprochen werden. Wenn Barth in seiner Dogmatik dann von der Sünde als einer unmöglichen Möglichkeit sprechen wird, kommt exakt die eigenwillige Nichtentsprechung zu der von Gott eröffneten Möglichkeit zur Sprache (vgl. Kap. IV.5.4).

      Es kommt entscheidend darauf an, das dialektische Moment der Theologie zu bewahren. Ihre Ermöglichung bleibt auf Gott verwiesen, um dann aber tatsächlich zu einer allerdings nicht auf Dauer zu stellenden menschlichen Möglichkeit zu werden. Und zugleich stößt sie als diese dem Menschen ermöglichte Möglichkeit stets auch an die Grenzen seiner Möglichkeiten und erinnert ihn damit daran, dass sie als ermöglichte Möglichkeit niemals zu einer seiner Möglichkeiten werden kann und insofern eine Unmöglichkeit bleibt – Theologie ist eine mögliche Unmöglichkeit und muss deshalb grundsätzlich eine vorbehaltliche und vorläufige und in diesem Sinne dialektische Theologie bleiben.

      imagesWeitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. III.

      These

      Die von der Theologie zu bedenkende Geschichte Gottes mit dem Menschen wird durch den Bund Gottes mit Israel und seiner menschheitlichen Erfüllung in Christus orientiert. Er ist verankert in der ewigen Gnadenwahl Gottes, in der sich Gott in seiner Freiheit dazu bestimmt, des Menschen Gott zu sein. Als solcher ist der Bund bereits Gegenstand der Gotteslehre und damit zugleich ein fundamentales Element im Bedenken ihrer materialtheologischen Distinktionen in Schöpfungs-, Versöhnungs- und Erlösungslehre.

      Die gesamte Theologie Barths bewegt sich in dem Horizont der Geschichte, die sich in dem Bund Gottes mit den Menschen vollzieht. Der Bund ist der Rahmen und die Bühne aller theologischen Einlassungen, auch wenn er nicht in jedem einzelnen Aspekt ausdrücklich hervorgehoben wird. Er ist ebenso Ausdruck des Wesens Gottes wie der Ökonomie seines Handelns. Im Begriff des Bundes „vollendet sich der Begriff Gottes selbst“ (KD II/2, 564). Er intoniert das zentrale Thema der Theologie Barths, indem er einerseits der besondere Ausdruck der freien Selbstbindung Gottes ist, die im ewigen Entschluss seiner Gnadenwahl wurzelt, und andererseits den freien Lebensraum bezeichnet, in dem der Mensch seine besondere Bestimmung als Beziehungspartner Gottes leben kann. Es gehört zu dem besonderen Profil der Theologie Barths, dass sie sich unter Berufung auf das biblische Zeugnis durchgängig auf den Leitfaden des Bundes bezieht.

      Schon in seinen Frühschriften greift Barth gern den Gottesnamen ‚Immanuel‘ auf: ‚Gott mit uns‘. Wie kein anderer annonciert dieser Name das besondere Verhältnis Gottes zum Menschen. Es ist dieser ‚Immanuel‘, der in besonderer Weise für Gottes freie Selbstbestimmung zum Stifter, Begleiter und Vollender des mit dem Bund bezeichneten spezifischen Beziehungsverhältnisses zum Menschen steht. In diesem Namen versammelt sich gleichsam das ganze Verheißungspotential, das grundsätzlich mit jedem Inerscheinungtreten Gottes verbunden ist. Die Vorrangigkeit des Bundes zeigt sich in der Bestimmung der Schöpfung als Ermöglichungsgrund des Bundes ebenso wie in dem Verständnis der Versöhnung als die Erfüllung des Bundes. Sowohl noetisch als auch ontisch ist er ein zentrales inhaltliches Regulativ für die Beschreibung der Entdeckungszusammenhänge theologischer Fragestellungen, die in ihm ihr spezifisches Stehvermögen im Gesamtzusammenhang der Theologie bekommen. Das ‚Gott mit uns‘ gilt für Barth „als Kern der christlichen Botschaft“ (KD IV/1, 3). Die Selbstcharakterisierung Gottes wird nicht durch einen Begriff angezeigt, sondern durch seinen Namen. Er steht sowohl für die Erkennbarkeit als auch für die Unverfügbarkeit Gottes, der auch in seiner Offenbarung verborgen bleibt.

      So gewiss die Bibel unterschiedliche Bünde bezeugt und die Unterscheidung von einem alten und einem neuen Bund kennt, so werden doch alle Unterscheidungen von dem einen Bundeswillen Gottes umfasst, dessen Wurzeln in der ewigen Erwählung zu suchen sind. Barth spricht pointiert vom „Bogen des einen Bundes“ (KD II/2, 220). Von der Bundestreue Gottes bleibt auch die Erwählung Israels umfasst, so dass Barth in symbolträchtiger Weise anlässlich seines Papstbesuches 1966 die Beziehung zum Judentum als die eigentlich zentrale ökumenische Herausforderung hervorgehoben hat – eine Herausforderung, deren Reichweite bisher nur von wenigen in Ansätzen geahnt wird.

      Die geheimnisvolle Namensoffenbarung Gottes am brennenden Dornbusch (Ex 3) erschließt sich in ihrer Tiefe in dieser gesamtbiblischen bundestheologischen Perspektive, in der Gott nicht durch seine absolute Macht, sondern durch seinen konsequenten Beziehungswillen charakterisiert wird. Barth schreibt Gott keine abstrakte Allmacht zu, die sich in irgendwelchen Demonstrationen ihrer prinzipiellen Überlegenheit ergeht. Das Streben nach einer solchen Allmacht, die vor allem sich selbst will, ist vielmehr ein Attribut des Teufels, von dem Barth als einer Personifizierung des Bösen allerdings nur sehr vorbehaltlich Gebrauch macht. Es ist die potentia, die willkürlich jeden Weg nutzt, sich in Szene zu setzen, und deshalb nur zu fürchten ist. Die Allmacht Gottes benennt Barth dagegen mit potestas. Es ist die Macht, die Gott dazu befähigt, das, was er will – und Gott will etwas Bestimmtes und nicht einen abstrakten Machtbeweis –, auch zu verwirklichen und durchzusetzen (KD II/1, 591 f). Gott will entschieden nicht unerreichbare Macht sein, der gegenüber dem Menschen nichts anderes bliebe, als sich zu fürchten, sondern sein freier Wille weist auf den Bund und den erwählten Partner des Bundes, auf die Beziehung zu dem von ihm darin ihm selbst ähnlich geschaffenen Menschen (Gen 1,26 f), dass er beziehungsfähig ist und nun seinerseits auf die Zuwendung Gottes eine eigene freie Antwort geben kann. Es ist diese gewiss asymmetrische und dennoch ganz und gar gegenseitige Beziehung, auf die der Wille Gottes zielt und für die Gott dann auch alles macht (Allmacht), die sowohl die Bestimmung als auch die Geschichte des Bundes ausmacht.

      Damit ist die prägende Perspektive benannt, in der sich die Geschichte vollzieht. Auf Grund der permanenten Nichtentsprechung des Menschen zu der ihm von Gott verliehenen herausgehobenen Würde ist diese Geschichte allerdings de facto von einer Dramatik gekennzeichnet, in der unentwegt die Orientierungen durcheinandergehen. Diese Geschichte des Bundes und das sich in ihm vollziehende Geschehen, in dem sich der Mensch immer bereits so oder so befindet, ist der Horizont,